Als Corona im Jahr 2020 über uns hereinbrach, sprach Donald Trump von „chinesischer Grippe“ oder „Kung Flu“. Waren diese Bezeichnungen kreativ oder unnötig? Wie sprechen wir richtig über infektiöse Krankheiten?
Besonders aus der Sicht der Sprachwissenschaft ist das spannend: Schon Wilhelm von Humboldt wies 1836 auf die enge Verbindung zwischen Sprache und Denken hin. Ohne Sprache kein Denken. Dinge und Vorkommnisse, die wir nicht benennen, existieren nicht. Es ist also nicht nur wichtig, was wir sagen, sondern auch, wie wir es sagen.
Bei der Benennung von Krankheiten im Laufe der Geschichte wird, gerade bei Infektionskrankheiten, gerne auf Fremdzuweisungen zurückgegriffen. Es ist stets der andere, von dem die Krankheit stammt.
Mit Blick auf die letzten acht Jahrhunderte lassen sich in Seuchentexten beständige Muster erkennen. Das Substantiv „Seuche“ selbst leitet sich aus dem Adjektiv „siech“, also krank, ab und ist von seiner Wortwurzel unverfänglich. Es bezieht sich auf Krankheiten, die massenhaft bei Mensch oder Tier auftreten und lokale Epidemien oder gar globale Pandemien auslösen. Allerdings wird bei der Benennung von neuen Krankheiten im Laufe der Geschichte, gerade bei Infektionskrankheiten, gerne auf Fremdzuweisungen zurückgegriffen. Es ist stets der andere, von dem die Krankheit stammt, die das Seuchengeschehen auslöst: das Nachbarland, eine ferne Insel, die verfeindete Nation, eine marginalisierte religiöse oder ethnische Gruppe und so weiter.
Als Columbus nach seiner ersten Landnahme auf dem amerikanischen Kontinent 1492 nach Spanien zurückkehrte, erschienen schon bald darauf medizinische Abhandlungen und Ratgebertexte zum „Mal de la Ysla Española“, zum Leiden der spanischen Insel. Einer Insel, die wir in der Folge auch als „Hispaniola“ kennen - heute das Gebiet der Dominikanischen Republik und Haitis. Denn nicht nur die spanischen Kolonisatoren hatten Krankheitserreger mit an Bord - wie etwa das in Europa allgegenwärtige Pockenvirus, das in vielen amerikanischen Gebieten einen großen Teil der indigenen Bevölkerung dahinraffte - sondern auch die spanischen Besatzer. Sie brachten aller Wahrscheinlichkeit nach das Bakterium Treponema pallidum zurück nach Europa, das erst im 19. Jahrhundert als solches identifiziert und nachweisbar wurde.
Die Gastautorin
Dieses über verschiedene Phasen mit und ohne Symptome wirkende Bakterium löste in Europa eine Seuche aus, die den Lauf der europäischen Geschichte, das Denken über Krankheit selbst, aber auch die Mode verändern sollte: die Syphilis. Denn unter den Perücken der aristokratischen Gesellschaft des Barock ließen sich etwa die durch die Syphilis kahlen Köpfe sehr gut verstecken.
Die Bezeichnung Syphilis ist aus der klassischen Mythologie entlehnt. Der aus Ovids Metamorphosen stammende Name geht auf ein Lehrgedicht von Girolamo Fracastoro aus dem Jahre 1530 zurück. Der italienische Gelehrte ärgerte sich darüber, dass die seit den letzten Jahren des 15. Jahrhunderts um sich greifende Krankheit stets eine Projektion auf eine andere Gruppe beinhaltete. So litt man in Italien oder deutschen Landen an den „Franzosen“ beziehungsweise am „mal francese“, fachlicher ausgedrückt am „morbus gallicus“. In Frankreich wurde die Krankheit in Umkehr der Zuweisung aber auch angesichts des geschichtlichen Kontexts als „mal de Naples“ und „mal napolitain“ (neapolitanische Krankheit) bezeichnet oder ganz einfach als italienische Krankheit. Spanien schwenkte bald um auf „mal frances“, französische Krankheit, aber es finden sich auch Nachweise für die Bezeichnung „portugiesische Krankheit“, um sich am ungeliebten Nachbarn abzuarbeiten. Im Gegenzug sprach man in Portugal gerne von „morbus castilanus“ (kastilischer Krankheit), aber auch von französischer oder neapolitanischer Krankheit, während in England die Begriffe „French Pox“ und „Spanish Pox“ populär waren.
In Schottland ging es wiederum um die englische Krankheit, in Norwegen um die schottische, während die russische Bevölkerung in der ersten Phase von der polnischen Krankheit sprach.
