Steht Deutschlands Autoindustrie vor dem Aus, Herr Weik?

Die fetten Jahre deutscher Automobilproduzenten sind bald vorbei. Der Produktionsstandort Deutschland verliert kontinuierlich an Attraktivität. Kommt jetzt das Zeitalter der chinesischen Autobauer? Ein Gastbeitrag

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Matthias Weik
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Deutschland wird seine Rolle als Sinnbild der Automobilindustrie wohl bald an China verlieren, sagt unser Gastautor Matthias Weik. © Daniel Josling/dpa

Die Automobilindustrie ist die größte Branche des Verarbeitenden Gewerbes in Deutschland und gemessen am Umsatz der wichtigste Industriesektor. 2022 erwirtschafteten die Unternehmen der Branche knapp 506 Milliarden Euro und beschäftigten rund 734 000 Arbeitskräfte. Mehr als zwei Drittel der in Deutschland produzierten Fahrzeuge werden ins Ausland exportiert.

Doch die goldenen Zeiten der Automobilproduktion am Standort Deutschland haben hingegen ihren Zenit längst überschritten. In Deutschland werden immer weniger Fahrzeuge produziert. Dem Ifo-Präsidenten Fuest zufolge hat die Automobilbranche ihre Produktion in Deutschland seit 2018 dramatisch zurückgefahren: „Ein Drittel der Produktion ist weg, und ob sie zurückkommt, weiß niemand“.

2018 sank die deutsche Pkw-Produktion im Vorjahresvergleich um 9,4 Prozent, 2019 um 9 Prozent, 2020 um 24,7 Prozent und 2021 um 11,7 Prozent. 2022 und im ersten Quartal 2023 wuchs sie zwar im Vergleich zum Vorjahr, dennoch ist sie von früheren Höchstständen noch weit entfernt – und wird diese mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nie wieder erreichen, denn aus Fernost droht der Schlüsselindustrie Ungemach.

China ist der mit Abstand größte und wichtigste Markt für Automobilhersteller. Lange war das Land für deutsche Autobauer ein Riesengeschäft. Im Jahr 2021 wurden etwa 37,4 Prozent aller Fahrzeuge der Hersteller Volkswagen, Daimler und BMW in China abgesetzt. VW verkaufte rund 40 Prozent seiner Fahrzeuge im Reich der Mitte und war Marktführer. Mittlerweile haben Deutschlands Autobauer nicht nur mit Gegenwind aus Teilen der Bevölkerung und der Politik zu kämpfen, sondern auch mit gewaltigen Konkurrenten. Diese produzieren zu wesentlich niedrigeren Löhnen, bei laxeren Umweltvorschriften und mit wesentlich günstigerer Energie. Obendrein befinden sie sich zumeist unter der staatlichen Kontrolle einer Supermacht.

Die einst belächelten Autobauer aus dem Reich der Mitte sind auf dem Vormarsch. Noch kauft Deutschland unter anderem Konsumgüter aus China und verkauft im Gegenzug hochpreisige Luxusautos dorthin. Noch baut kaum jemand bessere Benzin- und Dieselmotoren als Deutschlands Autobauer. Das Geheimnis des Erfolgs von Deutschlands Autoherstellern ist der Antrieb. Doch diese Zeiten könnten mit dem Aufkommen der Elektroautos vorüber sein. Stephan Wöllenstein, ehemaliger China-Chef des Volkswagen-Konzerns, stellte Ende 2021 fest, dass es die chinesische Autoindustrie nach einer jahrzehntelangen Aufholjagd mit der des Westens aufnehmen könne. „Bei Elektroautos, beim autonomen Fahren und bei der Konnektivität sind nun einige chinesische Anbieter mindestens gleichauf“.

