Das in Leinen gebundene Gästebuch, das auf dem Tisch liegt, quillt über vor Lobeshymnen. Meist von englischen Pärchen, die es für ihren Geburtstag, Hochzeitstag oder einen romantischen Ausflug ins „Jack Sparrow Tree House“ zog. Das Baumhaus ist zudem noch sehr fotogen, und dürfte auf zahllosen Selfies den Hintergrund bilden. Der Künstler Jonathan Melville-Smith hat es im Garten seines Hauses im winzigen Dorf Tregaminion in Cornwall, das nur aus fünf Häusern besteht, in Handarbeit gebaut. Obwohl es etwas windschief auf zwei Metern Höhe in einem mittelgroßen Baum hängt, ist es stabil und handwerklich solide. Antoni Gaudí hätte seine helle Freude hier gehabt, denn in jedem Winkel sind Naturmaterialien wirkungsvoll einbezogen. Das fängt an bei der Hühnerleiter, deren Geländer knorrige Äste sind. Regale im Haus sind auch aus Ästen gefertigt, und neben dem Fenster wächst der Stamm des Hauses aus dem Baumhaus heraus.
Unter dem Dach, nochmals über eine Leiter erreichbar, liegt die Kuschelhöhle des Baumhauses. Der Künstler schmückte sie mit „Feenlichtern“, und aus einem runden Fensterchen direkt neben den Kopfkissen blickt man auf die Meeresbrandung einen Kilometer weiter talwärts. Am schönsten ist es hier oben bei Wind – wenn Mutter Natur den Baum leicht bewegt und die Schläfer im Baumhaus damit sanft in den Schlaf wiegt. Das außergewöhnliche Urlaubserlebniss kostet 130 Euro pro Nacht ohne Frühstück.
Mystische Landschaft
Das „Jack Sparrow Tree House“ ist nicht die einzige fantasievolle Unterkunft auf dem Gelände – es gibt auch ein Zwergenhaus auf dem Boden, einen bunt bemalten Zigeunerwagen, und zur Zeit wird noch an einer Höhlenunterkunft gebuddelt. Cornwall ist ja seit jeher eine mystische Landschaft – nicht nur die Steinkreise faszinieren hier, auch die Legende von König Artus, dem Druiden Merlin und des heiligen Grals lassen Besucher wohlig schaudern. Die oft neblige Witterung und die Moore tun ihr übriges, um dieses Ambiente zu stärken.
Gummistiefel sind angebracht, wenn man die Umgebung von Tregaminion erwandern möchte. Von den winzigen Landstraßen, die meist von Steinmauern gesäumt sind, zeigen Schilder den „public footpath“ an, also den öffentlichen Fußweg. Der führt oft quer durch Kuhweiden, die wegen des Regens schlammig sind. Man läuft durch urwaldartige Wäldchen, die Stämme der Bäume sind dicht mit Moos bedeckt, ein Zeichen der immerfeuchten Witterung. Das Dorf an der Küste, Porthallow, ist eingezwängt zwischen Bergen. Auf dem rund 100 Meter langen Kiesstrand liegen ein paar alte Fischerboote – Land’s End kann nicht einsamer sein. Man läuft vorbei am „Fat Apple Cafe“, einer einfachen Hütte im Wald, die mit kostenlosem „Wild Camping“ wirbt, aber eher ausgestorben wirkt. Umso mehr suchen Porthallows Dorfbewohner die Geselligkeit. Das einzige Pub im Dorf, „The Five Pilchards“, kann sich über mangelnden Besuch nicht beklagen. Draußen neben der Tür sind die gut gepflegten Pferde von zwei Besucherinnen angebunden, ein paar Meter weiter krachen Wellen laut gegen monströse Felsen. Drinnen lodert ein Feuer im Kaminofen, die Dorfbewohner klammern sich an ihrem Pint fest. Das Essen hier ist phänomenal. Natürlich steht der Klassiker Fish and Chips auf der Kreidetafel, aber auch hervorragende indische Currys. Eine Auswahl von immerhin drei Pubs hat das Dorf Saint Keverne, rund zwei Meilen in Richtung Landesinnere. In der strukturschwachen Region wird wenig neu gebaut. Und sollte doch ein neues Haus entstehen, geschieht das immer in der traditionellen Bauweise mit dicken Feldsteinen.
Zaunfreie Dorfidylle
Das andere, was sofort auffällt, ist das Fehlen von Zäunen. Kein Dorfbewohner würde sein Grundstück mit einem Jägerzaun eingrenzen. Die schmucken Häuser stehen für jedermann zugänglich auf sattgrünem Rasen. Genau wie die knorrige Holztür der mittelalterlichen Kirche des Ortes. Um die Kirche herum ist ein riesiger Friedhof, dessen Grabsteine bis ins frühe 19. Jahrhundert datieren und oft schief und krumm in der Gegend stehen. Anders als in Deutschland kümmert das hier niemanden. Auf dem Dorfplatz vor der Kirche spielt sich das ganze Leben ab, hier sind die drei Pubs, der Tante-Emma-Laden und die Post.
Von solcher Dorfidylle ist es ein ziemlich weiter Weg bis zum Glamour der Rosamunde-Pilcher-Filme, auf deren Spuren in dieser Gegend nicht wenige deutsche Touristen wandeln. Über die Filme – mehr als 100 wurden in den letzten 20 Jahren am Sonntagabend bereits ausgestrahlt – kann man sicherlich geteilter Meinung sein. Feststeht aber, dass solcherart von Kitsch für den Tourismus dieser abgeschiedenen Region förderlich ist. Das wahre Cornwall entdeckt man am besten auf eigenen Wegen.
Reisetipps
- Flug: Helston liegt in der Nähe des Flughafens Newquay in Cornwall. Dorthin lassen sich Flüge über London buchen. In Newquay empfiehlt es sich, ein Auto zu mieten, denn mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist diese abgelegene Gegend nur schwer zu erreichen. Von Newquay fliegen pro Tag 3 Maschinen nach London.
- Tree House mieten: Das Tree Sparrow House kann gebucht werden über airbnb.com Für zwei Personen pro Nacht 130 Euro. Auf dem Gelände können außerdem noch zwei andere Hütten gebucht werden. Frühstück ist nicht inbegriffen.
- Adresse: Tregoss Barton, Helston, United Kingdom Tel. 0044/1326281253
- Buchtipp: Antje Gerstenecker: Cornwall Merian Momente, 14,99 Euro
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