Seit rund 25 Jahren sind weltweit die Zielsetzungen in der Klimapolitik verfehlt worden, Jahr für Jahr. So konnten die alles entscheidenden CO2-Emissionen von 22 Milliarden Tonnen im Jahr 1990 bis heute auf rund 40 Milliarden Tonnen ansteigen. Die Zielsetzung war jedoch, diese Emissionen bis zum Jahr 2012 auf 21 Milliarden zu reduzieren.
Weder wurden – zumindest in den Demokratien – Regierungen dafür abgestraft, indem sie bei Wahlen abgelöst wurden, noch gab es Massenproteste der Bürgerinnen und Bürger. Lediglich Greta Thunberg hat mit ihrem Slogan „Ihr zerstört meine Zukunft“ in den vergangenen Jahren weltweit Schülerinnen und Schüler zu beeindruckenden Straßenprotesten mobilisieren können. Ihr Einfluss auf Wahlen war jedoch bisher begrenzt.
Die Erhitzung macht ganze Regionen unbewohnbar und Millionen von Menschen zu Klimaflüchtlingen
Dafür gibt es meines Erachtens nur eine plausible Erklärung: Die Menschen sind sich der Folgen einer ungebremsten Erderhitzung nicht oder völlig unzureichend bewusst.
Wenn in den letzten Jahrzehnten in den Medien über die Auswirkungen einer zunehmenden Erderwärmung berichtet und diskutiert wurde, dann standen Phänomene wie beispielsweise die steigenden Meeresspiegel um 45 bis 70 Zentimeter bis zum Ende des Jahrhunderts oder schmelzende Gletscher im Fokus.
Räumlich und zeitlich weit entfernte Vorgänge, die zwar Betroffenheit auslösen, aber aus Sicht der überwiegenden Mehrheit keine Gefahren für die gesamte Menschheit in der überschaubaren Zukunft darstellen. Wären den Menschen die bedrohlichsten Folgen einer Erderwärmung von drei Grad und mehr grundsätzlich bewusst, hätten wir weltweit längst eine Klimaschutzpolitik, die die Begrenzung auf 1,5 Grad sicherstellt.
In dem Buch „3 Grad mehr“ zeigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf, welche Welt uns erwartet, wenn wir den Klimawandel nicht abbremsen und die weitere Erwärmung begrenzen.
Eine durchschnittliche Erderwärmung von plus drei Grad führt an Land bis zu plus sechs Grad. Dieser Unterschied rührt daher, dass 70 Prozent unserer Erde mit Wasser bedeckt sind, das sich langsamer erwärmt als die Landoberfläche und damit den Durchschnitt senkt. Diese Erwärmung führt zu einer heute kaum vorstellbaren Radikalisierung des Wettergeschehens mit verheerenden Folgen für die gesamte Menschheit.
Betroffen ist insbesondere die globale Landwirtschaft. Starkregen, großflächige Überschwemmungen und extreme Dürren vernichten immer wieder Ernten. Aber auch die gestiegenen Temperaturen führen bei den an unser heutiges Klima angepassten Nutzpflanzen zum Teil zu erheblichen Ertragseinbußen.
Es wird immer größere Hungersnöte geben, unzählige Menschen werden verhungern, verdursten oder verlieren bei kriegerischen Auseinandersetzungen ihr Leben. Hinzu kommt, dass die starke Erhitzung an Land ganze Regionen unbewohnbar macht, und Millionen von Menschen zu Klimaflüchtlingen verdammt, die ihre Heimat verlassen müssen.
Darüber hinaus verursacht die Radikalisierung des Wettergeschehens astronomisch hohe Schäden in allen Bereichen der Wirtschaft. Die wiederkehrende Zerstörung großer Teile der Infrastrukturen und von Wohn- und Geschäftsgebäuden sowie die massive Beeinträchtigung von Produktionsprozessen durch ständige Unterbrechungen von Lieferketten werden in der Weltwirtschaft zu jährlichen Schäden in der Größenordnung von mehr als zehn Prozent des Weltsozialprodukts führen.
Es ist offensichtlich: Ein Szenario von drei Grad Erderwärmung dürfen wir niemals zulassen. Die weltweit führenden Klimatologinnen und Klimatologen sind überzeugt, dass wir ohne gravierende Kurskorrekturen zum Ende des Jahrhunderts auf plus drei Grad „zurasen“.
Die Klimapolitik der letzten 25 Jahre muss korrigiert, zukünftige Herausforderungen gemeistert werden
Die Autorinnen und Autoren des Buches zeigen jedoch auch auf, wie wir noch durch ergänzende Maßnahmen zum Klimavertrag von Paris solch eine Katastrophe verhindern können. Diese Ergänzungen sind unabdingbar notwendig, weil er in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung überfordert ist, die Erderwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen. Das Abkommen muss nicht nur die völlig unzureichende Klimapolitik der letzten 25 Jahre korrigieren, sondern auch die zukünftigen globalen Herausforderungen meistern.
Hierzu gehören unter anderem die weitere Zunahme der Weltbevölkerung bis 2050 um etwa zwei Milliarden Menschen und – vor allem in den Schwellenländern – der Aufstieg weiterer rund zwei Milliarden Menschen in den Mittelstand mit ebenso verschwenderischen Lebens- und Konsumstilen wie in den Industrienationen.
Der Autor: Klaus Wiegandt
- Klaus Wiegandt ist Stifter und Vorstand von „Forum für Verantwortung“. Seine Stiftung mit Sitz in Saarbrücken fördert Bildung, Wissenschaft und Forschung, insbesondere auf dem Gebiet der nachhaltigen Entwicklung.
