Debatte

Warum sind CO2-Preise wichtig für die Klimapolitik?

Klimaschädliches Verhalten muss teurer werden: Nur so können wir die Energiewende erfolgreich bewältigen. ZEW-Präsident Achim Wambach plädiert für mehr Vertrauen in die Märkte. Ein Gastbeitrag

Von 
Achim Wambach
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© MM-Grafik

2021 war ein entscheidendes Jahr für die Klimapolitik in Europa. Im März 2021 fällte das Bundesverfassungsgericht ein historisches Urteil und ermahnte die Bundesregierung, weitreichendere Maßnahmen zur Senkung der CO2-Emissionen vorzulegen: Heute müsse mehr getan werden, damit zukünftige Generationen nicht (noch) mehr tun müssen. Im Juli 2021 legte die Europäische Kommission unter der Bezeichnung „Fit for 55“ ein Maßnahmenpaket für ihren „European Green Deal“ vor. Die 55 im Titel verweist darauf, dass die EU beabsichtigt, bis 2030 die Emission von Treibhausgasen um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Wert im Jahr 1990 zu reduzieren.

Der Gastautor Achim Wambach



Prof. Dr. Achim Wambach ist seit April 2016 Präsident des ZEW - Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung.

Seit 2014 ist er Mitglied der Monopolkommission und war von 2016 bis September 2020 ihr Vorsitzender.

Er gehört dem Wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums an, dessen Vorsitz er von 2012 bis 2015 innehatte. In den Jahren 2017 und 2018 war er Vorsitzender des Vereins für Socialpolitik.

Achim Wambach promovierte zunächst in Physik an der Universität Oxford, seine Habilitation in Volkswirtschaftslehre schloss er an der Universität München ab. Er ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim.

Sein Buch „Klima muss sich lohnen. Ökonomische Vernunft für ein gutes Gewissen“ ist im Herder Verlag erschienen. 

Im August 2021 veröffentlichte dann der Weltklimarat IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) den ersten Teil seines sechsten Sachstandsberichts, der die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Grundlagen, Ursachen und Ausmaß des Klimawandels zusammenführt. Es folgten 2022 der zweite und schließlich der dritte Teil. Unter dem Titel „Minderung des Klimawandels“ bewertet er die Fortschritte bei der Emissionsbegrenzung und zeigt eindrücklich, dass mit den bisher angekündigten Klimaschutzbeiträgen der Länder das 1,5-Grad-Ziel wahrscheinlich nicht erreicht wird. Hinter den drei Berichten mit insgesamt 10 537 Seiten steht der Sachverstand von 740 Fachleuten aus 90 Ländern und sieben Jahre Arbeit.

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Im Dezember 2021 trat in Deutschland eine neue Bundesregierung ihre Arbeit an - mit Beteiligung der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Im vorausgegangenen Wahlkampf hatten fast alle Parteien den Klimaschutz als wichtigste Aufgabe betont. Die soziale Marktwirtschaft soll zur sozial-ökologischen Marktwirtschaft weiterentwickelt werden. Eine weitere wesentliche Entwicklung im Jahr 2021 wurde in der Öffentlichkeit hingegen weniger bemerkt: Der Preis für klimaschädliche Emissionen im europäischen Zertifikatehandel stieg auf mehr als das Vierfache: Lag er 2020 zeitweilig noch unter 20 Euro, stieg er 2021 auf über 80 Euro pro Tonne CO2.

Klimaschädliche Emissionen entstehen zumeist dann, wenn etwas verbrannt wird, insbesondere Erdöl, Erdgas und Kohle, also fossile Energieträger. Außerdem werden bei einigen Produktionsprozessen, wie zum Beispiel bei der Zementherstellung, klimaschädliche Gase frei.

Für Emissionen aus der Stromerzeugung, aus der energieintensiven Industrie und aus dem innereuropäischen Flugverkehr wurde 2005 in Europa ein Emissionshandel eingeführt: Jeder, der in den genannten Bereichen Emissionen verursacht, muss dafür ein Zertifikat haben, das mittlerweile über 80 Euro (pro Tonne CO2) kostet. Derzeit soll ein zweiter europäischer Emissionshandel für die Treib- beziehungsweise Brennstoffversorgung in den Sektoren Verkehr und Gebäude entstehen, der aber umstritten ist. Deutschland hat dafür bereits einen eigenen Emissionshandel.

Der Emissionshandel ist deshalb ein wirksames Instrument der Klimapolitik, weil die EU-Kommission die Menge der Zertifikate beschränkt hat. Es gibt eine Emissionsobergrenze, den sogenannten Cap, der bestimmt, wie viel die Unternehmen insgesamt ausstoßen dürfen. Diese Gesamtmenge richtet sich nach den europäischen Einsparzielen.

Doch gibt es eine Nebenwirkung, die man kennen sollte: Die Festlegung der Gesamtmenge, des Caps, führt dazu, dass sich die Emissionen in der EU nicht reduzieren, wenn beispielsweise ein Kohlekraftwerk vom Netz geht. Natürlich emittiert dieses Kraftwerk dann kein CO2 mehr. Aber die Zertifikate, die es nicht mehr benötigt, werden von anderen Unternehmen gekauft, die dann entsprechend mehr emittieren können. Dies nennt man den „Wasserbetteffekt“: Drückt man an einer Stelle auf die Matratze, schwappt das Wasser zu einer anderen Stelle des Bettes. Verbraucht ein Unternehmen weniger Zertifikate, werden an anderer Stelle - bei anderen Unternehmen, in anderen Ländern - mehr Zertifikate verbraucht, und die Gesamtmenge der Emissionen ändert sich nicht.

