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Versöhnung an Weihnachten: Mit Verständigung fängt alles an

Versöhnung ist nicht nur an Weihnachten gefragt. Das auch religiös konnotierte Wort zeigt an, was im menschlichen Miteinander regelmäßig nötig ist. Und an dessen Anfang steht immer die Verständigung

Von 
Thomas Groß
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Auch in der Familie fällt Verzeihen und Versöhnung oft schon schwer: Ob Rembrandt deshalb im Jahr 1635 in seinem Gemälde „Gleichnis vom verlorenen Sohn“ seine Frau Saskia und sich selbst porträtiert hat? © Estel/Klut/Staatliche Kunstsammlung Dresden/dpa

Versöhnlich gestimmt zu sein, setzt ein positives Grundgefühl voraus. Oder jedenfalls geht das eine mit dem anderen einher. So ergibt sich schon ganz intuitiv eine positive Bestimmung des Begriffs der Versöhnung. Wortgeschichtlich leitet er sich von „versühnen“ her. Die für eine begangene Sünde geleistete Sühne schwingt mit. Und es klingt der christliche Kontext des Glaubens an das Heilsgeschehen an, wodurch die Ursünde, von der die Bibel im Alten Testament berichtet, nicht geradewegs ausgelöscht, aber doch von Christus, dem Versöhner, unschädlich gemacht wird. Als Versuchung bleibt die Sünde freilich präsent, weshalb der Gläubige, so die theologische Konsequenz, auch der religiösen Gemeinschaft und des geistlichen Zuspruchs bedarf.

Das Weihnachtsfest gibt Anlass, um an diesen Zusammenhang zu erinnern. Die Dringlichkeit der mit dem Wort Versöhnung verbundenen Aufgabe lässt sich allerdings auch profaner begründen. Schließlich nehmen religiöse Bindungen bekanntlich seit Jahrzehnten kontinuierlich ab, und wo sie noch vorhanden sind in diesem Land, gründen sie nicht mehr selbstverständlich im christlichen Glauben.

Über religiöse Grenzen hinweg

Dessen Gott ist immerhin derselbe wie in der älteren Religion, die von ihm erzählt; nur gelten dort allein die Juden als sein Volk. Im Christentum zeigt er sich dann allen, und zwar dreieinig. Noch später soll er all jene als ungläubig empfinden, die nicht dem folgen, was er dem Propheten Mohammed nach dessen eigenem Zeugnis offenbart haben soll. Das birgt Konfliktstoff genug und hat massive, gewalttätige Auseinandersetzungen befördert. Zugleich bestätigt es die Dringlichkeit einer Versöhnung über religiöse Grenzen hinweg. Entsprechend weist die vom großen „Digitalen Wörterbuch der Deutschen Sprache“ angeführte weitere Bedeutung - „einen Streit zwischen Gegnern schlichten, Frieden zwischen jemandem und anderen stiften“ - über spezielle kulturelle Kontexte hinaus ins Universelle. Und schon das althochdeutsche „firsuonen“ steht ebenso für das eher kontextgebundene „sühnen“ wie für das allgemeiner gebrauchte neuhochdeutsche Verb ausgleichen.

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Wie aber gelingt ein Ausgleich, dessen Notwendigkeit schon allein deshalb einleuchtet, weil das Miteinander in dieser Welt von verschiedenen, oft gegensätzlichen Interessen und Bedürfnissen geprägt ist? Und was braucht es dazu, wenn vorausgegangene Handlungen seelisch oder körperlich verletzend und gewaltsam waren? Die Notwendigkeit eines Ausgleichs ist eigentlich klar, die konkreten Wege dorthin sind es oft weniger. Wie sollen Israelis mit Palästinensern, deren Vertreter es nicht schaffen, sich vom Terrorismus zu distanzieren, gut zusammenleben? Und wie sollen Palästinenser, die sich ohnedies zurückgesetzt fühlen oder es tatsächlich sind, akzeptieren, dass das ihnen eigentlich zugestandene Land von radikalen Siedlern doch wieder streitig gemacht wird? Und sollen sie das Vorgehen der israelischen Armee in Gaza schlicht erdulden, wenn sie das Pech haben, ebendort zu leben? Wie können sich Ukrainer und Russen wieder annähern angesichts des gnadenlosen Krieges, der auf den von Putin befohlenen russischen Überfall folgte, und angesichts der Tatsache, dass sie einander schon in der Zwangsgemeinschaft der Sowjetunion fremd waren oder erst recht noch geworden sind?

Ein Denken des Dialogs

Ohne Verständigung, und das heißt, ohne miteinander zu reden, wird es nicht gehen. Und nicht ohne Kompromisse. Auch an Vorbildern mag man sich orientieren: Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber (1878-1865) blieb immer davon überzeugt, dass Juden und Araber gemeinsam in Palästina leben könnten. Er blieb es auch nach arabischen Massakern an jüdischen Siedlern im Jahr 1929, lange bevor der Staat Israel gegründet wurde und dann auch von arabischen Nachbarstaaten mehrfach angegriffen wurde. Buber meinte, gerade hier müsse sich ein Denken des Dialogs bewähren, wonach das Gegenüber gleichberechtigt und so „gleichursprünglich“ sei wie das eigene Ich. Ein Miteinander ergebe sich aus dem Zwischenreich des Dialogs, so hat es Buber in seiner Schrift „Ich und Du“ (1923) beschrieben. Zu viel des Idealismus? So wie es ist, kann es ja nicht bleiben. Dialogisch dachte etwa auch der Heidelberger Philosoph Hans-Georg Gadamer (1900-2002). Leitend, so hat er regelmäßig betont, sei für ihn die Überzeugung, dass auch das Gegenüber (und nicht ich) recht haben könnte.

Verbunden damit ist eine ständige Überprüfung dessen, was einem selbstverständlich wurde. Die eigenen Maßstäbe, Überzeugungen müssen sich rechtfertigen lassen und bewähren. Wo sie mit anderen Prinzipien kollidieren, ist ebenso über deren Berechtigung zu reden und zu prüfen, ob und wie es zu einem Ausgleich kommen kann, wie man eben eine Versöhnung erreicht.

Also versöhne man sich - und fügen wir hinzu: in Gottes Namen. Das lässt sich im Sinne der Religion verstehen oder eines gleichsam achselzuckenden Gewährenlassens, weil es keine sinnvolle Alternative gibt, die ebenso friedensstiftend und im Sinne eines guten Zusammenlebens wäre. Auf ein Höchstes, und sei es nur auf einer Skala der Werte, sollte man sich in jedem Fall besinnen. Und wo es nur um Menschliches geht, scheint klar: Je weniger ein Absolutes zur Vermittlung sich anbietet, desto größer muss die Bereitschaft sein, von sich abzusehen und sich für andere Ansprüche zu öffnen.

Im Weltmaßstab betrachtet sind viele unserer Streitereien und Ärgernisse ja oft ziemlich nichtig. Sie zu überwinden hilft dennoch weiter. Weihnachten, so viel steht fest, ist ein guter Anlass, um sich friedlich und versöhnlich stimmen zu lassen.

Redaktion Kulturredakteur, zuständig für Literatur, Kunst und Film.

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