Das Scheitern der Ampel-Koalition ist ein weiterer Beweis für einen nagenden Verdacht, den wir mit uns herumtragen: Wir leben in hoffnungslosen Zeiten. Damit wollen wir sagen, es hat sich ein Gefühl eingestellt, dass wir die Herausforderungen, die auf uns warten, nicht mehr adäquat lösen können. Alle Beteiligten hätten in dieser verfahrenen Situation geliebte Glaubenssätze auf den Prüfstand stellen können, um die Frage zu beantworten, wie man zusammen am besten weitermacht. Stattdessen wurden bewusst die Handtücher geworfen. Diese Weigerung, etwas Neues zu wagen, deutet bereits an, dass es nach der Wahl so weitergehen wird wie immer, anstelle dass sich wirklich etwas ändern könnte.
Dabei gibt es so viel zu tun. Umweltzerstörung, steigende Lebenshaltungskosten und das Gefühl, dass uns der soziale Kit, der diese Gesellschaft zusammenhält, abhandenkommt. Uns ist klar, dass niemand gern über Hoffnungslosigkeit liest (besonders an einem Samstag), aber keine Sorge, am Ende dieser Überlegungen wartet die Hoffnung.
Wir sollten ehrlich miteinander sein und uns eingestehen, dass eine gute Portion Hoffnungslosigkeit zur deutschen Seele dazu gehört wie Lederhosen und Currywurst. Das hat viel damit zu tun, was Hoffnung von uns verlangt, nämlich Visionen. Denn damit wir Hoffnung haben können, müssen wir eine Idee davon entwickeln, wie die Dinge auch wirklich substantiell besser sein könnten. Und dieses Vorstellungsvermögen widerspricht unserer politischen Natur.
Die Gastautoren
- Christiane Stenger ist Politikwissenschaftlerin, Speakerin und Moderatorin.
- Als mehrfache Junioren-Gedächtnisweltmeisterin weiß sie nicht nur, wie man Wissen sammelt, sondern auch, wie man es im Kopf behält und kreativ damit umgeht.
- Sie hat mehrere Bücher veröffentlicht, darunter den Bestseller „Lassen Sie Ihr Hirn nicht unbeaufsichtigt!“.
- Stephan Phin Spielhoff ist Autor und Podcaster. Er hat einen Master in Philosophie von der Freien Universität Berlin. Sein Debütroman „Der Himmel ist für Verräter“ erschien 2019.
- Gemeinsam haben sie das Buch „Nichts wird von alleine gut. Warum wir eine neue Definition von Hoffnung brauchen, um die Krisen der Zukunft zu meistern“ geschrieben, das bei Goldmann erschienen ist.
Bereits Bundeskanzler Helmut Schmidt postulierte: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“ Und genauso war Angela Merkels Politik der kleinen Schritte, der ultimative Aufruf, doch bitte nicht zu viel, zu groß, zu weit vorauszudenken. Die Schuldenbremse ist unter den Deutschen wahrscheinlich auch deshalb so beliebt, weil sie unsere Ambitionen so schön im Zaum hält.
Wenn wir dann mal wirklich was wagen, wir erinnern uns wehmütig an das 9-Euro-Ticket, dann haben wir fast Angst vor unserer eigenen Courage und wollen kurz danach nichts mehr davon wissen. Also wurde der Preis zunächst um 444,44 Prozent erhöht (weitere Erhöhungen werden folgen) und trotzdem wird immer wieder betont, dass wir uns dieses Ticket, das nicht nur die Mobilität für alle Menschen billiger macht, sondern auch den chaotischen Tarifdschungel beendet hat, eigentlich nicht leisten können.
Hoffnungslosigkeit ist überall und das hat einen guten Grund: Sie ist zunächst spottbillig. Wir müssen nichts für sie tun und uns auch nicht anstrengen. Wir müssen uns nicht einmal mit unseren Problemen befassen, denn unsere Probleme lassen sich ja sowieso nicht lösen.
"Aber natürlich, auch das gehört zur Hoffnungslosigkeit, laufen ihre Kosten am Ende aus dem Ruder"
Wir denken an den Film „Die Überbleibsel“ in dem sich ein abgehalfterter Lehrer, wunderbar porträtiert von Paul Giamatti, so sehr damit abgefunden hat, dass sein Leben nichts Aufsehenerregendes mehr bereithält, dass eine Arbeitskollegin ihm auf den Kopf zusagt: „Sie können ja nicht mal mehr einen ganzen Traum träumen!“ Viel besser lässt sich die Stimmung in Deutschland am Ende dieses Jahres nicht einfangen. Halbe Träume überall. Uns fehlen ganz einfach die Vokabeln dafür, wie alles besser werden könnte.
