Debatte

Warum muss die Medizin weiblicher werden, Herr Degner?

Die Medizin hat großartige Fortschritte gesehen. Aber eines ist immer noch gleich: Frauen werden im Arztberuf strukturell benachteiligt. Obwohl sie laut Studien bessere Behandlungserfolge erzielen. Ein Gastbeitrag.

Von 
Konstantin Degner
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Sind Frauen die besseren Ärzte? Jüngste Studien zeigen zumindest: Von Ärztinnen behandelte Frauen werden eher gesund. © Getty Images

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Medizin muss weiblicher werden, um Gleichberechtigung zu fördern und Patientenergebnisse zu verbessern.
  • Ärztinnen sind oft benachteiligt, obwohl Studien zeigen, dass sie bessere Behandlungserfolge erzielen.
  • Maßnahmen wie flexiblere Arbeitszeiten und mehr Frauen in Führungsrollen sind nötig.

In den vergangenen 100 Jahren hat sich in der Medizin viel getan. Krankheiten wurden besiegt, Impfungen in Rekordzeit entwickelt und die Behandlungsqualität ist signifikant gestiegen. Was sich nicht geändert hat: Dass sich Ärztinnen immer noch mit Benachteiligung und fehlender Gleichberechtigung auseinandersetzen müssen – (fast) wie vor 100 Jahren. Und das, obwohl mittlerweile beinahe gleich viele Frauen wie Männer im Beruf arbeiten. Tatsächlich ist sogar die Mehrzahl der Medizin-Studierenden weiblich. Man könnte sagen: Der Arztberuf wird zum Frauen-Beruf. Eigentlich eine gute Nachricht, denn in einem stärker weiblich geprägten Gesundheitssystem stecken enorme Potenziale. Wie kann es uns gelingen, diese Potenziale zu nutzen?

Eine kurze Geschichte der Frauen im Arztberuf

Vor 100 Jahren war der Beruf für Frauen eine Ausnahmeerscheinung. Zwar durften Frauen seit 1899 Medizin studieren, doch ihre Examina wurden oft nicht anerkannt, und Anstellungen in Krankenhäusern oder als Kassenärztinnen waren selten. Stattdessen fanden sie sich in schlecht bezahlten oder gesellschaftlich weniger prestigeträchtigen Rollen wieder, etwa in der öffentlichen Gesundheit oder als Unterstützerinnen in den Praxen ihrer Ehemänner. Diese strukturelle Benachteiligung setzte sich nach dem Zweiten Weltkrieg fort, als traditionelle Rollenbilder Frauen auf Haushalt und Familie reduzierten. Auch heute spiegeln sich diese Muster wider: Frauen sind in Führungspositionen stark unterrepräsentiert. Dieses strukturelle Erbe erschwert die Gleichberechtigung in der Medizin bis heute.

Herausforderungen: Warum Frauen in der Medizin ausgebremst werden

Ärztinnen machen heute fast die Hälfte aller in Deutschland praktizierenden Mediziner aus, doch nur 13 Prozent von ihnen erreichen Führungspositionen. Dieses Phänomen nennt man allgemein in der Arbeitswelt auch „Gläserne Decke“. Damit ist eine unsichtbare Barriere gemeint, die Frauen im Karriereverlauf trotz hoher Qualifikation daran hindert, in das obere Management aufzusteigen – während männlichen Kollegen dies mit vergleichbarer Qualifikation meist gelingt. Diese Barriere entsteht vor allem durch stereotype Rollenvorstellungen, die Frauen aufgrund familiärer Verpflichtungen oder angeblicher Eigenschaften wie zu viel Emotionalität als weniger geeignet für Führungsrollen einstufen.

Besonders problematisch: Kinder- und Care-Arbeit sind nach wie vor zentrale Karrierehindernisse. Schwangere Ärztinnen sehen sich häufig mit unklaren Mutterschutzregelungen konfrontiert, die dazu führen, dass sie aus dem OP oder gar aus Kursen ausgeschlossen werden. Das verschiebt Facharztprüfungen nach hinten und erschwert den Karriereaufstieg – während männliche Kollegen in der gleichen Zeit weiter emporklettern.

Zusätzlich gibt es eine indirekte Benachteiligung durch Arbeitsstrukturen, die auf ein „Idealmodell“ des männlichen Arztes mit Vollzeitpräsenz und kaum familiären Verpflichtungen ausgerichtet sind. Diese Strukturen, die historisch gewachsen sind und sich seit Jahrzehnten nicht verändert haben, schränken nicht nur Karrieren ein, sondern führen auch zu einer Überlastung und psychischen Belastung von Ärztinnen. Das ist nicht nur ein individueller Nachteil, sondern auch ein gesellschaftlicher, da mehrere Studien die Frage aufwerfen: Sind Ärztinnen besser als Ärzte?

