Hand aufs Herz: Wie lange liegt der letzte Erste-Hilfe-Kurs zurück? Laut einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag der Techniker Krankenkasse (TK) von 2023 sind das bei jedem vierten Deutschen mehr als 20 Jahre. Da ist noch deutlich Luft nach oben.
Aber es gibt bereits einen positiven Trend: Je einfacher und einprägsamer die Anweisungen sind, desto mehr Menschen haben den Mut, in einer Notsituation zu handeln und wichtige Ersthilfe zu leisten.
Angst vor Fehlern beseitigen wir am besten durch ein Gefühl der Sicherheit
Dies zeigt ein eindrückliches Beispiel. Die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) hat 2013 die Beatmung aus dem Ablauf der Wiederbelebung gestrichen. Seitdem wird in solchen Situationen für Ungeübte lediglich die Herzdruckmassage empfohlen. Das Ergebnis: 2013 haben in Deutschland in 17 Prozent der Fälle Umstehende mit Herzdruckmassage begonnen, wenn jemand kollabiert ist; seit Beginn der Kampagne „Ein Leben retten“ – und der oben genannten Vereinfachung – ist die Zahl bis 2024 auf 50 Prozent gestiegen.
Das ist sehr erfreulich und unterstützt meine Überzeugung: Angst vor Fehlern, einen wesentlichen Hinderungsgrund zum Einschreiten in Notfällen, beseitigen wir am besten durch ein Gefühl der Sicherheit. Und das erlangt man durch wenige, aber klare Abläufe, an die man sich in einer Ausnahmesituation gut erinnern kann.
Schließlich kann man als Laie nach dem Besuch eines Ersten-Hilfe-Kurses keine Routine im Umgang mit Notfällen entwickeln. Wenn man sich, vielleicht Jahre später, plötzlich in einer solchen Situation befindet, muss man sich ans Wesentliche erinnern können, um wirklich effektiv helfen zu können.
Deshalb mein Rat für alle Erste-Hilfe-Kurse und Trainings: Bitte so simpel wie möglich halten! Wenig Theorie und viel Praxis. Intensives Training in kleinen Gruppen, so dass auch jeder wirklich üben kann, ist aus meiner Erfahrung die beste Methode.
Der Gastautor Dr. med. Lüder Warnken
- Dr. med. Lüder Warnken hat viele Facetten: Während er tagsüber als Notarzt Leben rettet, steht er abends auf der Bühne und tourt mit seinem Infotainment-Programm durch ganz Deutschland.
- Auf humorvolle Art nimmt er den Menschen die Angst vor einem Notfall. Zudem macht er sowohl Laien, als auch medizinisches Fachpersonal in kompakten Notfalltrainings fit für den Ernstfall.
- Sein Credo dabei lautet: Im Notfall zu helfen ist ganz einfach.
- Lüder Warnken hat nun im Juni 2024 sein erstes Buch veröffentlicht: „Scheiße, ein Notfall“, 160 Seiten.
- Webseite: lueder-warnken.de
Es ist völlig richtig, wenn wir in der Medizin bei den Behandlungsleitlinien für Notfallpatienten stärker differenzieren. Für den Laien im Notfall ist jedoch Simplifizierung notwendig. „Am besten ganz einfach“, ist deshalb mein Motto, das ich in Notfalltrainings und auf der Bühne mit Beispielen aus meinem Berufsalltag unterhaltsam veranschauliche.
Ein Beispiel: In Krankenhäusern tun sich Ärzte und Pflegekräfte in vielen Fällen schwer, bei Patientinnen und Patienten frühzeitig die Symptome einer Sepsis, also einer Blutvergiftung, zu erkennen. Um das zu verbessern, gibt es für medizinisches Fachpersonal spezielle Tagungen, Workshops und weitere Initiativen. Jetzt aber medizinischen Laien die Aufgabe der Sepsis-Früherkennung zu „übertragen“, mit der die Profis schon Schwierigkeiten haben, führt, völlig unnötig, zu noch mehr Verunsicherungen.
Gleiches gilt für die warnenden Hinweise zur rechtlichen Situation eines Ersthelfers. Zu lange wurde immer wieder über unterlassene Hilfeleistung und Fehler in Notfällen gesprochen. Das motiviert natürlich nicht. Die überraschend positive Tatsache ist, dass man als Ersthelfer rechtlich maximal geschützt ist. Alles andere wäre ja auch fatal.
