Debatte

Warum bedroht extremer Reichtum unsere Demokratie, Herr Klein?

Demokratie und extremer Reichtum passen nicht zusammen, sagt der Unternehmer Sebastian Klein. Was können wir tun, um Missstände abzuschaffen? Ein Gastbeitrag.

Von 
Sebastian Klein
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Extremer Reichtum verschärft soziale Ungleichheiten und gefährdet die Demokratie. © Getty Images/iStockphoto

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Unternehmer Sebastian Klein wurde durch den Verkauf seines Unternehmens Blinkist Multimillionär.
  • Er spendete 90 Prozent seines Vermögens für gemeinnützige Zwecke.
  • Er ist der Meinung: Extrem ungleiche Vermögensverhältnisse untergraben die Grundidee der Demokratie, dass alle Bürger die gleichen Rechte und Chancen haben.
  • Und er ist überzeugt: Eine gerechtere Besteuerung von Vermögen würde viele Menschen in Deutschland entlasten und auch die Demokratie stärken.

Durch den Verkauf der App Blinkist, die ich zusammen mit Studienfreunden gegründet hatte, bin ich zum Multimillionär geworden. Ich selbst habe in dem Unternehmen nur in den ersten vier Jahren nach der Gründung gearbeitet – dann stieg ich aus dem Tagesgeschäft aus und gründete mehrere neue Unternehmen, behielt aber meine Anteile an Blinkist. In den Jahren darauf veräußerte ich immer wieder einige davon und so wuchs mein Kontostand, ohne dass ich etwas dafür hätte tun müssen. Mit dem endgültigen Verkauf im Jahr 2023 zählte ich dann plötzlich zum reichsten Prozent der Deutschen.

Während ich immer reicher wurde, diskutierten wir in der Gesellschaft im Nachgang der Corona-Pandemie über die niedrigen Gehälter der überarbeiteten Pflegekräfte. Und ich sah weiterhin täglich in meiner Nachbarschaft in Berlin Menschen auf der Suche nach Pfandflaschen oder Essen im Müll wühlen. Ich begann, mich mit der Frage zu beschäftigen, was diese Ungleichheit mit einer Gesellschaft macht und damit, wie mein Reichtum mit der Armut dieser Menschen zusammenhängt. Mir wurde klar: Es handelt sich um eines der größten Probleme, die wir in der Gesellschaft haben – und ich bin Teil davon.

Weil ich genau das nicht sein wollte, entschied ich, 90 Prozent meines Privatvermögens aufzugeben und gemeinnützig zu widmen. Seitdem arbeite ich daran, das Problem des extremen Reichtums besser zu verstehen und Lösungen zu entwickeln. Eine zentrale Frage lautet: Wie kann es sein, dass eine Gesellschaft immer ungleicher wird? Dass in einem Land mit über 80 Millionen Menschen immer mehr Vermögen in den Händen von ein paar Tausend extrem reichen Menschen liegt? Und dass wir das als Gesellschaft einfach hinnehmen?

Die Illusion der Leistungsgesellschaft

Wer dem nachgeht, landet schnell bei den Märchen, mit denen wir alle aufgewachsen sind und die auch momentan im Wahlkampf wieder von vielen Politikern verbreitet werden: zum Beispiel dem Märchen von der Leistungsgesellschaft, in der wir angeblich leben und die höchstens von den Bürgergeldempfängern mit ihrem „leistungsfreien Einkommen“ bedroht wird. In dieser Leistungsgesellschaft hat der Erfolg, der sich anstrengt und etwas kann. Schön wär‘s, wenn es so wäre.

Die Wahrheit ist: Deutschland ist keine Leistungs-, sondern eine Erbengesellschaft. Reichtum wird hierzulande kaum durch Arbeit angehäuft. Die größten leistungsfreien Einkommen bestehen in ererbtem Vermögen, das dann durch Spekulation Kapitalerträge abwirft und weiter vergrößert wird – alles quasi ohne dafür zu arbeiten und mit einer deutlich geringeren Steuerlast als sie auf Arbeitseinkommen anfallen würde.

Dank komplexer Steuervermeidungskonstrukte und zahlreicher Ausnahmen und Schlupflöcher im deutschen Erbrecht zahlen Milliardäre und große Konzerne kaum Steuern, während Arbeitnehmer, kleine Betriebe und Selbständige ganz selbstverständlich ihren Teil zum Gemeinwesen beitragen – und das, obwohl gerade Reiche und ihre Unternehmen überdurchschnittlich von der durch den Staat bereitgestellten Infrastruktur profitieren. Wie kann das sein?

