Neben Taiwan ist das Südchinesische Meer derzeit der geopolitische Hotspot im Indopazifik. Der ultimative Anspruch Chinas auf fast 90 Prozent des Seegebiets führt zu Territorialkonflikten mit den südostasiatischen Anrainerstaaten und heizt die Spannungen mit dem Machtrivalen USA in der Region an. Die Volksrepublik China hat im Südchinesischen Meer im letzten Jahrzehnt zahlreiche künstliche Inseln aufgeschüttet und zu militärischen Stützpunkten ausgebaut. Und es setzt den Prozess der Landgewinnung weiter fort. Das zunehmend repressive Vorgehen Chinas gegen Schiffe und Flugzeuge anderer Staaten in den umstrittenen Gebieten erhöht die Gefahr von Unfällen und könnte schnell zu einer militärischen Konfrontation führen.
Die USA fordern die Achtung des internationalen Seerechts und die Einhaltung der Prinzipien der regelbasierten Ordnung. Dazu gehören offene und sichere See- und Handelswege. Für China geht es um strategische Tiefe zum Schutz seiner kritischen Infrastruktur in den Küstengebieten und um Machtprojektion im Westpazifik. Das Südchinesische Meer hängt zudem eng mit der Taiwan-Frage zusammen. Sollte China Taiwan angreifen, würde das gesamte Seegebiet im Südwestpazifik zum Kriegsschauplatz werden.
Das Südchinesische Meer hat eine hohe strategische Bedeutung. Etwa ein Drittel der weltweiten Rohöl-Exporte werden auf dem Seeweg durch das Südchinesische Meer transportiert, die wichtigsten Seerouten für Güter- und Rohstofftransporte von Europa und Nahost in Richtung Asien führen durch dieses Gebiet. Es verfügt über reiche Fischbestände und es werden große Öl- und Gasvorkommen vermutet. Auf die Riffe und Atolle im Südchinesischen Meer erheben neben China auch die Anrainerstaaten Vietnam, Malaysia, Brunei, die Philippinen und Taiwan Anspruch und ihre exklusiven Wirtschaftszonen überlappen sich dabei teilweise oder ganz.
China begründet seine Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer mit angeblichen historischen Rechten und markiert diese mit der sog. „Nine-Dash-Line“, einer aus neun Strichen bestehenden Demarkationslinie auf der Landkarte des umstrittenen Seegebietes. Die Linie ist nur wage definiert und hat keine geografischen Koordinaten. Dies lässt Spielraum für Interpretationen über das tatsächliche Ausmaß der Ansprüche.
Ende 2012 hat China damit begonnen, einzelne Felsen, Riffe und Atolle im Südchinesischen Meer zu künstlichen Inseln aufzuschütten und mit Infrastruktur zu bebauen. Dies löste Sorgen unter den Anrainerstaaten aus, die diese Gebiete für sich reklamieren und zum Teil seit Jahrzehnten wirtschaftlich nutzen. Die im Pazifik vorherrschende Militärmacht USA verfolgte die Bauarbeiten aufmerksam, unternahm gegen den chinesischen Landgewinnungsprozess aber zunächst nichts. Die US-Administration war zu dieser Zeit vorrangig mit den Krisen in Afghanistan, Syrien und dem Iran beschäftigt.
Erst als China begann, auf einigen Inseln umfangreiche Militäreinrichtungen zu installieren, gingen in Washington die Alarmglocken an. Die USA verstärkten ihre militärische Präsenz in der Region und führten im Südchinesischen Meer strategische Patrouillen sowie kombinierte und multinationale Manöver durch. Seit 2015 durchfahren Schiffe der US-Navy regelmäßig die Gewässer in der Nähe der künstlichen Inseln im Rahmen des Programms „Freedom of Navigation Operation“ (FONOP). Damit soll China deutlich gemacht werden, dass dessen Territorialansprüche im Südchinesischen Meer nicht akzeptiert werden.
