Ärger um Bäderordnung

Es sind doch nur Brüste! Ein flammendes Plädoyer für die Entsexualisierung des weiblichen Körpers

"Oben ohne" im Schwimmbad, das Thema taugt mal wieder zur allgemeinen Entrüstung. Für Katharina Koser geht es jedoch darum, dass auch Frauen genau das können wollen – ohne begafft, bewertet, belästigt oder begrapscht zu werden

Von 
Katharina Koser
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In den Augen eines männlichen Malers darf sie ihre Brüste freilich einfach zeigen: Sandro Botticellis berühmtes Gemälde „Die Geburt der Venus“. © Galleria degli Uffizi, Florenz

Das Thema taugt mal wieder zur allgemeinen Entrüstung: Die Anpassung der Bäderordnung dahingehend, dass Frauen und weiblich gelesene Personen „oben ohne“ das Schwimmbad besuchen dürfen – das verlangt die Volt-Partei Baden-Württemberg von der Stadt Mannheim, mindestens aber eine Testphase. Ziel des Ganzen: die weibliche Brust zu enttabuisieren und die Gleichberechtigung aller Geschlechter zu fördern.

Die Vorsitzende der Li.Par.Tie-Fraktion Lea Schöllhoff (Die Partei) im Gemeinderat zeigt sich angetan von dem Vorschlag: „Männer sollen endlich lernen sich zurückzuhalten, sobald sie Fettgewebe mit Milchdrüsen sehen.“ Aus SPD und ML gibt es Zustimmung, die CDU-Stadträtinnen Seitz und Funck machen fehlende Nachfrage aus, die AfD will die „Gender-Ideologie“ nicht unterstützen.

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Sommerloch? Genderwahn? Oder ist da vielleicht doch was dran, dass das irgendwie unfair ist? Während Frauen im Bad (und auch sonst fast überall) ihre Brust bedecken müssen, müssen Männer das schließlich nicht.

Zum Einstieg eine Anekdote: Im Alter von 15 Jahren ging ich in die Tanzschule. Meist war – klassisch-konservativ – „Herrenwahl“. Ich konnte mir dann sicher sein, dass ein junger Mann, nennen wir ihn Martin, zielstrebig auf mich zusteuern würde. Und kurze Zeit später würde für die Dauer eines Songs sein Blick an meiner Bluse kleben, unter der sich dezent meine gerade im Wachstum befindlichen Brüste abzeichneten. Nach dem ersten Ball beendete ich den Tanzkurs.

Was ich damals nicht wusste: Es würde sich in meinem Leben nicht wesentlich etwas daran ändern. Es würden noch viele Männer kommen (und mit den wenigsten von ihnen würde ich eine Beziehung haben), die wie selbstverständlich meinen Körper begaffen und bewerten, ohne meine Zustimmung fotografieren, kommentieren und anfassen würden. Am Strand, im Restaurant, in der Straßenbahn, beim Feiern, beim Einkaufen, an der Ampel. Ob ich einen Bikini trug, Jeans und Pullover, ein Abendkleid oder eine Winterjacke.

Ein sekundäres Sexualmerkmal

Freilich, das Problem sind nicht „alle Männer“. Das Problem sind drei Sorten von Männern: Erstens diejenigen, die glauben, in irgendeiner Weise ein Recht zu haben, den weiblichen Körper zu bewerten, über ihn zu entscheiden oder gar zu verfügen. Zweitens diejenigen, die Erstere gewähren lassen, indem sie mitmachen, zuschauen oder wegschauen. Und drittens diejenigen, die meinen, das Problem könne beseitigt werden, indem Frauen sich und ihren Körper verstecken.

