Debatte

Wie schneidet die Bundesregierung ab, Frau Römmele?

Die Bundesregierung hat sich in die Sommerpause verabschiedet. Zeit für eine Zwischenbilanz. Was lief gut? Was lief schlecht? Und warum ist die AfD derzeit so beliebt? Ein Gastbeitrag von Andrea Römmele

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Andrea Römmele
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Der Bundestag hat sich in den Sommerurlaub verabschiedet. Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen, findet unsere Gastautorin Andrea Römmele. © istock

Mannheim. Endlich Sommerpause in Berlin – und auch bald bei uns im Südwesten! Die Abgeordneten und die Bundesregierung haben sich in die Ferien verabschiedet. Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Wie hat sich die Ampel in den knapp zwei Jahren nach der Bundestagswahl geschlagen?

Blicken wir zuerst einmal auf die Kriterien, nach denen Regierungen bewertet werden: Da ist die Referenzgröße ganz klar der Koalitionsvertrag mit dem anspruchsvollen Titel „Mehr Fortschritt wagen“. Welche Vorhaben wurden angegangen und umgesetzt?

Als weiterer Referenzpunkt gelten Umfragewerte. Diese sind aber volatil, immer mit Vorsicht zu genießen und hängen auch stark von den erreichten Zielen ab. Und zu guter Letzt gilt auch die Performanz in der B-Note: Wie präsentiert sich die Ampel? Wie steht es um den viel beschworenen neuen Politikstil? Gehen wir diese Punkte einmal gemeinsam durch.

Wenn es an die Umsetzung der strukturellen Reformen geht, verliert sich die Koalition in Stellungskämpfen

Klar ist: Die Ampel hat sich viel vorgenommen, sie ist angetreten als Fortschrittskoalition. „Mehr Fortschritt wagen“ war das große Narrativ, hinter dem sich alle drei Koalitionsparteien versammeln sollten. Die 20er Jahre wurden von Bundeskanzler Olaf Scholz als Jahrzehnt der großen Transformation ausgerufen. Darunter wird nichts weniger als der Umbau der Gesellschaft in eine ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltige Zukunft verstanden. Dafür hätte er auch gerne mindestens zwei Legislaturperioden, denn diese braucht es, um die große Transformation umzusetzen – dies hat der Kanzler mehrfach betont.

Die Gastautorin



  • Andrea Römmele wurde am 22. März 1967 in Stuttgart geboren.
  • Sie studierte Politikwissenschaft an der Universität Heidelberg und der University of California in Berkeley.
  • Römmele arbeitete viele Jahre am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES).
  • Seit 2010 ist Römmele Professorin und Vizepräsidentin an der Hertie School in Berlin. Ihr privater Lebensmittelpunkt ist Mannheim.

Doch bevor die Ampel richtig starten konnte in das Fortschrittsjahrzehnt, stand sie vor einer enormen Herausforderung: Der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine und die darauffolgende „Zeitenwende“ hat die Regierung vor ganz neue Herausforderungen gestellt. In dieser einzigartigen Krise hat sie sehr gut geliefert und Bundeskanzler Scholz eine aktive Führungsrolle auch international eingenommen.

Halten wir einmal fest: Deutschland hat sich innerhalb kürzester Zeit eine neue außenpolitische Doktrin erarbeitet, internationale Partnerschaften geschmiedet; es gab keinen Horrorwinter ohne Heizung und die Heizkostenabrechnungen sind weniger hoch, als noch von manchen befürchtet. Krise kann die Ampel.

Wenn es aber an die Umsetzung der strukturellen Reformen geht, verliert sich die Koalition in Stellungskämpfen. Zu viele handwerkliche Fehler überschatten die eigentlichen Fortschritte. Dabei hat sie schon viel erreicht und auch große Themen angepackt: Sie hat ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz verabschiedet, das Personen, die in Deutschland arbeiten wollen, einen Abschluss und Berufserfahrung in ihrem Heimatland haben, die Einreise ermöglicht.

Warum dringen die Errungenschaften der Ampel nicht durch?

Sie hat die Wahlrechtsreform in Angriff genommen und somit die wirklich notwendige Verkleinerung des Bundestages auf den Weg gebracht. Sie hat ein Bürgergeldgesetz verabschiedet, das das Arbeitslosengeld II ablöst und Menschen vor allem in dauerhafte Jobs vermitteln soll.

