Glückwünsche sind die geburtenstarken Jahrgänge von Mitte der 1950er bis etwa Ende der 1960er Jahre kaum noch gewohnt. Zumindest nicht im Kollektiv. Vor allem Social-Media- und andere Verbal-Aktivisten wünschen den Babyboomern eher Pest und Cholera an den Hals. Schließlich sei speziell diese Generation mit übergroßem CO2-Fußabdruck und Wachstumswahn hauptverantwortlich für den drohenden Weltuntergang qua Klimawandel.
Es gibt Gründe dafür, es so zu sehen. Es gibt auch Argumente dagegen. Nachdem das Wort Boomer von einigen Post-Pillenknick-Generationen nur noch verächtlich verwendet wird, kommt man fast schon ins Staunen über die Schlagzeile auf der Titelseite einer extrem weit verbreiteten Zeitschrift „Happy Birthday, Babyboomer!“ Sie lesen richtig: mit Ausrufezeichen! Weil die geburtenstärkste Generation komplett in die Lebensphase „50 Jahre und älter“ gestartet sei. Das Fragezeichen: Eigentlich ist das schon etwa fünf Jahre her. Egal, wen stören heute noch Fakten?
Die dazugehörigen drei Seiten im Innenteil sind überschrieben mit „Alles Gute, Babyboomer!“ Noch mal mit Ausrufezeichen! Bei so viel unerwarteter Zuwendung wird einem als Angehöriger des Jahrgangs 1966 fast schwindelig. Zumal sich auch die Kernbotschaft des Textes höchst erfreulich liest: „Nie war eine Generation im Alter von 50+ fitter.“ Ob mein Orthopäde das unterschreiben würde?
Etwas Anti-Sodbrennen-Mittel in den Wein schüttet allerdings der Titel der Zeitschrift, die solche frohen Botschaften verbreitet. Man ahnt es: die „Apotheken-Umschau.“ Man ahnt auch: Hinter dem eher statistisch gehaltenen Artikel steckt wohl zum nicht unerheblichen Teil die Freude auf langlebige Kundschaft für allerlei Mittelchen, die diese Rekord-Fitness erhalten. Darauf ein Schluck Doppelherz.
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