Das Wichtigste in Kürze
- Der Fischkauf ist komplex. Verbraucher sind oft unsicher.
- Das MSC-Siegel bietet Orientierung für nachhaltigen Wildfisch.
- Karpfen und Forelle sind gute, nachhaltige Arten.
Welchen Fisch kann man überhaupt noch mit gutem Gewissen essen? Diese häufig gestellte Frage ist, streng genommen, gar keine Frage. Es ist ein Hilferuf. Denn die Kundschaft steht zunehmend ratlos vor der Fischtheke, die sich zu einem Ort kulinarischer Verunsicherung entwickelt hat. Schon die Entscheidung zwischen Aquakultur oder Wildfang, also zwischen einem Fisch aus dem Zuchtbecken oder einem Fisch aus dem Meer, überfordert viele Verbraucherinnen und Verbraucher. Die Meere gelten doch als überfischt, sagt sich der Kunde, aber sind denn die Zuchtanlagen nicht eine Massentierhaltung unter Wasser?
Wissen der Verbraucher ist eher dürftig
Tatsächlich ist das Wissen um die Fische, die zahlenmäßig wichtigsten Nutztiere unseres Planeten, eher dürftig. Das fängt schon damit an, dass kaum noch ein Kunde die im Handel angebotenen Fische identifizieren kann – außer vielleicht Lachs, Thunfisch und Forelle. Wie sieht ein Kabeljau aus, ein Seelachs, ein Wolfsbarsch oder ein Felchen? Ganze Fische wirken ohnehin eher abschreckend auf die Kunden, sie werden immer seltener gekauft. Beliebt sind dickfleischige Filets, grätenfrei und ohne Haut, die wie ein Schnitzel zubereitet werden. Rein in die Pfanne, fünf Minuten braten und: „Kinder, Essen ist fertig!“
Eine Art pragmatischer Konsens: lieber ein MSC-Siegel mit gelegentlichen Schwächen als gar keins
Genug der Publikumsbeschimpfung. Dass sich die Kunden an der Fischtheke überfordert fühlen, ist durchaus nachvollziehbar. Schließlich werden sie immer wieder von diffusen Krisenmeldungen attackiert. Mal schwächelt der Kabeljau, dann geht‘s dem Hering schlecht. Manchmal sogar beiden. Auch der Rotbarsch soll als Tiefseefisch und wegen seiner späten Geschlechtsreife gemieden werden. Haifischsteak geht gar nicht, und der Aal ist bekanntlich vom Aussterben bedroht. Thunfisch – da war doch auch was? Und der Lachs im Netzkäfig wird von Parasiten und Infektionskrankheiten geplagt, der Medikamenteneinsatz ist hoch, in Norwegen verendet jeder fünfte Fisch während der Mast.
Der Gastautor
Manfred Kriener ist Journalist und Autor. Er gehört zur Gründergeneration der Tageszeitung „taz“ , wo er elf Jahre lang als Ökologieredakteur tätig war. Er beschäftigt sich vor allem mit Umwelt und Umweltpolitik sowie Ernährungsthemen.
Sein Buch „Fisch in Seenot. Über den sorgsamen Umgang mit einer gefährdeten Ressource“ ist 2024 im Hirzel Verlag erschienen.
2020 war dort auch sein „Spiegel“-Bestseller „Leckerland ist abgebrannt. Ernährungslügen und der rasante Wandel der Esskultur“ herausgekommen.
Bei den Meeresfischen sorgt der von Fanggebiet zu Fanggebiet unterschiedliche Zustand der gleichen Fischart für Konfusion. Dem Kabeljau in der Ostsee, der dort verwirrenderweise auch noch „Dorsch“ heißt, geht es seit Jahren schlecht. Der isländische Kabeljau-Bestand schwimmt dagegen munter im grünen Bereich. Zu fast jeder Fischart gehören verschiedene, räumlich getrennte Bestände. Pauschale Aussagen zu diesem oder jenem Fisch sind oft schwierig. Da helfen auch die Apps der Umweltverbände mit ihren Empfehlungen nicht weiter. Die müssten viel öfter aktualisiert werden, zudem tragen die meisten der dort aufgeführten Fische ohnehin ein rotes Stoppschild.
Klar ist, dass die Verbraucher diese Komplexität kaum bewältigen können. Wer jetzt noch nicht auf Schweinenacken mit Bratkartoffeln umgestiegen ist, dem wird ausgerechnet vom gelegentlich auftauchenden Bio-Zeichen der Knockout versetzt. Dass ausgerechnet ein im Netzkäfig gemästeter Fisch manchmal „Bio“ sein kann, erschüttert das Weltbild vieler Verbraucher. Alle wild gefangenen Fische, die ihr ganzes Leben lang ohne eine einzige Antibiotika-Pille im Ozean verbracht haben, sind dagegen niemals Bio. Wie kann das sein? Die Erklärung ist simpel. Bio ist eine Haltungsform. Weil Wildfische nicht gehalten werden, können sie auch niemals Bio sein. Nur in Aquakulturen werden Fische gehalten, gefüttert, gepflegt, nur dort gibt es Bio.