Dann ist die Erhöhung des Mindestlohns zu nennen, ein Herzensthema der SPD. Der Ausbau erneuerbarer Energien wurde auf den Weg gebracht und ist ein Meilenstein zur Erreichung der Klimaneutralität. Mit dem Gesetz „Windenergie an Land“ hat sie das Genehmigungsverfahren für Windkraft massiv beschleunigt. Insofern wäre das erste Fazit: Bisher nicht schlecht geliefert, in der Krise sehr gut zusammengehalten, die großen Reformen ein Stück weit zumindest angegangen. Aber warum dringt das nicht durch? Ganz einfach, weil die Art und Weise, wie diese einzelnen Gesetze zustandekommen und wie darüber kommuniziert wird, eine echte Katastrophe sind.

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Wir erinnern uns: Die Fortschrittskoalition ist auch angetreten mit dem Versprechen auf einen neuen Politikstil. Einigkeit und Diskretion verbunden mit einem neuen Kommunikationsstil, der mehr auf Erklären und das Herstellen von Verbindungen setzt. Hier bleibt die Koalition deutlich hinter ihren selbst gesteckten Zielen zurück und setzt leider im negativen Sinne neue Maßstäbe. Dies haben nicht zuletzt die Streitigkeiten um das Heizungsgesetz, das jetzt doch nicht vor der Sommerpause verabschiedet wurde, gezeigt. Oder das Gerangel um die Kindergrundsicherung.

Es zeigt sich immer mehr, dass die Parteien eben auch in der Fortschrittskoalition für sich allein kämpfen

Es zeigt sich immer mehr, dass die Parteien eben auch in der Fortschrittskoalition für sich allein kämpfen: Die zurückliegenden Landtagswahlen haben vor allem der FDP massiv zugesetzt, sie bangt zum Teil um ihr parlamentarisches Überleben. Kanzler Scholz muss sich vor einem möglichen Kanzlerkandidaten Robert Habeck fürchten – wenn ihn nicht sogar jemand aus den eigenen Reihen herausfordert. Und die anstehenden Landtagswahlen in Hessen und Bayern werfen jetzt schon ihre Schatten voraus. Ebenso wie die Wahlen 2024 in drei ostdeutschen Bundesländern.

Die Ampelstreitereien und die AfD

Ist mehr Führung von Olaf Scholz die Lösung? Jein – wir dürfen nicht vergessen, dass wir die schwächste Kanzlerpartei in der Geschichte der Bundesrepublik haben und zwei starke Juniorparteien. So argumentiert auch Olaf Scholz. Aber: Der Kanzler muss stärker moderierend einwirken, ein besseres Frühwarnsystem haben und erneut alle auf das gemeinsame Narrativ einschwören.

Profitiert die AfD von den Ampelstreitereien? Natürlich tut sie das! Die Regierung verspielt das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Politik, eine ganz zentrale Währung in Demokratien. Wären heute Bundestagswahlen, wäre die AfD zweitstärkste Kraft. Wären heute Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg, könnte die AfD laut Umfragewerten – fände sie Koalitionspartner – als stärkste Fraktion den Ministerpräsidenten stellen. Und die AfD spielt um Platz eins im Osten – das hat sie mit Diskussionen um einen möglichen eigenen Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl 2025 schon gezeigt: Wer über Kanzlerkandidaten nachdenkt, hat sicherlich schon konkrete Vorschläge für Ministerpräsidentenkandidaten im Jahre 2024.

AfD ist keine Partei der Protestwähler

Das wichtigste Gebot für alle demokratischen Parteien: sich weder thematisch noch strategisch von der AfD treiben zu lassen. Eigene Themen aktiv setzen. Das passiert bisher zu wenig. Das große Thema Transformation muss mit klaren positiven Narrativen erzählt und gefüllt werden. Es ist wichtig, zu verhindern, dass „Transformation“ das neue Thema der Rechtspopulisten wird („die da oben wissen nicht, wie es uns geht“).

Es ist wichtig, zu verhindern, dass Transformation das neue Thema der Rechtspopulisten wird

Fragen der Migrationspolitik sollten, ja müssen auch aus dem Lager der demokratischen Parteien thematisiert werden, ohne sich dabei rechtspopulistischer Sprache oder Positionierungen zu bedienen. Es ist ein großes und wichtiges Thema für unsere Gesellschaft. Die Wohnungsnot muss klarer und deutlicher in den Fokus rücken. UND: Über Erfolge sprechen (und da hat die Ampel doch einiges vorzuweisen) und auch darüber, wofür sie gemeinsam steht.

Der Streit der Ampel kostet Vertrauen in die Politik. Das Umfragehoch der AfD einzig und allein auf die schlechte Darbietung der Ampel zu schieben – vor allem in der B-Note –, wäre allerdings verkürzt. Die AfD ist keine Partei der Protestwähler, sondern hat sich ihr eigenes Wählerklientel aufgebaut, das zeigt die Wahlforschung klar auf. Es muss den demokratischen Parteien gelingen, über klare Themenpositionierung und Problemlösungen die Wählerinnen und Wähler der AfD zurückzugewinnen.

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