Rhein-Neckar. Unterm Strich bilanziert der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) das nun beendete Projekt 9-Euro-Ticket als Erfolgsmodell. 52 Millionen verkaufte 9-Euro-Tickets bundesweit seien ein Zeichen der riesengroßen Popularität dieses Angebots. Es sollte die Menschen angesichts der hohen Spritpreise massenhaft in Busse und Bahnen ziehen – und hat das wohl auch getan.
Die Betreiber der regionalen Verkehrsunternehmen tun sich gleichwohl schwer, in die Jubelarien mit einzustimmen. Allerdings erkennen auch sie an, dass das Ticket ein Gewinn für Attraktivität des Öffentlichen Nahverkehrs war.
Zehn Prozent mehr Fahrgäste im Nahverkehr
Für die Bahn ist das „Experiment 9-Euro-Ticket ein voller Erfolg gewesen“, sagt die Vorständin für den Regionalverkehr bei der DB, Evelyn Palla, und zielt in ihrer Bewertung nicht nur auf die 26 Millionen Tickets ab, die alleine die Bahn verkauft hat. Auch als Marketingstrategie ist das Experiment ihrer Meinung nach aufgegangen: „Ganz Deutschland spricht jetzt über den öffentlichen Nahverkehr“, so Palla.
In den letzten drei Monaten seien im Schnitt rund zehn Prozent mehr Fahrgäste im Regionalverkehr unterwegs gewesen als vor Corona. Zahlen für die Metropolregion lieferte die Bahn aber noch nicht.
Deutlich zurückhaltender äußern sich der Geschäftsführer des Verkehrsverbunds Rhein-Neckar (VRN), Volkhard Malik, und Christian Volz, kaufmännischer Geschäftsführer der Rhein-Neckar-Verkehr (RNV). Um tatsächlich Bilanz ziehen zu können, bedürfe es erst einmal der genauen Absatzzahlen.
„Wir wissen noch nicht, ob das 9-Euro-Ticket ein Erfolg war“
Und die lägen erst Mitte, eher Ende September vor, sagt er. „Es stimmt, gemessen an den mehr als 50 Millionen Tickets war das schon ein Riesenerfolg“, sagt er. Aber: Wo kommen die Ticketkäufer her? Waren das Gelegenheitskunden? Haben diese davor Einzelfahrscheine gekauft? Oder waren es tatsächlich ganz neue Kunden und damit Umsteiger aus dem Individualverkehr? „Darüber haben wir bislang noch keine Erkenntnisse. Wir wissen noch nicht, ob es tatsächlich ein Erfolg war“, will der Geschäftsführer die Endabrechnung abwarten.
Die RNV, die den Bus- und Bahnverkehr in Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg betreibt, hat rund 435 000 Tickets im Aktionszeitraum verkauft. Auch seien die Fahrgastzahlen im Sommer gestiegen, besonders im Freizeitverkehr, sagt Volz. Diesen positiven Trend führt er allerdings nicht nur auf das 9-Euro-Ticket zurück, sondern auch auf die entspanntere Pandemiesituation und den grundsätzlichen Fahrgastzuwachs, der sich bereits vor Corona abgezeichnet hatte.
2,5 Milliarden Euro fehlen dem ÖPNV
Der VRN hatte bereits frühzeitig Wasser in den Wein gekippt. Nach Vorlage der Juni-Zahlen hatte der Verkehrsverbund ein Minus von unterm Strich knapp 4,5 Millionen Euro bilanziert. Der VRN wird aller Voraussicht nach nicht auf den Miesen sitzenbleiben. ,Immerhin hat der Bund 2,5 Milliarden Euro zur Finanzierung der Einnahme-Ausfälle bei den Verkehrsverbünden zugesichert. Ob diese Summe allerdings reicht, ist auch jetzt noch nicht abzusehen. Das wird sich erst frühestens Ende September abzeichnen.
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Allerdings: Die 2,5 Milliarden Euro fehlen dem ÖPNV nun an anderer Stelle. Gedacht war das Geld nämlich ursprünglich, um die Infrastruktur zu finanzieren, sprich: um die maroden Schienen und technischen Einrichtungen auf Vordermann zu bringen. „Man hätte damit zig Kilometer Straßenbahnschienen verlegen, neue Züge kaufen oder die Betriebsleistungen erhöhen können“, sinniert Malik.
Das wäre nachhaltiger gewesen, als die Menschen drei Monate kostengünstig zu transportieren. Zumal nach den bisherigen Erkenntnissen vor allem der Wochenend- und Freizeitverkehr vom 9-Euro-Ticket profitiert hat.
Einfachheit des Angebots hat gezogen
Auch Christian Volz stellt die Nachhaltigkeit des Projekts in Frage. Es komme vor allem auf das Angebot an, wenn man Menschen langfristig zum Umsteigen bewegen wolle. Und das gelinge nur mit massiven Investitionen in den Ausbau des ÖPNV, in Fahrzeuge, Infrastruktur und in Personal – was Geld kostet. Deshalb plädiert Volz dringend dafür, dass die Nutzer einen nennenswerten Eigenanteil an dem Nachfolgemodell übernehmen.
Dass ein preisgünstiges Ticket für den Nahverkehr als Nachfolger kommen wird, davon geht VRN-Chef Malik fest aus. Schließlich sei das Angebot durchaus ein Beitrag zur Attraktivitätssteigerung des ÖPNV gewesen.
Schon alleine die Tatsache, dass das Ticket in jedem deutschen Verkehrsverbund galt und sich niemand Gedanken um die Bedingungen machen musste, sieht die Branche als großes Plus. „Es war eine wesentliche Erkenntnis, aber eben auch keine Überraschung. Die Einfachheit des Angebots und die Gültigkeit über die Verbundgrenzen hinweg haben gezogen“.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Ausgelaufenes 9-Euro-Ticket: Viel zu früh für eine Bilanz