Ozeane können nicht wachsen, deshalb ist Fisch eine nicht alltägliche Luxusspeise
Weil Bio im Fischhandel aber nur eine winzige, durchaus empfehlenswerte Nische besetzt und weil wild gefangener Fisch kein Bio-Zertifikat bekommen kann, bleibt das MSC-Zeichen mit dem kleinen blauen Fisch als Logo die wichtigste Orientierungshilfe. MSC steht für Marine Stewardship Council, eine 1997 gegründete Organisation. MSC ist das älteste und bedeutendste Nachhaltigkeitslabel für Wildfisch. Heute ist der MSC eine international mit großer Manpower agierende Organisation. Das Zertifizierungsprogramm ist weltumspannend, aktuell stammen 15 Prozent aller globalen Wildfange aus MSC-zertifizierten Fischereien. Diese dürfen nicht überfischt sein und sollen die Ökosysteme schonen. Es ist unbestritten, dass die Organisation in fast 30 Jahren ihres Bestehens wertvolle Nachhaltigkeitsstandards entwickelt hat. Transparenz und Rückverfolgbarkeit von Fisch und Meeresfrüchten haben sich gebessert. Dennoch ist die Kritik am MSC lauter geworden, entsprechend verunsichert reagieren die Verbraucher.
Ozeane können nicht wachsen
Die kritischen Zwischenrufe von Umweltorganisationen wie WWF, BUND oder Nabu sind als Korrektiv wichtig und wertvoll. Sie haben eine Art Wächterfunktion, mit der sie die Arbeit des MSC begleiten und kontrollieren. Doch trotz aller Einwände gegen einzelne zertifizierte Fischereien hat sich eine Art pragmatischer Konsens gebildet: lieber ein MSC-Siegel mit gelegentlichen Schwächen als gar keines. Wer Wildfisch kauft, kann sich deshalb am MSC-Logo orientieren, sofern er nicht an der Küste lebt und Zugang zur kleinen handwerklichen Küstenfischerei hat. Aktuell rät MSC-Sprecherin Andrea Harmsen zum Alaska-Seelachs, zum Nordsee-Hering, echtem Bonito (Dosen-Thunfisch), zu Wildlachs aus dem Nordost-Pazifik, zur Scholle und zur Miesmuschel aus der Nordsee.
Fischesser sollten sich aber bewusst sein, dass Wildfisch eine begrenzte Ressource ist. Ozeane können nicht wachsen, deshalb ist Fisch eine nicht alltägliche Luxusspeise. Inzwischen thront übrigens auf fast jeder Fischkonserve irgendein Siegel oder Hinweis auf Nachhaltigkeit oder Delfin-freundliche Fangmethoden. In der Regel ist das reines Marketing ohne Substanz. Das MSC-Zeichen ist die bessere Alternative. Wer sich nicht darauf verlassen will, der kann sich selbst informieren, sich schlaumachen. Die Internet-Seite „Fischbestände Online“ des Thünen-Instituts bietet zum Beispiel zuverlässige Informationen zu gängigen Fischarten und -beständen.
Der Karpfen ist unser Öko-Klassenbester
Bei den heimischen Süßwasserfischen ist es relativ einfach, Empfehlungen auszusprechen. Der nachhaltigste Fisch, also unser Öko-Klassenbester, ist der robuste anspruchslose Karpfen. Er frisst, was der Teich hergibt, die Fischwirte füttern meist noch etwas Getreide dazu. Die Zeiten als dieser Friedfisch gemüffelt hat, sind lange vorbei, vor dem Verkauf werden Karpfen in sauberem Wasser gehältert. Inzwischen gibt es gelegentlich auch geräucherte Karpfenfilets (unbedingt probieren!) und es gibt Grätenschneider, die lästige Gräten elegant beseitigen.
Der nachhaltigste Fisch, also unser Öko-Klassenbester, ist der robuste anspruchslose Karpfen
Karpfenteiche sind echte Hotspots der Biologischen Vielfalt. Dort tummeln sich in großer Zahl Amphibien, Insekten, Vögel, dass die Schilfrohre wackeln. In vielen Karpfenteichen schwimmen auch Schleien, Rotaugen, Zander und andere Fische. Halten Sie bei Ihren Ausflügen Ausschau nach Teichwirtschaften. Sie sind echte Juwelen der Landschaft, ein wichtiges Rückzugsgebiet der Natur und gute Fischlieferanten mit Nachhaltigkeitsdividende.
Auch Forellenteiche und Durchflussanlagen mit Forellen können Sie ansteuern. Forellen sind das Rückgrat der heimischen Aquakultur und vielerorts zu finden. Auch in unseren Fischtheken liegen sie auf Eis, dort überwiegend aus anonymen ausländischen Quellen. Die Lachsforelle ist übrigens nichts anderes als eine mit entsprechendem Futter auf rötliches Fleisch gemästete große Regenbogenforelle. Eine feine Alternative zum hochproblematischen Lachs aus dem Netzkäfig.
Und noch eine Empfehlung: Essen Sie nicht immer dieselben Fische, experimentieren Sie! Haben Sie schon einmal Hornhecht gegessen, Kalmar aus der Nordsee oder Flunder, Kliesche, Meeräsche. Alles schmackige Alternativen. Nur Mut!
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