Wie die Reichsten Einfluss auf die Politik nehmen

Seit Jahrzehnten arbeiten Lobbygruppen daran, Gesetze zugunsten der Vermögenden zu gestalten. Ein prominentes Beispiel ist die Stiftung Familienunternehmen, die nach einem Sprachrohr des Mittelstands klingt, in Wirklichkeit aber die Interessen der reichsten deutschen Familien vertritt. Hinzu kommen populistische Politiker wie Markus Söder, die gezielt irreführende Narrative verbreiten. Sie behaupten, eine Reform der Erbschaftsteuer würde „das Häuschen der Oma“ wegbesteuern.

Wussten Sie, dass jemand, der 300 Wohnungen erbt, keine Erbschaftsteuer zahlen muss, während jemand mit drei geerbten Wohnungen belastet wird? Oder dass Milliardäre, die Firmenanteile erben, sich als „bedürftig“ einstufen lassen können, um keine Steuern zahlen zu müssen? Wenn wir von einer Reform der Erbschaftsteuer sprechen, dann geht es darum, diese Missstände abzuschaffen – und nicht darum, der durchschnittlichen Kleinfamilie das Häuschen der Oma zu entreißen.

Was die Lobby des großen Geldes ebenfalls geschafft hat: In der Gesellschaft hat sich ein negatives Bild von Steuern etabliert. Dabei kommt ein starkes Gemeinwesen, das aus Steuereinnahmen finanziert werden sollte, der gesamten Gesellschaft zugute – vor allem aber jenen, die sich nicht leisten können, ihr Kind auf eine Privatschule zu schicken oder sich privat krankenzuversichern. Außerdem wären Steuern ein wichtiges Instrument, um der extremen Konzentration von Vermögen, wie wir sie derzeit in Deutschland beobachten, entgegenzuwirken. Die ist schlicht undemokratisch!

So bedroht die Vermögensungleichheit die Demokratie

Wie wir momentan in den USA sehr deutlich sehen, ist der extreme Reichtum einzelner echtes Gift für die Demokratie. Er führt in die Oligarchie, also die Herrschaft einiger weniger, die nicht demokratisch legitimiert sind. In einer seiner Abschiedsrede an die Nation warnte Joe Biden vor dieser Entwicklung.

Während Lobbyarbeit in Deutschland noch immer eher im Verborgenen stattfindet und auch Politiker sich bemühen, ihre Verbindungen zum großen Geld geheimzuhalten, sehen wir in den USA bereits, dass mit Elon Musk der reichste Mann der Welt ganz offiziell in den Beraterstab des neuen Präsidenten aufgenommen wurde. Wir sollten uns jedoch nicht der Illusion hingeben, die Reichsten würden hier nicht auch massiv Einfluss auf die Politik nehmen – nur weil wir davon nicht so viel sehen. Sie sehen an den Beispielen, dass es Menschen mit viel Geld schon heute möglich ist, die Gesetzgebung nach ihrem Willen zu beeinflussen. Das ist in der Demokratie nicht vorgesehen, in der politische Macht und Einfluss ja gerade nicht von finanziellen Mitteln und Herkunft abhängen sollen. In einer Demokratie sollte jede Stimme gleich viel zählen.

Der Gastautor



Sebastian Klein ist Unternehmer und Autor. Er hat unter anderem die Unternehmen Blinkist, Neue Narrative und Karma Capital gegründet.

In seiner Arbeit beschäftigt er sich mit der Frage, wie die Jobs und die Wirtschaft der Zukunft aussehen.

Zudem ist er Mitglied bei taxmenow, einer Initiative von Vermögenden, die sich für Steuergerechtigkeit einsetzt.

Gerade ist sein Buch „Toxisch reich: Warum extremer Reichtum unsere Demokratie gefährdet“ im Oekom Verlag erschienen.