Was Frauen im Gesundheitssystem leisten

Studien zeigen, dass Ärztinnen häufiger patientenzentrierte Kommunikation nutzen, Patientinnen und Patienten einbeziehen und emotionale Unterstützung bieten. Dieser Ansatz verbessert oft auch das Behandlungsergebnis. Eine Studie belegt sogar, dass Patientinnen mit geringerer Wahrscheinlichkeit sterben, wenn sie von Ärztinnen behandelt werden. Eine frühere Untersuchung legt Ähnliches nahe: Patientinnen, die von Männern operiert wurden, hatten ein höheres Risiko für Komplikationen und Tod als Patientinnen, die von Frauen operiert wurden. Die Gründe dafür sind vielfältig und nicht genau zu erheben. Aber allein dieser Zusammenhang sollte die Forschung aufhorchen lassen.

Der Gastautor



Konstantin Degner ist Recruiting-Experte bei „Ärztestellen“, dem Stellenmarkt des Deutschen Ärzteblattes. In seiner Rolle unterstützt er Personalverantwortliche im Gesundheitswesen in Sachen Recruiting und Retention. Zudem setzt er sich für eine bessere Versorgung von Patientinnen und Patienten und gegen den Fachkräftemangel ein.

Es gibt darüber hinaus weitere spannende Aspekte: Frauen in Führungspositionen fördern oft Teamarbeit und schaffen eine effektive und inklusive Arbeitsumgebung. Durch ihre Arbeitsweise fördern sie Diversität und Gerechtigkeit im Gesundheitssystem – einerseits durch bessere Behandlungserfolge, andererseits auch dadurch, dass mehr Frauen in den Beruf kommen und auch bleiben. Doch das aktuelle System kommt diesem Fortschritt nicht hinterher. Benachteiligungen von Ärztinnen sind nicht nur ein Problem für die Betroffenen, sondern auch für die Patientinnen und Patienten. Die Unterrepräsentation von Frauen in Führungspositionen und spezialisierten Fachbereichen bedeutet, dass das Gesundheitssystem diese Vorteile nicht voll ausschöpfen kann.

Was sich ändern muss: Klare Schritte für mehr Gleichberechtigung

Damit das Gesundheitswesen die Vorteile eines weiblich geprägten Systems voll ausschöpfen kann, braucht es Veränderungen – strukturell, kulturell und politisch.

Schwangerschaft und Familie dürfen keine Karrierehindernisse mehr sein. Dazu braucht es klare Vorgaben, die es ermöglichen, auch während Schwangerschaft und Stillzeit im Beruf zu bleiben. Flexiblere Arbeitszeitmodelle können Ärztinnen und Ärzte dabei unterstützen, Beruf und Familie besser zu vereinbaren.

Ebenfalls ein wichtiger Hebel: Nur wenn Ärztinnen stärker in Entscheidungspositionen vertreten sind, können sie die notwendige Perspektive in das System einbringen. Mentoring-Programme und transparente Beförderungsprozesse sind zentrale Stellschrauben.

Es steht außer Frage, dass geschlechtersensible Medizin fester Bestandteil der medizinischen Ausbildung und Praxis werden muss. Nur so kann die Versorgung sowohl für Frauen als auch für Männer optimiert werden. Dies schließt geschlechtergerechte Forschungsansätze ein, etwa bei der Entwicklung von KI, die Diskriminierung vermeiden soll. Nur so kann der vorhandene Gender Bias, also die geschlechtsbezogenen Verzerrungseffekte, effektiv bekämpft werden. Ein Beispiel für einen Gender Bias in der Medizin: Frauen sind in klinischen Studien oft unterrepräsentiert, was zu einer unzureichenden Datengrundlage führt.

Fazit: Ein Gesundheitssystem für alle

Eine „weiblichere Medizin“ ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch eine Chance, die Qualität und Diversität in der Gesundheitsversorgung zu stärken. Dafür müssen wir strukturelle Hindernisse abbauen, Vorurteile überwinden und Ärztinnen gezielt fördern. Denn ein gerechteres System kommt nicht nur Frauen zugute – es stärkt die Gesundheit aller.

Der Fachkräftemangel macht diesen Wandel dringender denn je. Mit 23 Prozent der Ärzte und Ärtzinnen, die heute 60 Jahre oder älter sind, steht das Gesundheitssystem vor massiven Engpässen in den kommenden Jahren. Gleichzeitig fehlen nicht nur Nachwuchs, sondern auch Strukturen, die es ermöglichen, den Beruf langfristig attraktiv zu halten. Es ist an der Zeit, gezielt in Lösungen zu investieren, um die Patientenversorgung nachhaltig sicherzustellen.

Lassen wir uns die Chance nicht entgehen, das volle Potenzial einer weiblich geprägten Medizin zu entfalten – für eine bessere Versorgung und eine gerechtere Gesellschaft.

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