Bei den von China besetzten und künstlich ausgebauten Inseln handelt es sich vor allem um die Paracel-Inseln (beansprucht von Vietnam und Taiwan) und das Spratly-Archipel (beansprucht von Vietnam, Malaysia, Brunei und den Philippinen). China unterhält in der Paracel-Inselgruppe rund 20 Außenposten, von den Spratly-Riffen hat es sieben Inseln eingenommen, aufgeschüttet und zu Stützpunkten ausgebaut. Seit 2012 hat Peking zudem das vor der philippinischen Küste gelegene Atoll Scarborough Shoal unter seine Kontrolle gebracht, hier allerdings (noch) keine Strukturen errichtet.
Die Aneignung des Atolls war der Grund dafür, dass die Philippinen am 22. Januar 2013 ein Schiedsverfahren gegen die Volksrepublik China gemäß Anhang VII des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen einleiteten. Der Prozess endete 2016 durch den Schiedsspruch des Ständigen Schiedshofes in Den Haag, der die chinesischen Gebietsansprüche auf Basis der „Nine-Dash-Line“ als nicht berechtigt ablehnte. Peking erkennt allerdings die Entscheidung des Schiedshofes nicht an, genau wie China den Prozess bereits als solchen nicht anerkannt hatte.
Der chinesische Staatsrat hat 2012 die umstrittenen Gebiete im Südchinesischen Meer in die Verwaltungsstruktur Chinas eingegliedert und damit quasi annektiert. Die auf Woody Island liegende Sansha City wurde zu einem Administrationszentrum auf Präfektur-Ebene erklärt und der Provinz Hainan zugeordnet. Zu ihrem Zuständigkeitsbereich zählen rund 280 Inseln, Untiefen, Riffe und die umliegenden Seegebiete von einer Gesamtfläche von fast 2 000 000 Quadratkilometern. Dies entspricht etwa der sechsfachen Fläche der Bundesrepublik Deutschland.
Einige der von China annektierten und künstlich aufgeschütteten Inseln im Südchinesischen Meer sind mittlerweile zu mächtigen Militärstützpunkten ausgebaut worden. Auf den drei größten Inseln der Spratly-Gruppe – Fierry Cross Reef, Subi Reef und Mischief Reef – wurden Flughäfen mit drei Kilometer langen Landebahnen errichtet, wo auch große Militärflugzeuge wie zum Beispiel strategische Bomber landen können.
Die Flughäfen verfügen über befestigte Hangars für Kampfjets und größere Hallen, in denen Bomber, Tank- und Transportflugzeuge untergebracht werden können. Die Inseln haben Hafenanlagen mit Anlegemöglichkeiten für sehr große Schiffe, einschließlich U-Boote. Darüber hinaus gibt es moderne Kommunikationsanlagen, Radarkuppeln und Antennen sowie Raketensysteme zur Luftabwehr und Schiffsbekämpfung. Mit diesen Inseln kann China große Teile des Südchinesischen Meeres militärisch überwachen und kontrollieren.
Warum ist China so stark an der Kontrolle der riesigen Seegebiete interessiert? Das Südchinesische Meer ist vermutlich das Hauptgebiet für die Patrouillen von Chinas strategischen U-Booten, die ein wichtiger Teil der nuklearen Abschreckung sind. Die chinesische Atom-U-Boot-Flotte ist in Sanya auf der Insel Hainan stationiert. Dort befindet sich auch Chinas neuester und leistungsfähigster Weltraumbahnhof Wenchang, der besonders wichtig für Pekings Weltraumprogramm ist. Vor diesem Hintergrund wird ersichtlich, dass für China das Südchinesische Meer als Schutzzone für seine kritische Infrastruktur in den südlichen Küstengebieten oberste Priorität hat.
Um dem aggressiven territorialen Auftreten Chinas im Südchinesischen Meer entgegenzuwirken, sind die USA verstärkt darum bemüht, ihre Sicherheitsoptionen im westlichen Pazifik zu erweitern. Dafür werden neue regionale Sicherheitsallianzen sowie eine erweiterte militärische Zusammenarbeit mit Verbündeten in der Region angestrebt.