Extrem ungleiche Vermögensverhältnisse untergraben die Grundidee der Demokratie, dass alle Bürger die gleichen Rechte und Chancen haben. Dafür gibt es zahlreiche weitere Beispiele: Das Rechtssystem bevorzugt reiche Menschen nicht nur dadurch, dass sie Zugang zu guten – und damit in der Regel teuren – Anwälten haben und dass Richter ihnen viel eher auf Augenhöhe begegnen als Menschen mit kleinen Einkommen. Auch sieht das Recht für sogenannte White-Collar-Crimes, die eher von vermögenden Menschen begangen werden, geringere Strafe vor als für solche Taten, die eher von armen Menschen begangen werden. Obwohl dem Staat durch Steuerbetrug und Steuervermeidung viel größere Summen durch die Lappen gehen, werden hier viel seltener Menschen belangt und das Strafmaß ist viel niedriger, als wenn Menschen beispielsweise Sozialbetrug begehen. Wer 10.000 Euro Bürgergeld bezieht, das ihm nicht zustand, landet vermutlich im Gefängnis. Wer 10.000 Euro Steuern hinterzieht, muss das Geld vermutlich nur zurückzahlen und landet nicht einmal vor einem Richter.

Der Rechtsstaat tut sich schwer damit, den kriminellen Praktiken sehr reicher Menschen mit angemessener Härte und Konsequenz zu begegnen. Das zeigt sich deutlich an der schleppenden Aufarbeitung von Cum-ex- und Cum-cum-Geschäften, mit denen Reiche und ihre Steuerberater den deutschen Staat um Milliarden von Euro betrogen haben. Bislang gibt es kaum Verurteilungen, und schlimmer noch: Rückendeckung aus der Politik, die bis ins Kanzleramt geht. Dabei ist doch, wer Milliarden aus den Kassen der Allgemeinheit stiehlt, ein Sozialbetrüger ganz anderer Größenordnung als ein Mensch, der ein paar tausend Euro Bürgergeld erschleicht. Schlimmer noch: Er ist eine Bedrohung für unsere Gesellschaft – und doch denken Friedrich Merz und Christian Lindner ausschließlich an Migrant:innen und arme Menschen, denen wir mit härteren Sanktionen begegnen müssten, wenn sie von der Sicherheit in unserem Land reden und von der Stärkung des Rechtsstaats palavern.

Demokratie stärken durch gerechtere Besteuerung von Vermögen

Das trägt auch dazu bei, dass viele Menschen in Deutschland nicht mehr an die Demokratie glauben und antidemokratische Parteien wie die AfD wählen. Das Schlimme ist, dass sie mit ihrer pessimistischen Sicht auf das, was uns als Demokratie verkauft wird, ja sogar ein Stück weit recht haben. Diese Menschen haben nicht nur das Gefühl, dass sie „verarscht“ werden, dass sie tagein, tagaus arbeiten gehen und trotzdem kaum die Miete bezahlen können und Existenzängste haben müssen, während für einige ganz andere Regeln gelten. Nur profitieren vom System eben nicht – wie sie annehmen – Migrantinnen und Bürgergeldempfänger, im Gegenteil: Sie erwirtschaften in viel erheblicherem Ausmaß das leistungsfreie Einkommen derjenigen Reichen, die „ihr Geld für sich arbeiten lassen“.

In Deutschland besitzen heute ein paar extrem reiche Familien mehr als die ärmere Hälfte der Bevölkerung (also über 40 Millionen Menschen) zusammen. Wenn einzelne Hunderte oder Tausende Immobilien besitzen, Privatjets und Yachten, während andere in steter Angst leben müssen, sich ihren Lebensunterhalt nicht mehr leisten zu können, dann ist das an sich undemokratisch. Ein solches Maß an Ungleichheit kann sich eine Demokratie einfach nicht leisten. Jede Partei, die diese Vermögensungleichheit verteidigt oder sogar zu ihrer Verschärfung beiträgt, kann für sich nicht Anspruch nehmen, demokratisch zu sein oder demokratische Politik zu machen.

Wir sind längst dabei, den USA auf dem Weg in die Oligarchie zu folgen. Das müssen und sollten wir nicht hinnehmen. Denn wir sind die Mehrheit. Wir können die Parteien in die Verantwortung nehmen, die Steuergesetze so ändern, dass die Reichsten auch wieder am meisten zum Gemeinwesen beitragen. Eine gerechtere Besteuerung von Vermögen würde nicht nur die Demokratie stärken, sondern auch diejenigen entlasten, die heute den Hauptteil der Last tragen. Wenn die Reichsten etwas weniger reich wären, wäre unsere Gesellschaft gerechter – und unsere Demokratie wieder funktionsfähig.

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