Aber natürlich, auch das gehört zur Hoffnungslosigkeit, laufen ihre Kosten am Ende aus dem Ruder. Denn während wir uns in unserer Sparsamkeit so gut gefallen, verwalten wir dadurch nur den Zerfall der Errungenschaften, die uns von früheren Generationen hinterlassen wurden.
Am Ende haben wir mit unserer Hoffnungslosigkeit nichts gespart, denn dieses Sparen hat zu einem Investitionsstau in Billionenhöhe, jawohl, Billionen!, geführt. Das sind eine andere Art von Schulden, die wir der nächsten Generation hinterlassen. Eine Generation, die an diesen Verfall schon gewöhnt ist, immerhin wurden sie in maroden Schulgebäuden erzogen – mit Schimmel an den Wänden und Toiletten, die nicht funktionieren.
Das Problem mit der Hoffnung heutzutage lautet, dass viele Dinge nicht mehr besser werden. Die Mieten werden, genauso wie die Lebensmittelpreise, nicht plötzlich wieder fallen. Und die Hitzerekorde, jedes Jahr, immer extremer. Es könnte also so aussehen, als ob Hoffnungslosigkeit tatsächlich angebracht wäre.
Aber, und auch dies ist zutiefst Deutsch, es wohnen ach, zwei Seelen in unseren Brüsten. Denn wir merken natürlich alle, dass sich was bewegen muss. Wir sind, die kaputt gesparte Bahn ist dafür ein wunderbares Symbol, sogar sehr genervt davon, dass sich nichts so bewegt, wie es sollte. So sehr wir uns auch an unsere Hoffnungslosigkeit gewöhnt haben, genauso hoffen wir darauf, dass mal wieder, diesmal zitieren wir einen Bundespräsidenten, ein „Ruck“ durchs Land geht.
Und die Hoffnung hält für diesen Ruck beste Neuigkeiten parat. Denn alles, was wir brauchen, um unsere Probleme zu lösen, steht bereit. Es benötigt keine Science-Fiction-Technologie oder abstruse Tricksereien. Wir müssen nur wieder die Hoffnung finden, dass wir zusammen eine bessere Zukunft möglich machen können.
Das Tolle an der Hoffnung ist ja, dass wir sie selber herstellen können. Ja, sie ist ein richtiges Do-it-yourself-Projekt. Hoffnung zeigt uns, dass wir mit unseren Problemen viel weniger allein sind, als wir immer denken. Darum ist der beste Weg, um ganz schnell Hoffnung herzustellen, auch denkbar einfach: um Hilfe bitten.
Denn wer um Hilfe bittet, wird sehr schnell merken, dass überall Leute sind, die auch helfen wollen. Beim Umzug, der Jobsuche und überhaupt in allen Lebenslagen.
Wenn dann Leute helfen, zeigt sich, wie plötzlich die Dinge besser werden können. Und wenn wir merken, dass wir in einem Bereich wirklich etwas zum Besseren bewegt haben, lernen wir, dass Veränderung immer möglich ist, auch woanders, mit anderen Mitteln, und dass wir auch die Chance haben, diese Veränderung herbeizuführen.
Hoffnung hat nämlich die angenehme Tendenz, sich zu multiplizieren. Und gerade jetzt brauchen wir so eine richtige Hoffnungsindustrie, damit wir merken, dass wir die Probleme, die wir haben, durchaus bewerkstelligen können – wenn wir es gemeinsam tun.
Wem um Hilfe bitten zu einfach ist, und wer trotzdem dieses wunderbare Gefühl erleben will, wie viel sich mit einer Gemeinschaft auf die Beine stellen lässt, sollte einem Verein beitreten. Wir engagieren uns seit Jahren in dem Verein 10drei, der in Workshops Schülerinnen und Schülern das Grundgesetz vermittelt. Weil es wichtig ist, dass wir die wirklich tollen Sachen, die in unserem Grundgesetz stehen, an die nächste Generation weitergeben. Denn das ist der Klebstoff, der uns zusammenhält. Die Idee, dass wir an diesem großen Projekt, unserer Demokratie, alle zusammen mitarbeiten müssen.
Denn nur so können wir gemeinsam darauf hoffen, dass wir die Herausforderungen, die zweifelsfrei auf uns warten, auch meistern können. Das ist keine Garantie, dass auch wirklich alles sofort besser wird. Aber dennoch das Versprechen: Wenn wir uns zusammen auf den Weg begeben und uns für das Gute starkmachen, an das wir glauben, dann können wir nach und nach die Gesellschaft bauen, in der wir auch alle leben wollen.
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