Kolumne #mahlzeit

Warum man in der Diktatur der Korrektheit gesteinigt wird

Unser Kolumnist Stefan M. Dettlinger ärgert sich darüber, dass die Kunst nur noch poltisch korrekte Erzeugnisse hervorbringt - aus Angst vor Shitstorms und Konsequenzen. Aber er hat einen Plan

Von 
Stefan M. Dettlinger
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© kako

Ich muss sagen: In letzter Zeit habe ich richtig Lust bekommen, Künstler zu werden. Egal: Maler, Dramatiker, Musiker, Performer. Ich möchte die Leute mit provokanter Kunst darauf hinweisen, dass sie auf dem Holzweg sind mit ihrer politischen Korrektheit, dem Konformismus, der Angst vor Deplatforming und Cancel Culture, dem ganzen Kuschen zuerst vor den sozialen Netzwerken ergo den Irren und Idioten, die ihren Gedankenmüll in die Welt blasen, und dann vor den Mächtigen, die einen dann fallenlassen, bloßstellen - und im schlimmsten Fall entlassen. Die Kunst ist tot, sie ist auf einem Highway to Sell, sie verkauft sich als Sklave eines fragmentarisierten Meinungsabsolutismus. Die Künstler, all die -Innen und Genderinnenfunktionäre mit und ohne Stern achten nur darauf, ja keinen zu verletzen. Selbstzensur und Hirnlosigkeit ist das. Ich fordere: „Gebt Gedankenfreiheit.“

„Mach’ doch“, sagt Bela. Er sei „doch echt so ein Trottel“, sagt Caro zu Bela, schließlich ende jede Freiheit, wo sie die Freiheit anderer einschränke. Zu solchen Gedanken sei aber wohl Belas Spatzenhirnchen zu klein: „Bela! Freiheit ist individuell. Freiheit ist aber auch kollektiv.“

In diesem Moment zweifle ich an meinem Plan. Mir schwant (keine Ahnung, warum mir ein so altmodisches Wort entgleist), mir schwant, dass Mark Zuckerberg schuld ist. Vielleicht dachten wir zu lang, die Gesellschaft sei einigermaßen homogen (bis auf die paar Türken in den Dönerbuden und den Pizzeria-Italienern). Jetzt, wegen Mark Zuckerberg und seinen Social-Media-Trittbrettfahrern, bemerken wir, dass es nie so war. Es gab, huch, immer schon Schwule, Lesben, Migranten, Nicht-Weiße, Nicht-Binäre, Nicht-Männer, Nicht-Christen, Nicht-Deutschsprechende, Menschen mit Behinderung, SUVs und einem CDU-Parteibuch. Ich sage: „Kunst kann nicht ohne Verletzung entstehen. Eine Provokation, wie sie Kunst nicht erst im vorigen Jahrhundert immer mitgedacht hat, um sich an Konventionen zu reiben und Grenzen auszuloten, muss zu politischer Unkorrektheit führen. Das ist eine Versprechung moderner Kunst. Heute sind wir zurück im prüden Biedermeier und dessen Moralvorstellungen. Der Schock der Moderne ist vorbei. Es zählt nur noch Anpassung.“

„Kunst ist auch Spiegelbild des Zeitgeistes. Und der Zeitgeist ist eben, dass man auf Minderheiten Rücksicht nimmt“, so Caro: „Kunst kann die Vielfalt von Kulturen, Identitäten, Geschlechterrollen und sozialen Dynamiken ansprechen und sich an diese Veränderungen anpassen.“ Ich frage Caro, ob sie das aus einem Kunst-Knigge auswendig gelernt hat: „Das stammt doch aus dem Kapitel ,Wie verhalte ich mich heute korrekt als Repräsentationskünstler der artigen Gesellschaft’, stimmt’s?“ Da steht Caro auf, lässt alles liegen und stehen und geht. Bela schüttelt den Kopf.

Ich tu’s: Ich kaufe mir einen Sombrero, flechte mir Dreadlocks in eine Damenperücke und male mein Gesicht schwarz an. Unter dem Hut trage ich sichtbar eine Chéchia oder Kippa. So setze ich mich in die Fußgängerzone und warte, dass ich gesteinigt werde. Tschüs, freie Welt. Es. War. Schön.

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Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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