Wie haben Sie es geschafft, Ihre Depression zu überwinden, Herr Golsner?

Roland Golsner ist magersüchtig, leidet unter einer Angststörung, hat mehrere Selbstmordversuche hinter sich. Einen Therapieplatz hat er nicht bekommen. Wie er es geschafft hat, sich wieder aufzurappeln. Ein Gastbeitrag

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Roland Golsner
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Jeder vierte Jugendliche zwischen 18 und 25 Jahren leidet an einer psychologischen Erkrankung, sagt unser Gastautor Roland Golsner. Er kritisiert, dass es viel zu wenige Therapieplätze in Deutschland gibt. © istock

Jeder vierte Jugendliche zwischen 18 und 25 Jahren leidet an einer psychischen Erkrankung. Wieso gibt es immer noch zu wenige Therapieplätze und Aufklärung in unserer Gesellschaft? Mein Name ist Roland Golsner, ich bin 23 Jahre alt und ich habe trotz mehrerer Suizid-Versuche, einer Magersucht und einer Angststörung keinen Therapieplatz bekommen. Der Grund dafür? Keine freien Therapieplätze.

Ich war von Kind an schon etwas dicker und somit die perfekte Zielscheibe für andere Kinder. Mobbing und Hänseleien waren eigentlich meine komplette Schulzeit und in meiner Ausbildung an der Tagesordnung. Ich kann keinen genauen Zeitraum mehr nennen, aber ich glaube, mit etwa zehn Jahren begann meine erste Diät. Ich war in diesem Alter schon voller Selbstzweifel und hatte einem enorm großen Selbsthass.

Als ich 15 Jahre alt war, nahm sich meine beste Freundin ihr Leben. Daraufhin stürzte ich in eine tiefe Depression. Mein erster Suizid-Versuch folgte – und scheiterte zum Glück. Ich machte weiter und versuchte, einen Therapieplatz zu bekommen, doch wurde immer wieder abgewiesen. „Die Wartelisten sind zu voll. Wir können Ihnen keinen Platz anbieten“.

"Als ich 15 Jahre alt war, nahm sich meine beste Freundin ihr Leben. Daraufhin stürzte ich in eine tiefe Depression"

Also war ich alleine auf mich gestellt und versuchte, das Beste aus der Situation zu machen. Nach meiner Schulzeit begann ich eine Ausbildung – und alles ging wieder von vorne los. Nur diesmal war es mein Chef, der mich aufgrund meines Gewichtes so fertig machte. Der ausschlaggebende Punkt war damals ein Satz meines Chefs, den ich nie wieder vergessen werde. Er sagte während der Vorbereitungen für unsere Weihnachtsfeier vor meinen Augen zu unserer Reinigungskraft: „Roland muss schneller arbeiten, er ist viel zu fett“. Ich glaube, an diesem Punkt ist irgendetwas in mir kaputt gegangen.

An jenem Abend fuhr ich nach Hause, plante direkt meine Neujahrsdiät und meldete mich im Fitnessstudio an. Die ersten Kilos verlor ich sehr schnell und ich bekam extrem viele Komplimente – was mich noch mehr anspornte. Ich wurde endlich von meinen Mitmenschen gesehen. Ich war endlich mal gut in etwas. Nachdem ich immer langsamer abnahm, reduzierte ich sehr viel von meinem Essen und machte immer mehr Sport. Schließlich wurde ich stark magersüchtig. „Der dicke Roli“ war auf einmal nur noch der „krankhaft dünne Roli“.

"Ist es nicht verrückt, für sich selbst sorgen zu müssen, weil man keine professionelle Hilfe bekommt?"

Ich konnte kaum ein paar Meter laufen, ohne direkt zusammenzubrechen. Ich wusste, dass ich krank bin und wollte das ändern. Ich wusste, dass ich sterben werde, wenn ich noch weiter abnehmen würde. Weitere Versuche, einen Therapieplatz zu finden, scheiterten erneut. In dieser Zeit folgten noch mehrere Suizid-Versuche. Doch ich habe es nie geschafft.

Nachdem ich keine Hilfe fand, machte ich mich im Internet schlau, was ich machen könnte und stieß dabei auf das „Journaling“. Meine Gedanken aufzuschreiben und loszubekommen, war meine einzige Hilfe. Und wie hier zu lesen ist, war sie für mich extrem effektiv, denn ich bin immer noch hier, worüber ich sehr dankbar bin.

Mein Buch „What makes you feel like yourself?“ berichtet über meine Geschichte und die hoffnungslose Suche nach einem Therapieplatz. Unter anderem soll es dazu dienen, sich selbst zu reflektieren und die negativen Gedanken in positive umzuwandeln. Sozusagen ist dieses Buch ein Art Journal oder eine Art Tagebuch.

Was mich dazu motiviert hat, dieses Buch zu schreiben? Das Journaling war damals meine einzige Hilfe, um am Leben zu bleiben. Es half mir dabei, mich selbst zu reflektieren, meine Gedanken zu sortieren und mich auf eine positive Zukunft zu fokussieren. Viele Seiten dieses Buches stammen aus meinem alten Tagebuch, in dem ich die schlimmsten Tage meines Lebens dokumentiert habe. In einer kleinen schwarzen Box unter meinem Bett versteckt, lag dieses kleine Heft voller dunkler Gedanken. Ich wollte nicht, dass jemals jemand dieses Buch findet und bemerkt, wie schlecht es mir doch eigentlich geht.