Das Thema ist viel zu komplex, um es auf die weibliche Brust zu reduzieren. Sie soll hier gewissermaßen als Pars pro Toto dienen für die Tatsache, dass Frauen sich ständig einem männlichen Blick auf ihren Körper ausgesetzt sehen. Und das offensichtlichste Merkmal scheinen ihre Brüste zu sein. Wo wir beim nächsten Punkt sind: Die weibliche Brust ist ein Sexualmerkmal. Ein sekundäres, um genau zu sein, ebenso wie der Adamsapfel des Mannes oder sein Bartwuchs. Was sie nicht ist: ein Sexualobjekt.

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Wer jetzt befürchtet, hier solle Sexualität unterdrückt werden: keineswegs. Ein Mann darf Freude an den Brüsten einer Frau haben – vorausgesetzt, auch sie hat Freude daran. Aber wer einen Menschen attraktiv, vielleicht sogar schön findet, tut das nicht nur wegen eines einzigen Körperteils. Es muss ja nicht gleich Liebe sein. Nur wird hoffentlich niemand widersprechen, dass Sexualität sich nicht auf das plumpe Begrapschen einer Brust beschränkt.

Die weibliche Brust ist omnipräsent und offensichtlich auch gerngesehen, solange sie für den männlichen Blick zur Schau gestellt wird: in der Werbung (zum Beispiel für eine Autowaschanlage oder eine Schweißerei), in der Kunst, in Film und Fernsehen. Oder in Push-up-BHs gequetscht und zurechtgerückt und dann oft als Einladung missverstanden, sie ungebeten anzufassen.

Sich fürs Natürlichste schämen

Nicht so gern gesehen wird sie immer noch in der Funktion, für die sie eigentlich vorgesehen ist. Diese Erfahrung musste meine Freundin machen. Beim Stillen ihres Kindes im Foyer eines Kunstmuseums wurde sie in einen Nebenraum geschickt. Der Anblick ihrer Brust störte – absurd angesichts der Zahl an nackten Frauenkörpern, die man üblicherweise in einer solchen Einrichtung zu Gesicht bekommt. Zumal die Situation einen sexuellen Kontext ja nun wirklich ausschließt. Unanständig sind höchstens die Gedanken desjenigen, der den Anblick eines an der Brust trinkenden Kindes unanständig findet.

Und doch führt eine solche Behandlung dazu, dass eine Frau, die das Natürlichste der Welt tut, sich dafür schämt. Es ist schwer erträglich. Man möchte es dem Sicherheitspersonal, der Männerwelt insgesamt ins Gesicht schreien: Es sind doch nur Brüste! Hört auf, sie zu eurem Eigentum zu machen!

Geballter Weiblichkeit ausgesetzt

Wir Frauen verdienen es, unseren Körper genauso unbefangen durch die Welt zu tragen wie Männer. Ohne Angst, angeglotzt, belästigt oder gefilmt zu werden. Womit wir wieder beim Bäderthema wären. Manch einer hat nun Sicherheitsbedenken, wenn Männer sich der geballten Weiblichkeit ausgesetzt sehen. Aber, Hand aufs Herz: Hat je ein Kleidungsstück, ob Jeans oder Burka, eine Frau vor sexuellen Übergriffen bewahrt? Und da sollen zwei lächerliche Stoffdreiecke das leisten? Fragen Sie mal die ganzen Frauen, die in Schwimmbädern befummelt werden, wie gut das klappt. Nicht die Frauen und ihre (Nicht-)Bekleidung sind das Problem (siehe oben).

Und die Sache mit der Nachfrage: Es geht überhaupt nicht um die Frage, ob Frauen „oben ohne“ ins Schwimmbad gehen wollen. Es geht darum, dass sie es können wollen – ohne begafft, bewertet, belästigt oder begrapscht zu werden. Es geht darum, dass Frauen sich wünschen, ihr Körper würde mit der gleichen Selbstverständlichkeit und – ja – auch Gleichgültigkeit gesehen wie der eines Mannes. Denn eine Frau, die sich ganz selbstverständlich, ohne Sorgen, Ängste oder Scham, mit nackten Brüsten im öffentlichen Raum bewegen kann, kann das auch tun, wenn sie Kleidung trägt.

Redaktion

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