Literatur

Erster Roman von Julia Engelmann: Wie ein Salinger für jetzt

Sie ist Poetry-Slammerin, Schauspielerin, Lyrikerin und Sängerin. Jetzt hat Julia Engelmann auch noch einen Roman geschrieben. Und der ist wirklich gut.

Von 
Thomas Groß
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Julia Engelmann gilt als Deutschlands erfolgreichste Poetry-Slammerin und hat nun ihren ersten, durchaus lesenswerten Roman veröffentlicht. © picture alliance/dpa

Ist es noch zeitgemäß, bei Neuerscheinungen an Jerome D. Salinger zu erinnern? An dessen wegweisenden Roman „Der Fänger im Roggen“ (The Catcher in the Rye), mit dem vor mehr als 70 Jahren ein neuer Ton in die Literatur einzog und das Lebensgefühl von Jugendlichen einen unverbrauchten Ausdruck fand?

In Rezensionen zu Benjamin Leberts Debüt „Crazy“ (1999) wurde noch an Salinger erinnert, ebenso bei „Tschick“ (2010) von Wolfgang Herrndorf oder später im Fall von Benedict Wells. Nun lässt es sich wiederholen, um die Frische und Lebendigkeit eines neuen Romans über junge Menschen zu loben – am Beispiel von Julia Engelmann und ihrem Debütroman „Himmel ohne Ende“. Nebenbei liegt der Hinweis auf den US-amerikanischen Autor Salinger und sein Buch auch deshalb nahe, weil ihn Engelmann in ihrem Roman einmal selbst erwähnt.

Das Lebensgefühl einer jungen Generation steht im Zentrum

Als Poetry-Slammerin ist die 33-Jährige bekannt geworden, hat auch als Lyrikerin, Schauspielerin und Sängerin auf sich aufmerksam gemacht. Wenn nun ebenfalls ihr Roman erfolgreich würde, wäre es kein Wunder – nicht (nur) wegen Engelmanns Popularität und weil der Diogenes-Verlag das Buch als Spitzentitel bewirbt, sondern weil es fesselt und sich faszinierend liest, weil der Roman feinfühlig erzählt ist und berührt. Und was schon für die oben erwähnten Bücher gilt, lässt sich auch für „Himmel ohne Ende“ sagen, dass nämlich auch dieser Roman zwar das Lebensgefühl einer jungen Generation ins Zentrum rückt, aber zugleich von vielen Generationen mit Gewinn gelesen werden kann: Das ist ein echter „All-Age-Titel“.

Im Mittelpunkt steht die fünfzehnjährige Schülerin Charlotte, die auch die Ich-Erzählerin des Buches ist. „Charlie“ nennen sie alle, ihre alleinerziehende Mutter inklusive. In jüngster Zeit fühlt sie sich oft allein, fängt im Unterricht an zu weinen und erinnert sich an ihren Vater, der „einfach weggegangen“ ist, als sie acht war. Alle in ihrer Klasse scheinen schlicht und selbstverständlich sie selbst zu sein, vor allem gilt das für Katie, eigentlich ihre beste Freundin, die sich aber seit Kurzem von ihr distanziert.

Für Charlie ist nichts mehr selbstverständlich; sie fragt sich, „wer ich bin und das alles“. Und ihr ist, als ob sich eine Glasscheibe zwischen sie und die Welt geschoben hätte: Sie sieht zwar alles, hat dazu aber keine innere Verbindung mehr, so glaubt sie jedenfalls. Ganz woanders zu sein, wäre schön. Und am besten wäre es, ein „Fenster ins Universum öffnen“ zu können.

Charlies Lebensgefühl und Weltsicht steht im Zentrum, aber natürlich passiert auch einiges in dem Buch. Durch vier Jahreszeiten und etwas mehr als ein Schuljahr begleiten wir Charlie, die zu viele Riegel und Tiefkühlpizzen isst und sehr viel Eistee trinkt. Und wir erleben mit, wie sie allmählich wieder aus ihrer Isolation herausfindet, Zuversicht und Hoffnung schöpft, weil sich ihre Sehnsucht erfüllt, für jemanden, den sie erst noch kennenlernt, „etwas zu bedeuten“. Teenager-Liebe spielt hier aber nur am Rande eine Rolle.