Dieser Wasserbetteffekt zeigt sich zum Beispiel bei der Installation einer Solaranlage: Wenn ein Haushalt oder eine Gemeinde wegen einer neuen Solaranlage weniger konventionellen Strom verbraucht, werden weniger Zertifikate benötigt. Da der Cap gleich bleibt, werden diese Zertifikate woanders genutzt - der Emissionseffekt ist gleich null. Es kann sich aber durchaus wirtschaftlich lohnen, diese Solaranlagen zu bauen, da Solaranlagen immer günstiger werden, der Bau gefördert wird und weil man beim Eigenverbrauch keine Nebenkosten wie Netzgebühren zu zahlen hat. Es lohnt sich also, sich klimafreundlich zu verhalten.

Aus demselben Grund läuft zumindest eine Kritik an den Elektroautos - sie verbrauchen schmutzigen Strom - in die Leere. Der Wasserbetteffekt bewirkt, dass mehr Emissionen bei der Stromerzeugung für Elektroautos zu weniger Emissionen an anderer Stelle führen.

Um sich auf einen Gaslieferstopp Russlands vorzubereiten, werden Kohlekraftwerke wieder aktiviert. Der Klimaeffekt dieser Re-Aktivierung ist aber überschaubar, da auch diese Kraftwerke Teil des Emissionszertifikatehandels sind. Werden jetzt hier mehr Zertifikate gebraucht, stehen an anderer Stelle oder zukünftig weniger Zertifikate zur Verfügung.

Diese Einsicht hätte auch geholfen, den Streit um den genauen Zeitpunkt des Kohleausstiegs zu mindern. Im Jahr 2020 haben Bund und Länder den Kohleausstieg in Deutschland bis spätestens 2038 beschlossen. Gleichzeitig einigten sie sich auf Hilfen in Höhe von 40 Milliarden Euro für die Kohleregionen und Entschädigungen für die Kraftwerksbetreiber im Umfang von gut 4,35 Milliarden Euro. Das hilft, den Strukturwandel abzufedern. Die Gesamtemissionen in Europa gehen damit aber nicht zurück, weil der Wasserbetteffekt wirkt. Und, da die Gesamtmenge der Emissionen ja festgeschrieben ist, ist es dem Klima egal, ob dieser Ausstieg nun 2038 stattfindet oder 2030.

Hinzu kommt, dass hohe CO2-Preise mittelfristig sowieso dazu führen werden, dass die Stromerzeugung aus Kohle unrentabel wird: Das Beispiel Großbritannien, das schon früher auf höhere CO2 Preise gesetzt hat, hat gezeigt, dass genau dieser marktwirtschaftliche Ausstieg funktioniert. Da die Preise im europäischen Zertifikatehandel mittlerweile stark angestiegen sind, ist nicht auszuschließen, dass allein dadurch der Ausstieg bereits vor 2030 erfolgt.

In den Bereichen, wo diese CO2-Märkte im Hintergrund tätig sind, haben individuelle Entscheidungen keine Auswirkungen auf das Klima. Eine Photovoltaikanlage macht deshalb dann Sinn, wenn sie sich für den Einzelnen auszahlt. Das ist häufig der Fall, da Strom teuer ist und die Installation finanziell gefördert wird. Klimaschutz lohnt sich also auch finanziell.

In anderen Bereichen gibt es diese Märkte noch nicht. Dies betrifft zum Beispiel Flüge ins außereuropäische Ausland. Es gibt zwar Bemühungen, ein internationales Abkommen auszuhandeln, damit auch für diese Flüge CO2-Preise fällig werden, aber noch gibt es keine entsprechende Übereinkunft. Wer auf solche Reisen verzichtet, leistet tatsächlich einen Beitrag zur Reduktion von Emissionen.

Wenn es solche Märkte für den Klimaschutz nicht gibt, sind wir als Kunden aber schnell überfordert. Wie soll man die Klimabilanz all der Güter und Dienstleistungen bestimmen, die wir konsumieren? Was ist mit Toaster, Fön, Kleidung, Kino- und Theaterbesuch? Ist die regionale Tomate besser als die Biotomate aus Spanien? Allein der Fußabdruck einer Tomate ist schon Objekt vieler wissenschaftlicher Studien. Emissionen entstehen beim Heizen des Gewächshauses, bei der Produktion und dem Transport von Düngemitteln und Pflanzenschutzmitteln, bei der Herstellung der Verpackungsmaterialien für die Tomaten, bei der Verpackung selber, beim Transport und bei der Lagerung. Um die Klimabilanz solcher Produkte zu kennen, muss man die ganze Lieferkette nachvollziehen.

Entscheidungen für einen nachhaltigen Konsum würden leichter fallen, wenn es für alles adäquate CO2-Preise gäbe. Diese würden sich durch die gesamte Lieferkette ziehen, und man wüsste, dass der Klimaschaden in der Kalkulation berücksichtigt ist. Dann würde man auch am Preis sehen, was das klimafreundlichere Produkt ist. Klimaschutz sollte sich also finanziell lohnen, damit wir die richtigen Entscheidungen einfach treffen können.

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