Mannheim. An Pfingsten erscheint der Heilige Geist. In diesem Punkt sind sich die christlichen Konfessionen einig. Uneins sind sie indessen in der Frage, wie und wo er weht, der Geist – beziehungsweise, worin er präsent ist. Die Apostelgeschichte des Neuen Testaments erzählt im zweiten Kapitel, dass die zu Aposteln gewordenen ehemaligen Jünger Jesu mit einem Mal in fremden Sprachen zu reden anfingen – ein Bild und eine Voraussetzung dafür, dass sich die dem Anspruch nach universelle christliche Botschaft tatsächlich weltweit verbreiten konnte.
Und diese Botschaft bringt sodann Petrus in einer von der Bibel als „Pfingstpredigt“ apostrophierten Rede an die Bewohner Jerusalems auf den Punkt.
Die Apostelgeschichte gebraucht noch ein anderes Bild: Gottes Geist überkam die Männer in Gestalt von „Zungen wie von Feuer“, die sich auf jeden von ihnen niederließen. In der frühen christlichen Kunst gibt es dazu Bilder, die den Vorgang wörtlich illustrieren – alles im Dienste der christlichen Botschaft, die es präsent zu halten gilt, wozu Gottesdienste, religiöse Feste und Feiertage sowie eben eine passende Kunst dienen.
Solch ein Fest ist Pfingsten; ein Feiertag ist die zehn Tage zuvor begangene „Christi Himmelfahrt“, und wiederum im Abstand von zehn Tagen nach Pfingsten folgt Fronleichnam. Diesem Feiertag messen reformierte Konfessionen aber keine Bedeutung mehr zu, denn schließlich feiert das katholische Hochfest die bleibende Gegenwart Jesu Christi in der Eucharistie – und diese „Realpräsenz“ bezweifeln Reformierte gerade. Sie sprechen deshalb nüchterner von Abendmahl und sehen im symbolisch geteilten Brot und Wein lediglich ein freilich bedeutsames Zeichen – einen wichtigen Hinweis auf die erlösende Botschaft, die aber allein eine Sache des Glaubens sei.
Skeptischer Protestantismus warnt vor falscher Anbetung
Soweit und verknappt die jeweilige Theologie und die Religionsgeschichte, von der wenigstens ein Detail noch gesondert betont sei: Der Protestantismus insgesamt war zumal anfangs skeptisch, was Bilder mit religiösen Inhalten betrifft. Er hegte einen grundsätzlichen Verdacht, dass religiöse Kunst und Bildwerke zu falscher Anbetung verführen könnten, buchstäblich zu einer Vergötzung von Dingen, die mit wahrhaftem Glauben nichts zu tun hätten. Das führte im 16. Jahrhundert zu dem „Bildersturm“ genannten Zerstören oder nur Entfernen von Skulpturen, Bildern und Fenstern, die biblische Motive zeigten oder Heilige darstellten. Der dadurch entstandene kulturelle Verlust ist schwer einzuschätzen.
Eine Pointe hat die Geschichte darin, dass auch sie ein universelles Phänomen illustrieren kann, wie der Dichter Heinrich von Kleist bestätigt hat. Er berichtet in seiner Erzählung „Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik“ von einem geplanten Bildersturm und zugleich von der Kunst als solcher. Die Erzählung verhandelt mit, ob Kunst mehr ist als nur zeichenhaft und vielmehr an und in sich selbst wirksam und bedeutsam ist – anders gesagt, ob die Kunst insgesamt nur scheinhaft ist oder sie tatsächlich etwas Allgemeines und Bedeutendes zur Erscheinung bringen kann.
Auch das ist ein Streitpunkt bis heute. Entsprechend gibt es mit jeweils unterschiedlichen Akzentuierungen bis in die Gegenwart noch Bilderstürmerei. Die Taliban in Afghanistan oder der sogenannte Islamische Staat im Irak haben ähnliche Zeichen gesetzt und Kulturdenkmäler mit purer Absicht zerstört. Auch sie gaben damit der Überzeugung einen zweifelhaften Ausdruck, dass Bilder keine höhere Bedeutung verbürgten. Ein Unterschied zur europäischen Religionsgeschichte und zum von Kleist geschilderten Fall liegt freilich darin, dass die protestantischen Bilderstürmer wie die katholischen und orthodoxen Verehrer christlicher Kunst den gleichen Glaubenshorizont teilten, ihn nur hinsichtlich seiner Riten und Gebräuche und deren Relevanz anders auslegten und bewerteten. Für den Verlauf der europäischen Geschichte wie übrigens auch den von Kleists wie gewohnt komplexer Erzählung ist dies von erheblichem Belang.
Bildersturm mit Kontaktkleber und Suppeneimer
Heute wenden sich auch gewisse Klimaaktivisten gegen Werke der Kunst: Sie kleben sich demonstrativ an ihnen oder ihren Bilderrahmen fest oder überschütten sie mit zähflüssiger Suppe. Auch hier ist die Tat mit der Absicht verbunden, den Werken ihre Bedeutung abzusprechen, denn die wahre Bedeutung, so die Überzeugung, komme allein dem gefährlichen Klimawandel zu, der alle Aufmerksamkeit erfordere und keine Ablenkung dulde. Wieder bildet, jedenfalls dem Anschein nach, kein gemeinsamer Wertehorizont den Hintergrund der Kritiker und der Kritisierten.
Die neueren Bilderstürmer könnten sich freilich irren, wenn sie einen grundsätzlichen Dissens unterstellen. Denn echte Kunst spricht alle an – oder kann es jedenfalls. Warum sollte sie nicht eine Sensibilität zu kultivieren helfen für wichtige verbindende und überdauernde Werte, wozu auch der notwendige Erhalt von Natur und Umwelt zählt? Allerdings vermag Kunst nur dann zu wirken, wenn man sich auf sie einlässt und ihr Glauben schenkt. Das tun die neueren Bilderstürmer gerade nicht und gleichen darin ihren Vorgängern. Schon die erwähnte mögliche Sensibilisierung weist aber darauf hin, dass ihnen in ihrem Furor Wesentliches entgehen könnte. Echte Kunst erfordert und fördert Behutsamkeit, der Sturm macht diese nur zunichte.
Um noch einmal speziell auf Pfingsten zurückzukommen: Das christliche Fest illustriert nicht zuletzt den noch weiteren Umstand, dass Geist immer mehr ist als alles Materielle und in diesem nicht aufgeht. Mögen wir Menschen auch erlösungsbedürftig sein, so sind wir dennoch keineswegs nur durch Umwelteinflüsse motivierte Maschinen, die allein körperliche, von Nervenbahnen ausgehende Reaktionen zu zeigen in der Lage sind. Sollte es da nicht auch möglich sein, sich über grundsätzliche Ziele einig zu werden und darüber, was unbedingt erhaltenswert ist?
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