Wien. Wer nach Wien wegen des Weins reist, erweitert sogleich das Vokabular um so wichtige Fachbegriffe wie „Gemischter Satz“, „Buschenschank“, „Heurigen“, „Sturm“ und „Grätzl“. Wein ist Teil der kulinarischen DNA von Wien. Vielleicht ist’s ja kein Zufall, dass man nur zwei Vokale tauschen muss, um aus Wien das Anagramm Wein zu basteln.
Keine andere Metropole kann damit angeben, dass es so viele Weinberge im Stadtgebiet gibt
Die Weinberge sind ein wichtiges Naherholungsgebiet, jedes Kind kennt seine liebsten Heurigen, steckt schon in jungen Jahren das kleine Fingerchen in den neuen Wein, freut sich über gekochtes Rindfleisch, Schnitzel und Backhendl.
Keine andere Metropole kann damit angeben, dass es so viele Weinberge im Stadtgebiet gibt; rund 600 Hektar sollen es sein, es sind gut 145 Weingüter. Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Dörfer eingemeindet, mit denen dann der Wein nach innerhalb der Stadtgrenzen Wiens kam. Jährlich werden nun mehr als zwei Millionen Liter Wein gekeltert.
Tipps und Adressen in Wien
Anreise: Mit dem Zug ab Stuttgart nach Wien, www.bahn.de.
Unterkunft: In unmittelbarer Nähe zum Naschmarkt: Hotel Beethoven, Doppelzimmer ab 160 Euro, www.hotel-beethoven.at.
Stilvolle Luxus-Neueröffnung am Platz mit Pool und Gourmetrestaurant: Hotel Amauris, Doppelzimmer ab 400 Euro, www.theamauris.com.
Essen und Trinken: Mayer am Pfarrplatz: Legendärer Heuriger! www.pfarrplatz.at.
Wieninger am Nussberg: Buschenschank mit tollem Ausblick und biodynamischen Weinen, www.wieninger-am-nussberg.
Kein Restaurant, aber eine tolle Weinhandlung für Naturweine ist das Vinifero, https://vinifero.at.
Auch empfehlenswert: Wein & Co am Naschmarkt, www.weinco.at
Das Glasswing Restaurant ist ein Tipp für Feinschmecker direkt an der Oper, www.glasswing-restaurant.com.
Naturweine und zeitgeistige Frischeküche: Alma Gastrothéque, www.alma-gastrotheque.at.
Ein Beisl wie aus dem Bilderbuch: Gasthaus Rebhuhn, www.rebhuhn.at.
Beste Spinatknödel und Sarma gibt es bei Stefanie Herkner im Restaurant Zur Herknerin, www.zurherknerin.at.
Amador, das einzige Drei-Sterne-Restaurant Wiens, gehört dem Winzer Wieninger, www.restaurant-amador.com.
Aktivitäten: Weinwandertag im September: Heuer findet der Wiener Weinwandertag am 28. und 29. September statt. Man wandert von Ausschank zu Ausschank.
Allgemeine Informationen: Wien Tourismus, www.wien.info NJA
Die Stadtbahn braucht gerade mal 30 Minuten hinaus in den Nordwesten in den Stadtteil Grinzing, ein Grätzl, also ein Kiez, der bekannt ist für seine Weinstuben und Heurigen. Es hat einen altmodischen Charme hier im 19. Bezirk. Ende September: Es ist Wandertag, also Weinwandertag in den Weingärten von Kahlenberg, Nussberg, Bisamberg und Mauer. Es gibt verschiedene Routen, jede Menge Menschen, sehr junge und hippe darunter, die von Ausschank zu Ausschank wandern – und sich auch mal ein Taxi zur Heimfahrt bestellen.
Man startet mit einem „Sturm“, einem neuen Wein, von dem man nicht so viel verträgt, weil der dann für einen Orkan in der Magen-Darm-Gegend sorgen könnte. Man lernt, dass ein Buschenschank so etwas wie eine Besenwirtschaft ist, aber es gibt meist nur kaltes Vesper, eine Brettljause. Und wenn der „Buschen“, eine Art Strauß aus Föhren- oder Tannenzweigen, draußen hängt, dann hat die Wirtschaft geöffnet. Im Heurigen hingegen, den traditionellen Weinwirtschaften, gibt es natürlich Schnitzel, Schweinsbraten, Erdäpfel- sowie Vogerlsalat mit Kürbiskernöl. Und natürlich überall: Wein, viel Wein.
