Welch ein Mensch

Uwe Rauschelbach über das Leben und Wirken Helmut Kohls, der heute in Speyer bestattet wird

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Uwe Rauschelbach
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Er hat die Provinz zur Weltbühne gemacht. Er ist der Pfälzer, der zu internationalem Ruhm gelangt ist. Von Kritikern unterschätzt, von Anhängern zum Idol verklärt, erscheinen die Konturen Helmut Kohls im Spiegel der Zeitgeschichte seltsam verzerrt.

In Speyer, wo der Verstorbene heute zur letzten Ruhe gebettet wird, überwiegen jedoch Stolz und Dankbarkeit. Im Historischen Museum Speyer zeugen Fotos mit hohen Staatsgästen, die Kohl in die Domstadt geführt hat, von einer ehemals strahlenden Epoche, in deren Glanz sich die Speyerer bis heute sonnen. Michail Gorbatschow, George H. W. Bush und Margaret Thatcher haben an Kohls Seite den Jubel einer begeisterten Menge genossen.

Die aktuelle Ausstellung "Weltbühne Speyer" dokumentiert die exklusive Verbindung zwischen dem auf internationalem Parkett bewanderten Staatsmann und der Stadt am Rhein.

Gleichwohl scheint dem Verstorbenen auch in seiner Wahlheimat keine ewige Ruhe vergönnt. Leben und Wirken Helmut Kohls taugen nicht für eine runde, in sich geschlossene Biografie, schon gar nicht für eine harmonische Lebensbilanz.

Die Person dieses Politikers weist stattdessen unheilvolle Brüche auf, die sich mit seinem Tod nicht etwa geschlossen haben, sondern seitdem umso hässlicher zutage getreten sind. Kein nationaler Staatsakt für den Staatsmann; ein Politiker, der die Karriereleiter bis zur letzten Stufe emporgestiegen ist - und der im eigenen Heim tragisch von der Treppe stürzte; ein anerkannter Europäer, der zeitlebens lieber die Strickjacke überwarf, als sich in den Frack zu zwängen - und der zugleich sein Bekenntnis zur Kleinbürgerlichkeit nicht etwa im Stillen auslebte, sondern mit Vorliebe bei Riesling und Saumagen inszenierte.

Den Pfälzer in sich hat Kohl nie verleugnet. Dennoch dienten ihm feuchtfröhliche Geselligkeiten in erster Linie zur Festigung strategisch wichtiger Beziehungen. Der Familienurlaub am Wolfgangsee: Bilder einer Idylle, die so wenig heil wirkte, wie sie erzwungen schien. Der Machtmensch, der andere vernichten - und der Gemütsmensch, der zu Tränen rühren konnte. Einer, dessen Wort etwas galt in der Welt - und der sich just eines vermeintlichen Ehrenwortes willen in eine Spendenaffäre verstrickte, die nicht nur seine Partei, die CDU, in eine Krise stürzte, sondern seine Familie mit in den Abgrund zog.

Der Freitod seiner Frau Hannelore 2001 hat Helmut Kohl schwer getroffen. Ob er ihn auch als Folge seiner eigenen Lebensführung, die er seinen Interessen als erfolgstrunkener Politiker kompromisslos unterordnete, gedeutet hat, ist zumindest fraglich. Während die Mutter die Helligkeit nicht mehr ertragen hatte, begannen die beiden Söhne im grellen Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit, ihre desaströse Sohn-Vater-Beziehung aufzuarbeiten.

Die Tür zum Vaterhaus blieb ihnen damit erst recht versperrt. Helmut Kohls wichtigste privaten Bezugspersonen waren bis zum Schluss andere: seine zweite Frau Maike Richter oder der ehemalige "Bild"-Chef Kai Diekmann. Seinem langjährigen treuen Fahrer Eckhard Seeber blieb der ersehnte Kondolenzbesuch hingegen verwehrt.

Die Wahl seiner letzten Ruhestätte zeigt, womit sich Kohl beim Blick auf das eigene Ende identifizieren mochte: Speyer war für ihn der Schauplatz großer Triumphe - und der romanische Kaiserdom ein Refugium in Zeiten der persönlichen Not. Sein Platz im Ludwigshafener Familiengrab bleibt dagegen leer.

Die Hinwendung nach Speyer lässt einen Menschen erkennen, der sich dem historischen Gedächtnis als Staatsmann mit religiösen Wurzeln anempfiehlt - und der die Brücken zu einem wesentlichen Bereich seines Lebens radikal abgebrochen hat.

Kohls Porträt nimmt mächtige Ausmaße an und enthält zugleich Spuren von tiefen Wunden, wie sie nur das Leben selbst schlagen kann. Man wird, was man ist, heißt es bei Friedrich Nietzsche. Und auch für den ebenso übergroß wirkenden wie unvollendet gebliebenen Helmut Kohl gilt es mit Ernüchterung festzustellen: Ecce homo - seht, welch ein Mensch.

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