Soziale Medien haben in den letzten Jahren die Art und Weise revolutioniert, wie wir miteinander kommunizieren und interagieren. Plattformen wie Facebook, Twitter und Instagram ermöglichen es uns, mit Freunden und Familie in Kontakt zu bleiben, neue Beziehungen zu knüpfen und Ideen auszutauschen.
Doch so sehr diese Medien die Kommunikation vereinfachen, so bergen sie auch Gefahren. Die Algorithmen, die darüber entscheiden, was wir in unseren Feeds sehen, begünstigen oft extreme und polarisierende Ansichten, während differenzierte Sichtweisen untergehen. Das kann den echten Austausch zwischen Menschen erschweren und sogar unmöglich machen.
Algorithmen sind das Herzstück sozialer Medien. Sie analysieren unser Verhalten – welche Posts wir liken, kommentieren und teilen – und zeigen uns mehr von dem, was uns zu interessieren scheint. Das klingt zunächst sinnvoll, führt aber oft dazu, dass wir in sogenannten „Filterblasen“ landen. Das bedeutet: Wir bekommen überwiegend Inhalte zu sehen, die unsere bestehenden Ansichten bestätigen, während gegenteilige Meinungen ausgeblendet werden.
Ein Beispiel: Lisa ist politisch eher links eingestellt und liked und teilt hauptsächlich Beiträge, die ihre Weltanschauung unterstützen. Schon nach kurzer Zeit besteht ihr Facebook-Feed fast nur noch aus linken Inhalten. Sie bekommt den Eindruck, dass die Mehrheit ihre Ansichten teilt. Gegenteilige Meinungen sieht sie kaum noch, außer wenn sie bewusst danach sucht. Lisa lebt in ihrer eigenen Blase, ohne es wirklich zu merken.
Durch die Algorithmen werden nicht nur differenzierte Sichtweisen ausgeblendet, sondern auch extreme Positionen verstärkt. Posts mit radikalen Aussagen oder schockierenden Bildern erzeugen oft starke emotionale Reaktionen und werden dadurch häufiger aufgerufen, kommentiert oder geteilt. Die Algorithmen werten das als Interesse und zeigen diese Inhalte noch mehr Nutzern. So können sich extreme Ansichten schnell verbreiten und die öffentliche Debatte dominieren, auch wenn sie nur von einer Minderheit vertreten werden.
Ein Beispiel: Markus ist sehr skeptisch gegenüber Impfungen. Er abonniert auf Twitter einige Accounts, die seine Meinung teilen. Bald sieht er in seinem Feed fast nur noch Posts, die Impfungen als unwirksam und gefährlich darstellen. Moderate Stimmen, die auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse verweisen, gehen in der Masse unter. Markus hat das Gefühl, dass seine Sicht der Normalfall ist.
Durch die Dominanz von Filterblasen und extremen Meinungen wird ein echter Dialog zwischen Menschen mit unterschiedlichen Ansichten immer schwieriger. Wer ständig nur Bestätigung für die eigene Meinung bekommt, ist weniger offen für andere Sichtweisen. Diskussionen in den Kommentarspalten arten schnell in aggressive Schlagabtausche aus, bei denen es nur darum geht, die eigene Position durchzusetzen. Ein respektvoller Austausch von Argumenten findet kaum noch statt.
Für die Weiterentwicklung der Menschheit und für ein friedliches Zusammenleben – ob privat oder beruflich – sind Auseinandersetzungen hilfreich und förderlich, wenn sie mit dem Ziel geführt werden, einen Konsens zu finden, so dass aus unterschiedlichen Positionen etwas gemeinsames Neues entstehen kann. In der Geschichte gibt es viele Beispiele, wo der konstruktive Austausch von unterschiedlichen Sichtweisen zu Fortschritt und Verbesserungen geführt hat.
Denken wir an die Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert. Durch den Dialog zwischen Arbeitern und Arbeitgebern konnten schrittweise bessere Arbeitsbedingungen und soziale Absicherungen erreicht werden. Oder nehmen wir die Friedensverhandlungen nach Konflikten: Nur wenn alle Seiten bereit sind, aufeinander zuzugehen, kann eine stabile Lösung gefunden werden.