Im Februar 2023 wurde bekannt gegeben, dass die USA auf den Philippinen im Rahmen des Erweiterten Verteidigungsabkommens (EDCA) neben den bereits mitgenutzten fünf Militärbasen Zugang zu weiteren vier Stützpunkten im Norden des Landes erhalten. Diese neuen Standorte liegen strategisch günstig in der Nähe zu Taiwan und der Südküste Chinas, die Spratly-Inseln befinden sich ebenfalls in deren operationellen Reichweite. Auch mit anderen südostasiatischen Staaten unterhält Washington militärische Beziehungen. Engster Partner in der Region ist Singapur. Mit Vietnam und Indonesien führen die US-Streitkräfte regelmäßig militärische Übungen durch.
Die Europäische Union und Deutschland sind von der Entwicklung im Südchinesischen Meer direkt betroffen. Als einer der wichtigsten Handels- und Investitionspartner in Südost- und Ostasien ist Europa von freien und sicheren Seewegen sowie von einer stabilen Sicherheitslage in der Region abhängig. Schon eine Beeinträchtigung oder Blockade des Verkehrs durch die Straße von Malakka würde gravierende Folgen für die EU-Wirtschaft haben. Ein militärischer Konflikt in der Region würde die gesamte Weltwirtschaft in eine schwere Krise stürzen.
Sowohl die EU als auch Deutschland haben deshalb strategische Leitlinien für den Indopazifik entwickelt. Darin werden die wichtigsten Interessen und Prinzipien für politisches Vorgehen in der Region aufgelistet. Dazu gehören neben Frieden und Sicherheit, Multilateralismus, regelbasierten Ordnung und Menschenrechten auch freie Seewege, offene Märkte und Freihandel sowie Klima- und Umweltschutz.
Die sicherheitspolitischen Handlungsoptionen sind allerdings beschränkt. Europa und Deutschland können militärisch wenig bis nichts zur Sicherheit im Südchinesischen Meer beitragen. Sie haben jedoch die Möglichkeit, die Kosten-Nutzen-Kalkulation der chinesischen Führung zu beeinflussen und sie somit von einer militärischen Eskalation in der Region abzuschrecken. Als wichtige Handelspartner Chinas können Deutschland und die EU mit der Androhung von Sanktionen erheblichen Druck auf die Regierung in Peking ausüben. Zudem können sie durch die Erweiterung und Vertiefung der Beziehungen zu den Staaten in Südostasien, vor allem in den Bereichen Wirtschaft, Innovation und Entwicklung, Chinas wachsendem Einfluss in der Region entgegenwirken.
Militärische Präsenz vor Ort – wie mit der in diesem Jahr geplanten Entsendung von zwei Schiffen der Bundesmarine – hat eher symbolische Bedeutung. Sie kann aber als Zeichen der Solidarität und Kooperation von unseren Partnern in der Region verstanden werden und wird auch aktiv eingefordert.
Der Gastautor
Jan Senkyr ist Referent für Außen- und Sicherheitspolitik in der Hauptabteilung Analyse und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung. Zuvor war er Leiter der Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Indonesien, Malaysia, der Türkei und Marokko.
Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung hat 18 Bildungsforen in Deutschland und ist in über 100 Ländern weltweit mit Büros vertreten. Sicherheit ist neben Innovation und Demokratie eines der drei Schwerpunktthemen der aktuellen Stiftungsarbeit.
"Sollte China Taiwan angreifen, würde das gesamte Seegebiet im Südwestpazifik zum Kriegsschauplatz werden"
"Die Inseln haben Hafenanlagen mit Anlegern für sehr große Schiffe, einschließlich U-Boote"
"Ein militärischer Konflikt in der Region würde die gesamte Weltwirtschaft in eine schwere Krise stürzen"
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