Der Gemischte Satz ist eine Erfindung der Wiener
Mittlerweile werden in Wien gut 35 Prozent Gemischter Satz angebaut, eine wahre Spezialität wie die Sachertorte und bestes Mitbringsel. Mister Gemischter Satz ist Fritz Wieninger. Sein Weingut umfasst derzeit rund 55 Hektar, seit 2006 ist alles biodynamisch, das heißt spontan vergoren, es gibt keine Pestizide und Handarbeit im Weinberg.
Seine Mutter Barbara, flotte 79 Jahre jung, ist streng mit jenen, die heute zum ersten Mal im Weinberg sind. Sie erklärt, wie man schneidet, dass die Blätter weg gehören und keine Traube auf den Boden fallen darf. Hier am Steinberg wachsen die Trauben für Wieningers Gemischten Satz. Der Gemischte Satz ist eine Erfindung der Wiener. Profis warnen davor, ihn mit einer Cuvée zu verwechseln. Hier am Steinberg kapiert man schnell, was dahintersteckt: Verschiedene Rebsorten werden nebeneinander angebaut, die Trauben zur selben Zeit geerntet, je nach Gebiet können es sieben Sorten oder mehr sein. Hier in Wien gibt es einen Bediensteten vom Magistrat, der nachschaut, ob das auch so gemacht wird. Die Regeln sind streng, die Formel ein Erfolg. „Es geht um verschiedene Rebsorten, Minimum sind es drei, die gemeinsam in einem Weinberg angebaut und zeitgleich geerntet werden“, erklärt Fritz Wieninger. Seit 2013 ist die Methode eine geschützte Ursprungsbezeichnung.
Jede gute Geschichte hat aber auch ihren Skandal. In Österreich trug der sich im Jahr 1985 zu, als im großen Stil gepanscht wurde.
Jede gute Geschichte hat aber auch ihren Skandal. In Österreich trug der sich im Jahr 1985 zu, als im großen Stil gepanscht und so großer Profit aus billiger Massenware gezogen wurde. Als die Sache aufflog, war das gute Image der österreichischen Weine perdu.
Fritz Wieninger, 57 Jahre alt, ist Winzer in der dritten Generation. Und wie immer im Herbst voll beschäftigt. Heute am Weinwandertag besonders, der Buschenschank hat geöffnet, hier speist und trinkt man sehr gut, einen famosen Blick über die Wiener Weinberge gibt es inklusive. „Der Gemischte Satz gehört zur Wiener Historie“, erklärt Wieninger und öffnet eine Flasche von seinem Gemischten Satz vom Nussberg. „Er war in Vergessenheit geraten und hatte auch ein schlechtes Image.“
Bis zu neun verschiedene Rebsorten kommen in den Wein
Wieninger wagt sich an das Experiment, 1999 hat er seinen ersten Gemischten Satz in der Flasche. „Das ist etwas, was es nirgends sonst gibt. Es hat mir die Augen geöffnet“, erklärt der Winzer, der zuerst sehr skeptisch war, als er diesen Weinberg mit den verschiedenen Rebsorten kaufte. Fortan aber will er den Gemischten Satz an die Pole-Position bringen. „Es hat die Schönheit eines Burgunder-Weins, eben mit anderen Rebsorten“, so Wieninger.
In seinen Nussberger Wein kommen neun verschiedene Rebsorten. Und so werden Weißburgunder, Neuburger, Welschriesling, Grüner Veltliner, Sylvaner, Zierfandler, Rotgipfler, Traminer und Riesling vom selben Terroir gleichsam geerntet und zusammen verarbeitet. Gemischter Satz ist nicht nur bei den Wienern und Wien-Reisenden beliebt, auch in Feinschmeckerlokalen der Welt steht er auf der Weinkarte. „Ich bin ein Träumer. Ich träume davon, dass Wiener Wein auf der ganzen Welt bekannt ist“, sagt Wieninger. Und: „Ich mache keine langweiligen Weine, sondern nur die Weine, die ich mag.“ Was für ein Glück, dass er so viele Gleichgesinnte hat.
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