Ludwigshafen. Die Kreise und Sterne hat Willi Streily allesamt per Hand ausgeschnitten. Hunderte müssen das sein, wenn nicht sogar Tausende. Überall an den Wänden kleben die glitzernden Sticker, auch an den Decken, in jedem einzelnen Zimmer. Sie sind blau, rot, grün, rosa, gelb. Mal größer, mal kleiner. Mal einfach gehalten, mal aufwendiger gestaltet. „Das hat Jahre gedauert“, sagt der 84-jährige Ludwigshafener, um dessen buntes Reich es sich hier handelt. In mühevoller Fleißarbeit hat er seine Wohnung im Hemshof zu einem außergewöhnlichen Gesamtkunstwerk gemacht.
Willi Streily über seine besondere Wohnung: „Die Leute sind immer beeindruckt“
Schon als Streily die Haustür in dem ansonsten sehr unauffälligen Gebäude in der Blücherstraße öffnet, blitzt und blinkt es hinter ihm aus dem Flur. Für den Besuch dieser Redaktion hat er alles aufgefahren, was die besondere Einrichtung hergibt: Lichterketten, Lampen, kleine blinkende Apparate, die an Disco-Beleuchtung erinnern. Wer Streilys Wohnung betritt, muss erstmal viele Reize verarbeiten. „Die Leute sind immer beeindruckt. Viele fragen, ob sie Fotos machen dürfen“, sagt der Senior. Ihn selbst stören das viele Blinken und die Farbwechsel überhaupt nicht. „Ich mag das“, betont er.
Besonders stolz ist der Hobbykünstler auf seinen Balkon. Mit Plexiglasscheiben hat er ihn zu einem kleinen Wintergarten gemacht. Mit Sitzgelegenheiten und Elektroheizung. Hier blinkt es ganz besonders wild, so dicht wie hier sind die Wände sonst nirgends beklebt. Auf Regalen tummeln sich zudem verschiedene Figuren und Skulpturen. Vereinzelt hängen Bilder an den Wänden. Um alle Details richtig wahrzunehmen, muss man sich Zeit nehmen. So wie es der 84-Jährige bei der Gestaltung getan hat.
Die bunte Wohnung ist ein Kontrapunkt zu einem Leben, in dem sich Streily aufgeopfert hat
Seine bunte Wohnung ist dabei gewissermaßen ein Kontrapunkt zu seinem Leben, in dem er es bis heute nicht immer leicht hatte. Seine künstlerische Tätigkeit hat ihm dabei auch durch schwierige Zeiten geholfen und ihm so manche dunkle Stunde erhellt. Streily hat keine Frau und keine Kinder. Von seiner Familie ist ihm noch eine Nichte in Berlin geblieben – und sein 79 Jahre alter Bruder Peter. Der ist geistig behindert und lebt mit dem 84-Jährigen in der bunten Wohnung. Schon seit Jahren pflegt Streily ihn, so wie er es mit seiner krebskranken Mutter getan hat, bis zu deren Tod im Alter von 91 Jahren.
Willi Streily hat sich gewissermaßen aufgeopfert für seine Familie. Er hat selbst viele Freiheiten aufgegeben, um seine Mutter und seinen Bruder zu unterstützen. „Wenn ich nochmal auf die Welt komme, dann mache ich alles ein bisschen anders“, sagt er heute in der Rückschau. Denn lange war der gebürtige Ludwigshafener, der schon sein Leben lang in der Blücherstraße 37 wohnt, ein sehr aktiver Mann. „Ich habe Fußball gespielt und bin für die TG Oggersheim bei vielen Läufen an den Start gegangen“, berichtet er. Zehn Jahre lang habe er auch im Kirchenchor gesungen. Das alles ging irgendwann nicht mehr. Am Ende konnte er auch keinen Job mehr ausüben.
Der 84-Jährige war früher als Schlosser tätig, hat zuhause Böden verlegt und tapeziert
Als junger Mann hat Streily als Schlosser gearbeitet. „Bei Walter Guth“, sagt er. Der Walter Guth KG Stahl- und Metallbau. Eine Lehre hat er nicht durchlaufen. „In der Nachkriegszeit musste man schnell Geld verdienen“, berichtet der Ur-Hemshöfer, dessen handwerkliche Begabung sich früh herausstellte. Auch in der Wohnung packte Streily fleißig mit an. Sein Vater war im Krieg gefallen, und so kümmerte er sich um das Verlegen von Böden oder das Tapezieren der Wände.
Zur Kunst kam er erst später. Etwa mit 30 Jahren fertigte er sein erstes Werk, schätzt der 84-Jährige. Seine ersten Arbeiten formte er aus Speckstein. Sie stehen heute noch auf einem Regal im ehemaligen Zimmer seiner Mutter. Natürlich umgeben von unzähligen bunten Aufklebern und vielen von Streilys selbst gemalten Bildern. Alles bunt, alles sehr abstrakt.
„Ich habe einfach instinktiv losgelegt und geschaut, was dabei herauskommt“
Über seine Kunst hat sich Streily im Vorfeld eigentlich nie Gedanken gemacht. So etwas wie einen Plan gab es nicht. „Ich habe einfach instinktiv losgelegt und geschaut, was dabei herauskommt“, berichtet er. Wenn er sich in seine Kunst vertieft, dann ist er nicht wirklich er selbst. Vielmehr fühle er sich dann wie durch eine höhere Macht gesteuert. So beschreibt er es zumindest.
Die Umgestaltung der Wohnung begann der Hobbykünstler nach dem Tod seiner Mutter. Stück für Stück verwandelten sich die alten Zimmer aus der Vorkriegszeit in ein kleines Museum der Farbenpracht.
Auch der Kellerraum ist ganz nach dem Geschmack von Streily umgestaltet
Mehr als 70 Quadratmeter hat die Wohnung, kaum einer davon ist nicht mit Glitzerpapier beklebt, mit Bildern verhangen oder von Klebefolie im New-York-City-Style verdeckt. Und auch den zur Wohnung gehörenden Kellerraum hat sich Streily vorgenommen. Auch dort: bunte Wände, Glitzer, Lichter, Skulpturen. „Hier komme ich manchmal her, wenn ich kurz abschalten will“, sagt der 84-Jährige.
Meistens macht er in solchen Momenten Musik an. Peter Maffay zum Beispiel. Ohnehin läuft überall in seiner Wohnung das Radio. „Ohne Musik wäre alles nichts“, sagt der Ludwigshafener. Und ohne Farben erst.
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