Auch der iPod ihres Mitschülers Mikolaj, den dieser verliert, den Charlie findet, aber lange nicht zurückgibt, ist ein eher äußeres Detail des Buches. Ebenso „der Italiener“, der neue Freund ihrer Mutter, der in einer Pizzeria kellnert und den Charlie ziemlich langweilig findet. Allerdings ist dieser Mensch, dessen absolutes Lieblingsthema Abkürzungen von Auto-Wegstrecken zu sein scheinen, eine Bestätigung dafür, dass sie sich auch ihrer Mutter gegenüber zunehmend fremd fühlt.

Zwei Randexistenzen lernen sich und einander besser verstehen

Die Hauptsache ist viel eher ein neuer Mitschüler, Cornelius, den Charlie und andere „Pommes“ nennen. In ihren Augen ist er ganz anders, vor allem: Er sucht ihre Nähe, selbstverständlich und unverkrampft. Und dann stellen die beiden auch noch fest, dass sie sich beide als Randständige empfinden und die Überzeugung teilen, sich mit dem Leben als solchem schwer zu tun. Und sie merken, dass sie miteinander schlicht über alles reden können und stets das Gefühl haben, einander zu verstehen.

Julia Engelmann

  • Julia Engelmann, geboren 1992 in Elmshorn, ist bekannt geworden als Poetry-Slammerin , als Schauspielerin auf Bühnen und in der RTL-Soap „Alles was zählt“, als Lyrikerin und Sängerin.
  • Bekannt machte sie vor allem ihr Slam „Eines Tages, Baby“ , inspiriert vom „Reckoning Song“ des Musikers Asaf Avidan mit dem bekannten Refrain „One Day, Baby“. Das YouTube-Video ihres Auftritts wurde etwa 14 Millionen mal aufgerufen.
  • „Eines Tages, Baby“ ist auch der Titel eines ihrer Bücher mit Slam-Texten und Gedichten , die ebenfalls erfolgreich wurden.
  • Julia Engelmanns erster Roman: „Himmel ohne Ende“ . Diogenes Verlag, Zürich. 325 Seiten, 25 Euro.

Knapp formuliert die Autorin, treffend und plastisch. Alles wirkt ungekünstelt, natürlich-alltäglich, und die Sprachbilder sind nicht ausgesucht originell, sondern passen einfach. Engelmann versteht es, im Kleinen das große Ganze zu spiegeln. Mit der Gestimmtheit ihrer Charlie korrespondiert der Ton des Buches, auf melancholische Passagen folgen auch heitere oder solche mit ironischen Noten, und selten nur hat man den Eindruck, dass die Gedanken und Gespräche der Beteiligten zu kurz greifen würden oder ihre Handlungsweisen unmotiviert oder unglaubwürdig wirkten.

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Charlies Meerschweinchen Markus steht für die Nachwirkung der früheren Kindheit, ebenso die enge Bindung zur Oma. Der Plan, ganz „abzuhauen“ oder wenigstens allein zu verreisen, markiert hingegen den Wunsch nach Selbstständigkeit. Als ein Abwägen zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit kann wohl jedes Leben empfunden werden, und Kipppunkte des Daseins gibt es viele. Auch deshalb kann Engelmanns Buch so ansprechend wirken. Man versteht und kennt einfach, wovon hier die Rede ist, lässt sich nicht weit wegführen und wird erst recht nicht auf Abwege gelenkt. Die Autorin bringt zeitgenössisches Leben auf den Punkt. So kann man das verstehen – und es deshalb so gerne lesen.

Redaktion Kulturredakteur, zuständig für Literatur, Kunst und Film.

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