Feminismus ist das Gebot der Stunde – und das spiegelt sich freilich im Kino in unterschiedlichsten Genres wider. Gegen das Patriarchat und die „alten weißen Männer“ wird mobil gemacht, mit dem Frausein gerungen und – konsequent nur – mit dem vermeintlichen Mutterglück.
In Form eines Horror-Thrillers bei Andreas Prohaskas „Welcome Home Baby“, als Suspense-Mystery bei Johanna Moders „Mother's Baby“, beide auf der diesjährigen Berlinale uraufgeführt. Letztgenannte Arbeit wurde zudem auf der Viennale, Wiens Publikumsfestival, gezeigt und vom Publikum mit tosendem Applaus gefeiert.
Das Psychodrama „Die My Love“ brennt sich ins Gedächtnis ein
Wie auch „Die My Love“ der schottischen Regisseurin und Drehbuchautorin Lynne Ramsey („A Beautiful Day“). Mit Edna Walsh („Hunger“) und Alice Birch („Lady Macbeth“) hat sie das Skript verfasst, das auf dem für den Booker-Preis nominierten Buch „Mátate, amor“ (2012) – deutscher Titel: „Stirb doch, Liebling“ (2019) – der argentinischen Schriftstellerin Ariana Harwicz fußt.
Als psychologisches Drama lässt sich das Werk am ehesten kategorisieren, als One-Women-Show von Jennifer Lawrence („Die Tribute von Panem“) – mit „Twilight“-Star Robert Pattinson an ihrer Seite – brennt es sich einem ins Gedächtnis ein. Das von den beiden gespielte Paar zieht von New York ins rurale US-Hinterland, um auf einer abgeschiedenen geerbten Farm fernab der Zivilisation ein neues Leben zu beginnen.
Für Schriftstellerin Grace und den aspirierenden Musiker Jackson steht – nachdem für etwas Ordnung im heruntergekommenen Heim gesorgt wurde – Geschlechtsverkehr auf dem Programm. In jedem Zimmer, in jeder Stellung. Als die junge Frau schwanger wird, der Sohn zur Welt kommt, vermag sie ihrer postpartalen Depression nicht zu entkommen.
Das Mutterglück auf Knopfdruck – ein hartnäckiges Klischee – will sich nicht einstellen. Lange Stunden verbringt sie allein in der Hütte, in der Jacksons Onkel einst Selbstmord begangen hat. Ihren Plan, den großen amerikanischen Roman zu schreiben, verliert sie schnell aus den Augen. Angstzustände plagen sie, immer wieder kommt es zu irrationalen Gefühlsausbrüchen, die Last der Welt scheint sie zu erdrücken.
Jennifer Lawrence
- Kaum jemand ist in der Traumfabrik so durchgestartet wie Jennifer Lawrence. Als unbeirrbare Ree im Drama „Winter’s Bone“ überzeugte sie 2011 die Kritiker und wurde mit einer Academy-Award-Nominierung bedacht.
- Die bis dahin unbekannte Darstellerin, die 2008 in „Garden Party“ ihr Leinwanddebüt gab, sorgte in der Folge in unterschiedlichsten Parts, etwa in Jodie Fosters „Der Biber“ oder dem Blockbuster „X-Men: Erste Entscheidung“, für Furore.
- Das 1990 in Louisville , Kentucky, geborene Multitalent – sie weiß auch als Gitarristin zu überzeugen – begeistert durch Nuancenreichtum, Eindringlichkeit und Charisma. Der Durchbruch zum Star gelang Jennifer Shrader Lawrence, die Basketball in einem Jungenteam spielte und als 14-Jährige in New York von einem Talentscout entdeckt wurde, als kämpferische Katniss in der Bestseller-Verfilmung „Die Tribute von Panem“ (2012) .
- Als Co-Star von Bradley Cooper gewann sie in „Silver Linings“ sowohl einen Oscar als auch einen Golden Globe . Letztgenannten Preis durfte sie auch als Gangsterbraut in „American Hustle“ entgegennehmen.
- 2017 war „JLaw“, der Gagen von über 20 Millionen Dollar bezahlt werden, mit Darren Aronofsky („mother!“) liiert, 2018 ehelichte sie den Kunsthändler Cooke Maroney , mit dem sie zwei Kinder hat, geboren 2022 und 2025. geh
Immer tiefer versinkt sie im Wahnsinn, bald ist sie nicht mehr Herrin ihrer Sinne. Was hat es mit dem stattlichen Hengst auf sich, der immer wieder übers Grundstück galoppiert? Traum oder Albtraum? Die Grenzen zwischen Realität und Fantasie verschwimmen – für sie wie für die Zuschauer.
Sind die Gespräche mit der Familie ihres Mannes, der besorgten Mama (Sissy Spacek) und dem dementem Papa (Nick Nolte) – Referenz an die Werke des „New Hollywood“ und seiner starken Protagonisten – echt oder Einbildung? Was hat es mit dem geheimnisvollen, schwarz gewandeten Motorradfahrer (LaKeith Stanfield), der regelmäßig auftaucht und mit dem sie in einem Schuppen wilden Sex hat, auf sich?
Fragen, auf die die mysteriösen, farbintensiven Bilder von Kameramann Seamus McGarvey („Nocturnal Animals“) – verstärkt durch Toni Froschhammers („Perfect Days“) assoziativen Schnitt – keine Antwort geben. Das alte 4:3-Fernsehformat verstärkt mit seiner „Enge“ das Gefangensein der (Anti-)Heldin, der ewige Druck, der auf ihr lastet, wird durch das exzellente, an den Nerven zerrende Ton- und Sounddesign verstärkt. Fliegen surren, Holz knirscht, Zikaden zirpen, der Wind rauscht und endlos bellt ein kleiner Hund, den der gern abwesende, untreue Jackson von einem Arbeitstrip mitbringt.
In „Die My Love“ liefert Jennifer Lawrence eine Ausnahmeperformance
Eine cineastische Tour de Force, von der künstlerisch stets radikalen Filmemacherin gegenüber dem Branchenblatt „Variety“ gar als Komödie bezeichnet. In Wahrheit ein Schauspielerfilm. Eine Ausnahmeperformance von Lawrence, die nach zweijähriger Leinwandabsenz und der Geburt ihres zweiten Kindes im März dieses Jahres ein furioses Comeback hinlegt.
Für einen Hollywood-Star ihrer Kategorie mehr als freizügig. Mutig, entfesselt, verrückt. Vergleichbar mit ihrem „offenherzigen“ Part in Darren Aronofskys ähnlich gelagertem Schocker „mother!“, in dem sie sich als schwangere Ehefrau, dann Mutter, dem doppelt so alten, als Genie verehrten Autoren-Gatten, verkörpert von Javier Bardem, unterwerfen soll.
Neben ihr bleibt Teen-Liebling Pattinson eher blass. Ganz zum Schluss meldet sich Ramsey persönlich zu Wort, singt eine vielsagende Version des Joy-Division-Klassikers „Love Will Tear Us Apart“ – sprich: „Die Liebe wird uns auseinanderreißen“ –, die im Gegensatz zu John Prines „In Spite of Ourselves“ (etwa: „Obwohl wir sind, wie wir sind“) steht, das das Paar in einem raren Moment des Konsenses im Auto zum Besten gibt.
In Summe schonungs- und tabuloses, anti-romantisches Körper- und Kopfkino, kraftvoll und kompromisslos umgesetzt. Tapfer und packend.
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