Klar, man muss die Menschen jetzt einfach mal lassen. Nach mehr als zwei Jahren Pandemie, großen Entbehrungen, privaten und beruflichen Schicksalsschlägen ist das Bedürfnis nach Normalität gewaltig. Mit anderen wieder feiern, uneingeschränkt etwa ins Restaurant, Kino oder Fußballstadion gehen zu können, nicht überall Masken tragen zu müssen – das gehört für sehr viele nun mal zur Lebensqualität. Und das seelische Wohl stärkt die Widerstandskraft. Doch bei allem Verständnis, dass die allermeisten von Corona nichts mehr hören wollen: Die stark ansteigenden Zahlen sind ein Faktum.
Eine anhaltende Sommerwelle muss das noch nicht bedeuten. In Portugal, wo die Sieben-Tage-Inzidenz kürzlich auf 1900 schnellte, geht der Trend schon wieder nach unten. Und in der Regel verlaufen Infektionen auch mit den neuen Omikron-Varianten zumindest für Geboosterte glimpflich. Wer nach drei Tagen symptomfrei ist, darf nach fünf Tagen wieder raus. Aber, das ist das Besorgniserregendste, es gibt auch langsam wieder mehr Covid-Patienten in den Krankenhäusern. In Mannheim hat sich die Zahl in zehn Tagen sogar von zwölf auf 35 erhöht. Auch wenn das bei niedrigen absoluten Werten rasch geht, wirkt ein Anstieg um 300 Prozent schon krass.
Noch ist das Infektionsgeschehen verkraftbar. Gleichwohl müssen Wenn-Dann-Szenarien her, wie sich bei weiter steigenden Zahlen gegensteuern ließe. Das Wichtigste wäre, die total eingeschlafene Impfkampagne wiederzubeleben, eine zweite Booster-Welle mit Omikron angepassten Impfstoffen vorzubereiten.
Kakophonie als Konstante
Obwohl der Effekt einiger Corona-Maßnahmen wohl überschätzt wurde, ein paar sinnvolle gibt es schon: Zugangsbeschränkungen für Ungeimpfte, Maskenpflicht in Innenräumen, Homeoffice, Höchstgrenzen für Veranstaltungen. Wohlgemerkt eines nach dem anderen und nur, wenn die Patientenzahlen feste kritische Schwellen übersteigen.
Das Problem ist jedoch: In der Großen Koalition wurde über das richtige Vorgehen vom Bund mit den Ländern – und vor allem zwischen diesen – gestritten. Jetzt scheint schon die Ampel allein zu einer Einigung außerstande. Karl Lauterbach hat seine alte „Wehe, wehe“-Haltung wieder eingenommen, aber die FDP lässt den SPD-Gesundheitsminister mit allem abblitzen. Ihr Justizminister Marco Buschmann nennt sogar die Maskenpflicht in Innenräumen nicht genügend evaluiert. Ernsthaft? Leider bleibt die Kakophonie die einzige Konstante der deutschen Corona-Politik.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Corona-Zahlen werden wieder bedrohlicher
Steffen Mack zu den stark steigenden Corona-Zahlen