Der Gastautor



  • Roland Golsner ist 23 Jahre alt, hat mehrere Selbstmordversuche hinter sich, leidet an Magersucht und einer Angststörung.
  • Bekannt geworden ist Golsner unter seinem Spitznamen Roli und seinem Instagram-Account@itsrolislife“.
  • Golsner arbeitet in einer psychiatrischen Einrichtung und informiert in sozialen Netzwerken über psychiatrische Erkrankungen und mentale Gesundheit.
  • Was ihm geholfen hat, ist das Journaling. Das Schreiben half ihm, seine Gedanken zu ordnen.
  • Zuletzt erschien sein erstes Buch „What makes you feel like yourself?“ im mvg-Verlag.

Heute versuche ich auf verschiedenen sozialen Netzwerken und jetzt als Autor, anderen Jugendlichen zu helfen, denen es so geht, wie es mir einmal ging. Unter anderem arbeite ich in einer psychiatrischen Einrichtung, in der ich Menschen mit psychischen Problemen betreue und sie in ihrem Lebensalltag unterstütze. Ist es nicht verrückt, in solch einem Alter für sich selbst sorgen zu müssen, weil man keine professionelle Hilfe bekommt? Was muss sich ändern?

Meiner Meinung nach sollte schon in der Schulzeit über psychische Erkrankungen und die passenden Hilfsangebote aufgeklärt werden. Soweit ich mich erinnern kann, wurde in meiner Schulzeit kein einziges Wort über dieses Thema verloren.

Hilfe in schwierigen Lebenssituationen

  • Kreisen Ihre Gedanken darum, sich das Leben zu nehmen? Hier finden Sie Hilfe bei der Telefonseelsorge, anonym und rund um die Uhr. Unter der kostenlosen Hotline 0800/1110111 oder 0800/1110222 erreichen Sie Berater, die Auswege aus schwierigen Lebenssituationen aufzeigen können.
  • Das muslimische Seelsorgetelefon ist rund um die Uhr unter der Telefonnummer 030/443509821 erreichbar.
  • Bundesweit gibt es eine Vielzahl von Beratungsstellen für Menschen mit Suizidgedanken. Eine Übersicht gibt die Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention

Außerdem müssen dringend mehr Therapieplätze geschaffen werden. Dass es zu wenig psychologische Hilfe gibt, hängt unter anderem auch damit zusammen, dass man für ein Psychologie-Studium einen überdurchschnittlichen Notendurchschnitt braucht. Ist das sinnvoll? Sollte dieser Schnitt nicht gesenkt werden?

Ich kenne einige Menschen, die als Selbstzahler direkt einen Therapieplatz bekommen haben, da es eben so dringend war und sie nicht weitere acht bis zwölf Monate warten wollten. Ob das eine sinnvolle Lösung ist, weiß ich wiederum auch nicht. Eine Stunde kostet zwischen 50 und 100 Euro! Wie soll ein Durchschnittsverdiener sich so etwas leisten können?

Nicht jeder Mensch schafft es, allein durch solch eine Zeit zu gehen und ich denke, dass ich eine der wenigen Menschen bin, die das geschafft haben. Über einen Therapieplatz wäre ich im Übrigen immer noch sehr dankbar, da einige Traumata einfach nicht allein zu stemmen sind.

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Auch mein Buch kann auf keinen Fall eine professionelle Therapie ersetzen. Dazu fehlt mir verständlicherweise das nötige Wissen dazu. Ich spreche nur aus eigener Erfahrung und darüber, wie ich damit umgehen konnte.

Es ist möglich, das Journaling auf verschiedene Weisen zu nutzen. Entweder allein für sich selbst, um es auch in fünf Jahren noch einmal anschauen zu können. Oder auch für Angehörige, denn es fällt uns meistens sehr schwer, offen über unsere Gefühle und Gedanken zu sprechen. Dabei wäre es möglich, dieses Journal der Familie oder den Freunden zu geben, damit sie es lesen können und erfahren, was im Kopf des anderen los ist. Unter anderem können Betroffene das Journal auch zu Erstsitzungen in Therapien mitbringen und ihre Gedanken dem Therapeuten oder der Therapeutin zeigen. Denn ich glaube, viele wissen nicht, was sie eigentlich sagen wollen.

"Ich weiß, wie schwer es ist, sich eingestehen zu müssen, dass man krank ist"

Falls es hier den ein oder anderen Betroffenen gibt, ist das jetzt für Dich: Es gibt immer einen Weg aus dieser Dunkelheit und egal, wie aussichtslos alles scheint – gebe niemals auf. In ein paar Jahren wird alles nicht mehr so weh tun, wie gerade. Es wartet eine wunderschöne Zukunft auf Dich. Es ist völlig in Ordnung, sich Hilfe zu suchen und Hilfe anzunehmen. Du bist nicht allein mit dem, was Du hast. So viele Menschen auf dieser Welt leiden an einer psychischen Erkrankung.

Heutzutage gibt es viele Online-Angebote, Nummern gegen Kummer und E-Mail-Angebote, an die Du Dich jederzeit und kostenlos wenden kannst. Schäme Dich nicht dafür. Ich weiß, wie schwer es ist, sich eingestehen zu müssen, dass man krank ist. Du bist nicht allein!

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