Direkt gefragt, wenn Sie es entscheiden müssten: Würden Sie im Jahr 2024 an einer Hausfassade mitten in Mannheim 15 großformatige Porträtfotos aufhängen, die Frauen und Männer aus Israel zeigen, die den Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 überlebt haben? Auch wenn es traurig ist, dass man sich diese Frage überhaupt stellt, und es viel über unsere Zeit aussagt, dürften viele denken: eher nicht.
Könnte man es also verurteilen, wenn es – von wem auch immer – einen Hinweis an die Leitung des städtischen Kulturzentrums Alte Feuerwache gegeben haben sollte, das doch bitte zu lassen? Politisch-pragmatisch betrachtet: nein. Schließlich scheint die Stimmung in der Stadt zurzeit auch so schon manches Mal Kipppunkte zu erreichen; ist es noch nicht lange her, dass mutmaßlich politischer Fanatismus einen Polizisten das Leben gekostet hat; wird mehr oder weniger wöchentlich der im Nahost-Konflikt erzeugte Hass auch auf Mannheims Straßen getragen; starten die propalästinensischen Demos oft genug am Alten Messplatz, genau gegenüber der Feuerwache. Es gibt also genügend Gründe, die Sicherheitspolitiker zu dem Schluss kommen lassen würden, dass Risiko und Erkenntnisgewinn hier in einem ungünstigen Verhältnis stehen.
Ist das noch vernünftig oder schon ein Einknicken?
Auf der anderen Seite stehen die Freiheit der Kunst und die Fragen: Müssen wir das nicht aushalten? Ist das noch eine pragmatisch-vernünftige Entscheidung oder schon ein Einknicken? Wenn wir uns selbst zensieren – und sei es aus Rücksichtnahme – merken wir es dann noch, wenn wir zensiert werden? Wer aber mit der Kunstfreiheit argumentiert, möge bedenken: Luigi Toscanos Projekt „Schwarzer Shabbat – Black Shabbat“ ist nicht verboten worden; das städtische Kulturzentrum hat sie – aus mehr oder weniger nachvollziehbaren Gründen – abgelehnt. Und er oder sie sollte sich fragen: Würden wir das Prinzip der reinen Lehre in jedem Fall verteidigen? Also auch dann, wenn es beispielsweise um Bilder ginge, die nur das Leid der Palästinenser zeigen? Oder würden wir das als Provokation und unerhört empfinden, wenn sich eine Einrichtung der Stadt Mannheim dafür hergäbe?
Um ehrlich zu sein: Ich habe auch keine abschließenden Antworten auf all diese Fragen, und bin froh, diese schwere und heikle Entscheidung nicht treffen zu müssen. Darum habe ich statt Empörung Verständnis für diejenigen, die es tun mussten – selbst wenn sie womöglich falsch lagen.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/meinung/kommentare_artikel,-kommentar-abgelehnte-toscano-ausstellung-nachvollziehbar-und-womoeglich-falsch-_arid,2253097.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html
[2] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-mannheimer-starfotograf-darf-bilder-nicht-in-alter-feuerwache-zeigen-_arid,2252964.html
Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Abgelehnte Toscano-Ausstellung: Nachvollziehbar - und womöglich falsch
Das Mannheimer Kulturzentrum Alte Feuerwache will Bilder des Starfotografen Luigi Toscano von Überlebenden des Hamas-Terrorangriffs auf Israel nicht zeigen. Verständlich, meint Martin Geiger - und womöglich trotzdem falsch