Selbst in den USA, wo das gegenseitige Verklagen eine Art Volkssport ist, gibt es das sogenannte Samartian Law, das „Samariter-Gesetz“, das Ersthelfer vor rechtlichen Konsequenzen schützt.
Ähnlich sieht es auch in Deutschland aus. Grobe Fahrlässigkeit mal ausgenommen, haften Ersthelfer grundsätzlich nicht für Fehler, die bei der Hilfeleistung in einer Notfallsituation gemacht werden. Denn das Unterlassen einer Hilfeleistung wäre im akuten Notfall schwerwiegender als ein möglicher Schaden durch eine falsch angewendete Maßnahme.
Es gibt nur drei verschiedene Notfallsituationen, die auf uns zukommen können – und jeweils klare Maßnahmen
Man muss sich nur einmal in die betroffene Person hineinversetzen: Wenn man an der Bushaltestelle kollabiert ist und Knie oder Becken auf dem Kopfsteinpflaster zerlegt hat, ist man da nicht mehr als froh, über jemanden, der sich herunterbeugt und Hilfe anbietet – auch wenn einem derjenige dabei versehentlich seinen To-Go-Kaffee über den Mantel schüttet?
Es gibt aber auch Samariter unter uns, die dazu neigen, sich vor lauter Hilfsbereitschaft in ernsthafte Gefahr zu bringen. In den reißenden Fluss hinterherzuspringen oder das lichterloh brennende Haus zu betreten, ist in den wenigsten Fällen hilfreich. An erster Stelle steht in allen Notfallsituationen der Eigenschutz. Nur wer selbst sicher ist, kann anderen helfen.
Aber wie hilft man denn nun richtig? Die gute Nachricht: Es gibt nur drei verschiedene Notfallsituationen, die auf uns zukommen können – und jeweils klare Maßnahmen. Die Erste: Die betroffene Person spricht noch mit mir, hat aber ein ernsthaftes medizinisches Problem. Dann die 112 anrufen und dabeibleiben. Keine Diagnosen und auch keine Therapien an dieser Stelle. Denn selbst als Profi könnte ich, privat in der Fußgängerzone, am medizinischen Problem des Betroffenen in diesem Moment nichts ändern.
Also, am besten ganz einfach! Wenn wir das konsequent umsetzen, wird Deutschland zum besten Ersthelferland
Ist die Person – in Fall Nummer zwei – bewusstlos, atmet aber noch, bitte ebenfalls 112 anrufen und die betroffene Person in die Seitenlage drehen.
In der dritten möglichen Situation ist die Person bewusstlos, atmet nicht, oder man kann das nicht sicher feststellen. Auch hier zuerst 112 anrufen – und sofort mit Herzdruckmassage beginnen. Alles andere ist Aufgabe des Rettungsdienstes.
Also, am besten ganz einfach! Wenn wir das konsequent umsetzen, wird Deutschland zum besten Ersthelferland.
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Ein schönes Beispiel, dafür, wie man als Ersthelfer mit etwas Mut und Basiswissen über sich hinauswachsen kann, zeigt eine Geschichte, die ich im Notarzteinsatz erlebt habe: Wir wurden zu einem Radfahrer gerufen, der sich bei einem Sturz den Arm gebrochen und eine Kopfplatzwunde hatte, die relativ stark blutete. Sein Kumpel, der mit ihm unterwegs war, hatte richtig reagiert und die 112 gewählt. Ebenfalls völlig richtig hatte er den Verletzten aus der Gefahrenzone des Radwegs gebracht und ein sauberes T-Shirt aus der Sporttasche genutzt, um es auf die blutende Kopfwunde seines verletzten Kollegen zu drücken.
Als wir an der Unfallstelle ankamen, hockte er bei dem gegen die Hauswand gelehnten Verletzten auf dem Boden und sprach ruhig mit ihm. Kurz und knapp berichtete er uns, was passiert war – dann übernahmen wir den Patienten. Als sein Freund dann sicher auf der Trage im Rettungswagen versorgt war, guckte uns der Ersthelfer auf einmal komisch an und murmelte: „Und das, obwohl ich doch eigentlich gar kein Blut sehen kann“ und kollabierte – mit uns natürlich in bester Gesellschaft. Keine Sorge: Er war schnell wieder bei Bewusstsein und auch fit. Seine Bereitschaft, sich für einen Kumpel in Not einzusetzen und das nötige Wissen verliehen ihm – körperlich unterstützt durch das Stresshormon Adrenalin – die Kraft, richtig zu handeln.
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