Metropolregion. Die 61-jährige Frau ist in Oggersheim gestolpert und gestürzt. Rettungssanitäter übernehmen die Erstversorgung. Ein Notarzt ist nicht vor Ort. Der ist allerdings per Handy und Internet virtuell an der Einsatzstelle dabei. Er tauscht sich mit den Sanitätern vor Ort aus, schaut sich das Bein via Handykamera an und vermutet einen Oberschenkelhalsbruch.
Auf einen Bildschirm bekommt er das EKG der Patientin übermittelt. Dann schickt er den Kollegen vor Ort die Medikamentierung, lässt sich das Schmerzmittel zeigen, bevor es verabreicht wird, und bereitet schon mal die Aufnahme der Patientin in der Klinik vor.
Projekt "Telenotarzt" reagiert auf Ärztemangel
Notarzt Christoph Schmidt exerziert in der BG Klinik in Ludwigshafen unter anderem vor Innenminister Michael Ebling den Standardfall durch - zu Demonstrationszwecken. Denn die Klinik ist Teil des Pilotprojekts „Telenotarzt“, das die Landesregierung gemeinsam mit dem DRK-Landesverband, dem Fraunhofer- Institut für Experimentelles Software Engeneering (IESE) und der Firma Corpuls aufgesetzt hat. Damit reagieren die Projektpartner auf den demografischen Wandel und den Fachkräftemangel, der längst auch im medizinischen Bereich grassiert.
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„Wir müssen mit weniger Zeit und Ärzten eine bessere Qualität liefern“, bringt es Paul Alfred Grützner, der Ärztliche Direktor der BG Klinik, auf den Punkt. Der Lösungsansatz ist der Telenotarzt. Speziell geschulte Notfallmediziner sitzen in einem Büro der Oggersheimer Klinik und sind mit ebenfalls geschulten Rettungssanitätern verbunden, um mit digital übertragenen Daten Notfälle zu diagnostizieren und erste Behandlungen einzuleiten, ohne direkt vor Ort zu sein. Der Vorteil: Der Arzt spart sich die An- und Abfahrt, kann sofort danach den nächsten Patienten übernehmen und im Zweifelsfall auch zwei Fälle gleichzeitig bearbeiten. Der Nachteil: Wo es kein funktionierendes Internet gibt, kann auch der Telenotarzt nicht arbeiten.
Das System wird nun als Pilotprojekt auf seine Praxistauglichkeit getestet. Zum Start sind die Rettungswachen Haßloch, Mutterstadt und Schifferstadt angebunden, im zweiten Schritt sollen Neustadt und Speyer dazukommen, im dritten Schritt dann Ludwigshafen. Der Telenotarzt sitzt an seinem Arbeitsplatz mit vier Bildschirmen, spezieller Software, Headset, Webcam in einem Büro in der BG Klinik.
Sowohl Rettungssanitäter als auch Notärzte werden eigens geschult, erstmals im November. Allerdings muss der Notarzt mindestens zwei Jahre Erfahrung mitbringen, 500 selbstständige Einsätze absolviert haben und darf nicht nur am Bildschirm sitzen, sondern soll selbst weiterhin vor Ort im Einsatz sein.
Digitale Krankenakte nötig
Paul Alfred Grützer ist davon überzeugt, dass es nicht bei der Pilotphase bleiben wird. „Der Telenotarzt wird ein Erfolgsmodell“, ist sich der Ärztliche Direktor sicher. Und wenn er den Minister, der auch für den Rettungsdienst zuständig ist, zum Start des Pilotprojektes schon mal im Haus hat, adressiert er gleich noch den dringenden Bedarf an der digitalen Krankenakte.
Es vergehe viel zu viel Zeit, um im Notfall die überlebenswichtigen Daten zu generieren. Ebling betont, dass durch den Telenotarzt kein Notarzt eingespart werde. Vielmehr solle das System entlastet werden. Gekostet hat das Pilotprojekt 870 000 Euro. In Aachen funktioniert das Telenotarztsystem seit 2014.
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