Wöllensteins Aussage scheint sich schneller als gedacht zu bewahrheiten und es zeigt sich, wie schnell sich die Verhältnisse ändern können. Die Verkaufszahlen aus dem ersten Quartal 2023 zeigen eine Trendwende. Für Deutschlands Autobauer geht es in China beängstigend bergab. Volkswagen hat erstmals seit Jahrzehnten die Marktführerschaft und seine Spitzenposition an den chinesischen BYD-Konzern verloren. Laut dem Handelsblatt setzte BYD von Januar bis März 2023 knapp 441 000 Autos in China ab. Das ist ein Plus von 68 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. VW verkaufte mit 428 000 Autos 14 Prozent weniger als im selben Zeitraum 2022. In China zeichnet sich für Deutschlands Autobauer ein gefährlicher Trend ab. Insbesondere auf dem E-Automarkt haben sie wohl den Anschluss verloren. Das Magazin „auto motor und sport“ schreibt: „Sie (deutsche E-Autos) sind entweder zu teuer, zu wenig digital vernetzt oder können bei den wichtigen Daten nicht mit den chinesischen Konkurrenten mithalten.“

Heute sieht es danach aus, dass gegenwärtig in China eine neue Epoche beginnt. Die Herrschaft deutscher Autobauer basierte auf Modellen mit Verbrennungsmotor. Diese scheint nun zu enden. Jetzt beginnt offenkundig das Zeitalter von in Europa noch fast unbekannten Marken wie BYD, Geely, Nio, Xpeng und Great Wall. Nirgends laufen Elektroautos besser als in China. 2021 wurden im Reich der Mitte noch 18,4 Millionen Pkw mit Otto- oder Dieselmotor verkauft, ein Jahr später waren es nur noch 15,4 Millionen. Der Absatz von Elektroautos hat sich binnen eines Jahres auf fast vier Millionen Pkw verdoppelt. Gegenwärtig sieht es danach aus, dass deutsche Autobauer nicht auf der chinesischen E-Auto-Welle mitsurfen. Dies belegen beispielsweise die Zahlen verkaufter Elektroautos bei Volkswagen. Dem Handelsblatt zufolge konnte VW im Januar und Februar 2023 zusammen lediglich 6300 E-Autos verkaufen.

Die „Financial Times“ bestätigt diese These in ihrem Artikel von Robin Harding vom 1. Juni 2022: „Elektrofahrzeuge beschleunigen die sich abzeichnende Dominanz Chinas als Autoexporteur.“ Harding zufolge war die Eröffnung des Tesla-Werks in Schanghai, des ersten vollständig in ausländischem Besitz stehenden Werks im größten Automarkt der Welt, im Jahr 2019 ein Durchbruch für Elektrofahrzeuge und ausländische Automobilhersteller. Sie markiert den Beginn eines noch größeren Trends: des Aufstiegs Chinas zu einem Autoexporteur. Dieser Trend wird einhergehen mit einer grundlegenden Neuordnung der Struktur der weltweiten Produktion, und er wird eine neue Welle der De-Industrialisierung in Europa auslösen.

Während China noch vor einigen Jahren kaum Pkw exportierte, waren es im Jahr 2021 bereits eine halbe Million Elektrofahrzeuge. Sobald Elektromotoren Verbrennungsmotoren ersetzt haben, wird China mit hoher Wahrscheinlichkeit den Markt dominieren. Laut „Financial Times“ hätte eine Verlagerung der Automobilproduktion noch größere Auswirkungen als die Abwanderung der Stahl-, Elektronik- oder Schiffbauindustrie in der Vergangenheit.

Im Gegensatz zu Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren sind Elektrofahrzeuge hochtechnologisch, aber nicht so komplex. Folglich erfordert der Bau eines Verbrennungsmotors ein umfassendes technisches Fachwissen und ein umfangreiches Netz von Zulieferern. Zwar erfordert die Montage von Elektrofahrzeugen zahlreiche Fertigkeiten des traditionellen Automobilbaus, sie lässt sich aber laut Harding mit der Montage von Elektroartikeln vergleichen. Bei der Produktion von Solarmodulen und Unterhaltungselektronik dominiert der Standort China bereits heute aus Kostengründen unbestritten.