- Im Rahmen der 2006 von ihm ins Leben gerufenen Bildungsinitiative „Mut zur Nachhaltigkeit“ erschien die zwölfbändige Reihe „Zur Zukunft der Erde“.
- Wiegandt ist Mitinitiator des seit 2013 vergebenen „Zeit Wissen-Preis Mut zur Nachhaltigkeit“ und erhielt für sein Stiftungsengagement das Bundesverdienstkreuz.
- Im Oekom Verlag hat Wiegandt das Buch „3 Grad mehr. Ein Blick in die drohende Heißzeit und wie uns die Natur helfen kann, sie zu verhindern“ herausgegeben.
- forum-fuer-verantwortung.de
Demzufolge wird sich das Weltsozialprodukt bis zu dem Jahr 2050 gegenüber heute noch einmal mehr als verdoppeln, ohne die Chance einer absoluten Entkopplung von Wirtschaftswachstum auf der einen und Ressourcen- und Energieverbrauch auf der anderen Seite. Und schließlich muss der Vertrag gewährleisten, dass von den heute bekannten Vorräten an fossilen Energieträgern 80 Prozent der Kohle- und 60 Prozent der Erdgas- und Rohölvorräte nicht gehoben werden, wenn man die Pariser Klimaziele erreichen will.
In diesen Zusammenhang gehört aber auch die Frage nach der Suffizienz, das heißt der Mäßigung. Politisch weltweit ein heißes Thema, weil politisch Entscheidende nicht den Mut haben, den Menschen aufzuzeigen, wie verschwenderisch unsere Lebens- und Konsumstile sind, ebenso wie ein Großteil der sie begleitenden Produktionsprozesse in der Wirtschaft.
Diese Herausforderungen erzwingen eine Nachbesserung und Ergänzung des Pariser Abkommens. Im Wesentlichen sind es die Verpflichtung der Länder, zügig jährlich in Höhe von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Klimaschutzpolitik zu investieren und unter anderem die im Vertrag vorgesehenen sogenannten naturbasierten Lösungen umfassend in Gang zu setzen. Diese naturbasierten Maßnahmen beinhalten den umgehenden Stopp der Abholzung der Regenwälder, die Aufforstung von 350 Milliarden Bäumen in den Tropen und Subtropen, die weltweite Wiedervernässung der trockengelegten Moore, die Humusanreicherung der Agrarflächen sowie eine Wende im Bausektor durch eine Rückkehr zum Holzbau (denn rund 40 Prozent der Treibhausgase werden bei Bau und Nutzung von Gebäuden durch Stahl und Zement emittiert).
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Die absolute Priorität bei den naturbasierten Lösungsansätzen hat allerdings ein Stopp der Abholzung der Regenwälder. Dieser Stopp würde die jährlichen CO2-Emissionen sofort um fast fünf Milliarden Tonnen reduzieren – das ist mehr, als ganz Europa jährlich emittiert. Gleichzeitig würde man damit den größtmöglichen Beitrag zur Erhaltung der Biodiversität leisten.
Erfolgreich wird man einen Stopp der Abholzung aber nur durchsetzen können, wenn die Weltgemeinschaft bereit ist, den betroffenen Ländern den dadurch entstehenden Ertragsausfall zu ersetzen. Es gibt Schätzungen, dass diese Länder jährlich zwischen 40 und 50 Milliarden US-Dollar für die Bereitstellung der abgeholzten Flächen von Unternehmen der entwickelten Länder erhalten. Auf diesen Flächen werden insbesondere großflächige Plantagen zur Gewinnung von Palmöl sowie Sojaplantagen für die Viehfuttergewinnung angelegt.
Die erheblichen Summen, die in den nächsten Jahrzehnten in die Klimaschutzpolitik investiert werden müssen, dürfen weder durch weitere Verschuldungen der Staaten noch durch Steuern für breite Bevölkerungsschichten finanziert werden.
Diese zwei Steuerarten sollten weltweit dafür herangezogen werden: zum einen eine minimale Umsatzsteuer (Finanztransaktionssteuer) im Weltfinanzsystem sowie zum anderen eine Erbschaftssteuer insbesondere für Vermögen über zehn Millionen Euro für jeden Erbberechtigten.
Diese beiden Steuern sind zweckgebunden in Staatsfonds zu vereinnahmen. Da nahezu alle Staaten inzwischen hoch verschuldet und die unabdingbaren Investitionen in den Klimaschutz nicht aufschiebbar sind, sollte die Durchsetzung politisch machbar sein, zumal es unter Klimagerechtigkeitsgesichtspunkten keine andere Lösung gibt.
Es ist an unserer Regierung, nun rasch den Dialog mit der eigenen Bevölkerung zu suchen
Die Weltgemeinschaft hat sich zum Ziel gesetzt, die Welt bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu gestalten. Ohne eine umfassende Aufklärung der Bevölkerungen über die Folgen einer Erderwärmung um drei Grad kann und wird das nicht gelingen. Es ist an unserer Regierung, nun rasch den Dialog mit der eigenen Bevölkerung zu suchen, welche Gefahren durch den Klimawandel und eine „Welt mit plus drei Grad“ drohen. Dazu will dieses Buch einen inhaltlichen und appellierenden Beitrag leisten.
Eine Welt mit drei Grad mehr wird eine sein, die unsägliches soziales Elend, Armut und Tod für zig Millionen Menschen, wirtschaftliche Krisen und Zusammenbrüche politischer Systeme sowie die unumkehrbare Zerstörung ökologisch essenzieller Lebensräume mit sich bringen wird.
Dies zu ändern haben wir alle noch in der Hand.
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