Auch im persönlichen Bereich sind Auseinandersetzungen wichtig für die Entwicklung von Beziehungen. Ein Paar, das lernt, konstruktiv mit Meinungsverschiedenheiten umzugehen, wird daran wachsen. Durch den ehrlichen Austausch lernen beide Partner die Sichtweise des anderen besser verstehen und können gemeinsam Lösungen finden, die für beide passen.
Bei der reinen Schwarz-Weiß-Sicht, die durch soziale Medien oft gefördert wird, ist dieser differenzierte Austausch nicht nötig. Wer anderer Meinung ist, wird schnell zum Gegner erklärt. Es geht nur darum, die eigene Position durchzusetzen. Doch die Wahrheit steckt oft in den Grautönen.
Ein Beispiel: In der Debatte um den Klimawandel stehen sich in den sozialen Medien oft zwei extreme Positionen gegenüber. Die einen leugnen den menschengemachten Klimawandel komplett, die anderen fordern einen sofortigen radikalen Umbau unserer Lebensweise. Ein sachlicher Austausch über sinnvolle, schrittweise Maßnahmen geht in diesem Schwarz-Weiß-Denken unter.
Oder nehmen wir die Diskussion um Einwanderung. In den sozialen Medien dominieren oft zwei extreme Sichtweisen: Entweder wird Einwanderung komplett abgelehnt oder komplett befürwortet. Eine differenzierte Debatte über die Chancen und Herausforderungen von Migration, über Integration und Grenzen findet kaum statt.
Was können wir gegen die Sprachlosigkeit tun? Um den negativen Effekten sozialer Medien entgegenzuwirken, ist es wichtig, sich ihrer bewusst zu sein und aktiv gegenzusteuern. Hier einige Anregungen: Die eigenen Filterblasen sollten hinterfragt werden. Dabei gilt es, bewusst auch Personen und Seiten folgen, die andere Sichtweisen vertreten. Aktiv nach Inhalten suchen, die die eigene Meinung herausfordern.
Informationen aus sozialen Medien prüfen, bevor man sie teilt. Seriöse Quellen nutzen, um Behauptungen zu verifizieren.
In Diskussionen sachlich und respektvoll auf Andersdenkende eingehen. Zuhören, Fragen stellen, fair argumentieren. Es ist wichtig, regelmäßig komplett von sozialen Medien abzuschalten und Beziehungen auch offline zu pflegen, im direkten Gespräch.
Sich ergänzend in etablierten Medien informieren, die hohe journalistische Standards haben und differenziert berichten, ist ebenfalls wichtig. Den persönlichen Dialog suchen: Sich direkt mit Menschen austauschen, die eine andere Meinung haben. Ehrlich versuchen zu verstehen, warum sie so denken. Ruhig den eigenen Standpunkt erklären. Oft stellt man im persönlichen Gespräch fest, dass man gar nicht so weit auseinander liegt. Wer offen für Kompromisse ist, kann akzeptieren, dass es oft nicht die eine perfekte Lösung gibt. Bereit sein, die eigene Position zu überdenken und sich auf Kompromisse einzulassen. Nur so ist ein gemeinsames Vorankommen möglich.
Soziale Medien sind aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Sie bieten viele Chancen, bergen aber auch Risiken. Wenn wir uns dieser bewusst sind und aktiv gegensteuern, können wir die Vorteile nutzen, ohne den echten Dialog zu verlieren. Es liegt an uns allen, wie wir diese mächtigen Werkzeuge einsetzen – für mehr Verständigung oder mehr Spaltung.
Die Gastautorin
Birte Karalus war laut eigenen Angaben eine der erfolgreichsten Talkmaster im deutschen Fernsehen. Über zwei Jahrzehnte stand sie vor Fernsehkameras und auf den relevanten Bühnen von Wirtschaft und Politik.
Heute ist Birte Karalus ausgebildete Mediatorin und Verhandlungsführerin. Als Kommunikationsexpertin ist sie in internationalen Verbänden, Parteien und Unternehmen mit hochkarätigen Teilnehmern aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft genau dafür zuständig: das Potenzial in Konflikten aufzudecken und zu fördern, Meinungen zu moderieren und gemeinsame Lösungen zu erstreiten.
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