In Schottland ging es um die englische Krankheit, in Norwegen um die schottische, während die russische Bevölkerung in der ersten Phase von der polnischen Krankheit sprach. Einerseits lässt sich durch die Benennungsmuster der europäische Ansteckungsweg der ersten Jahrzehnte nachzeichnen, andererseits aber deutet die Vielzahl der Fremdzuweisungen rund um die Syphilis darauf hin, dass es sich um ein sehr altes und durchsetzungsstarkes Muster handelt: Hauptsache, der andere ist schuld. Alternative Benennungen nach äußeren Erscheinungsbildern und Ursachen, zum Beispiel „Morbus pustulatus“, „Lues venerea“ oder „aphrodisiaca“, oder Heiligen, vorzugsweise Hiob oder Rochus, existieren zwar, sind jedoch weniger häufig. Fracastoro mag sich in gelehrten Kontexten durchgesetzt haben mit der Bezeichnung Syphilis - in der Alltagssprache blieben es vielerorts die „Franzosen“.
Ohne hier genau auf den geschichtlichen Kontext der Verbreitung der Syphilis, nämlich den Italienfeldzug Karls XIII. eingehen zu können, erscheint das Muster der Fremdzuweisung dominant. Und das bleibt auch in den folgenden Jahrhunderten so: Bei jeder neuen Epidemie - ob Cholera, Tuberkulose oder HIV/AIDS - greift es aufs Neue.
Laura Spinney zeichnet in ihrer Abhandlung zur Spanischen Grippe von 1918 eine noch perfidere Situation nach: Die Bezeichnung der Epidemie als Spanische Grippe sei vor allem dadurch bedingt, dass zum Ende des 1. Weltkriegs in zahlreichen europäischen Ländern, vor allem Frankreich und Deutschland, Nachrichtensperren verhängt worden waren, nicht aber in Spanien. So konnte die spanische Presse als erste über die virulente Seuche berichten und erhielt den Namenszuschlag, wenngleich die Krankheit sicher nicht dort ihren Ursprung hatte.
Nachdem die moderne Mikrobiologie ab dem späten 19. Jahrhundert Bakterien und Viren eindeutig zu bestimmen gelernt hatte und in der Therapie und Prävention - vor allem durch Antibiotika und Impfungen - im 20. Jahrhundert enorme Fortschritte erzielt wurden, verschwanden einige Krankheiten weitgehend von der Bildfläche, zum Beispiel die Pocken. Parallel dazu haben wir auch in der Sprache Fortschritte gemacht und gelernt, immer zielsicherer neutralere Bezeichnungen zu nutzen - wenngleich mit einzelnen Rückfällen, wie etwa in der ersten Dekade der HIV/AIDS-Epidemie, in der Begriffe wie Schwulenpest oder GRID-Syndrom kursierten.
Die WHO legte 2015 Richtlinien fest, die vermeiden sollen, dass Krankheitsnamen sich auf Menschen und Menschengruppen, Orte, Tiere oder Nahrungsmittel beziehen.
Die WHO legte 2015 entsprechende Richtlinien fest, die vermeiden sollen, dass Krankheitsnamen sich auf Menschen und Menschengruppen, Orte, Tiere oder Nahrungsmittel beziehen. Zudem dürfen sie keinerlei Namensbestandteile haben, die Angst einflößen, sondern sollen vor allem auf Symptome und Erreger Bezug nehmen. Das scheint nicht zuletzt deshalb richtig, da die Herkunft der Erreger in einer globalisierten Welt kaum mehr relevant ist, wohl aber ihre Verbreitung. In diesem Sinn entsprechen auch Bezeichnungen wie Ebola(virus), benannt nach einem zentralafrikanischen Fluss, oder Zika(virus), nach einem Wald in Uganda, nicht mehr den aktuellen Vorgaben. Sind die Namen jedoch einmal in der Welt, lassen sie sich schwer austauschen. Dabei sollten die Namen auch präzise genug sein und nicht an andere Bedeutungen erinnern.
So war Hongkong als Sonderverwaltungsregion, special administrative region, kurz SAR, wenig erbaut über die WHO-Bezeichnung SARS, wenngleich es als Akronym für Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom stand. Ein unangenehmer Zufall.
Im Kontext der aktuellen Pandemie verfahren die verschiedenen Sprachkulturen in ihrer Bezeichnung der Krankheit relativ gleich, da die Benennung nach Erregertyp durchschlagenden Erfolg hatte. Neben der sehr weit auslegbaren Virentypbezeichnung Corona, wird sprachübergreifend meist von COVID bzw. COVID-19 gesprochen. Aber schon beim grammatischen Geschlecht von COVID scheiden sich die Geister, sodass beispielsweise die spanische Sprachakademie kürzlich beide Artikel anerkannte.
Vor kurzem weilte ich in Kurtatsch, auf Italienisch Cortaccia, im Südtiroler Unterland, konkret im Ortsteil Graun (ursprünglich abgeleitet aus „Krone“), der in italienischer Sprache pikanterweise Corona heißt. Wie mögen wohl die Menschen, die auf dieser auf 800 Metern gelegenen „Bergkrone“ des Mendelgebirges zu Hause sind, empfinden in der aktuellen Pandemie? Wir haben jedenfalls auf ein Foto mit dem Ortsschild verzichtet und empfehlen - so es das Pandemiegeschehen dieses Sommers zulässt - eine Reise dorthin ebenso wie einen auch sprachlich vorsichtigen Umgang mit Infektionskrankheiten.
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