Für das Szenario, dass sich Elektroautos, aus welchen Gründen auch immer, nicht durchsetzen werden, hat das Reich der Mitte vorgesorgt: Es setzt parallel weiter auf Verbrenner. Während Deutschland und Europa alles auf die Karte „Elektromotoren“ setzen und der Verkauf von Neuwagen mit Verbrennungsmotor voraussichtlich ab 2035 in der EU nicht mehr möglich ist, fährt China zweigleisig.

Im Juli 2022 senkte die chinesische Regierung den Steuersatz für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren mit bis zu 2 Litern Hubraum von 10 auf 5 Prozent. Auf sogenannte New Energy Vehicles (reine Elektroautos und Plug-in-Hybride) wird keinerlei Steuer erhoben. Mit der Steuersenkung schwindet der Vorteil für die Elektromobilität.

Laut Alexander Timmer von der Beratungsfirma Berylls Group werden Dieselfahrzeuge und Benziner bis 2030 das Rückgrat der chinesischen Mobilität bilden. Ein Anteil von rund 300 Millionen Autos des chinesischen Fahrzeugbestands (71 Prozent) wird mit einem Verbrennungsmotor als Hauptantriebseinheit unterwegs sein. Als ein Grund für die anhaltende Nachfrage gibt Timmer das Bedürfnis nach bezahlbarer Mobilität der immer größer werdenden Zahl chinesischer Autofahrer an. Offenkundig setzen deutsche Automobilproduzenten in China weiterhin auf klassische Antriebe.

Von Seiten der EU dürfen noch bis 2035 Benziner, Diesel- oder Hybridfahrzeuge, mit Ausnahme für klimaneutrale, synthetisch hergestellte Kraftstoffe, sogenannte E-Fuels, zugelassen werden. China hingegen hat ein Verbot von Verbrennern ausgeschlossen. Die deutschen Automobilhersteller mit Ausnahme von BMW stellen die Entwicklung neuer Motoren für Benzin- und Dieselfahrzeuge noch in diesem Jahrzehnt ein. Ob die Elektrostrategie der deutschen und europäischen Automobilhersteller aufgeht und ob Verbrennerverbote in anderen Ländern tatsächlich kommen werden, wird die Zukunft zeigen.

Thomas Koch ist Leiter des Instituts für Kolbenmaschinen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Er sieht als Konsequenz eines Verbrennerverbots für deutsche Unternehmen und die Forschung die Einstellung von Entwicklungsaktivitäten. Dies wiederum werde dazu führen, dass Firmen und Fachkräfte in Regionen abwandern, in denen die Technologie nicht geächtet wird, das heißt beispielsweise nach China, Japan und in die USA. „Dort entwickelt man die Technologie weiter“, so Koch. „Was folgt, ist ein dramatischer und massiver Know-how-Verlust in Deutschland. Den haben wir bereits die letzten Jahre, und wir sind dabei, die Weltmarktführerschaft abzugeben.“

Der Gastautor

Matthias Weik befasst sich seit über zwei Jahrzehnten mit dem Thema Finanzen und ist Experte für Exitstrategien.

Er zählt laut eigenen Angaben seit Jahren zu den verlässlichsten Bestseller-Autoren im Bereich Wirtschaft und Finanzen.

Im März 2023 ist sein sechster Bestseller „Die Abrechnung“ erschienen. Matthias Weik bezeichnet sich selbst nicht als Pessimist oder Optimist, sondern als Realist.

www.matthias-weik.com

"Die einst belächelten Autobauer aus dem Reich der Mitte sind derzeit auf dem Vormarsch"
"Die Herrschaft deutscher Autobauer basierte auf dem Verbrennungsmotor. Diese scheint nun zu enden"
"Ob die Elektrostrategie der deutschen und europäischen Automobilhersteller aufgeht, wird die Zukunft zeigen"

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