Mannheim. Die Signale waren eindeutig, aber die (Musik-)Welt noch nicht bereit und viele Fans schlicht noch blind dafür: Wer Videos wie „Club Tropicana“ (1983) von Wham! oder Queens „I Want To Break Free“ (1984) sieht, zuckt heute nicht mal mit den Achseln bei der Erkenntnis, dass die Sänger George Michael und Freddie Mercury homosexuell waren. Obwohl nicht nur die Musik-Marketing-Maschinen damals einen ganz anderen Eindruck erwecken wollten.
Wie viel schwieriger muss es für einen der zentralen Protagonisten des traditionsfixierten Macho-Genres Heavy Metal gewesen sein, seine Homosexualität leben zu wollen und verstecken zu müssen. Das ist die wesentliche Geschichte in Rob Halfords „Ich bekenne. Die Autobiografie des Sängers von Judas Priest“.
Wobei der 69-Jährige auch sehr offenherzig über Familiengeschichte, die Geschäftsführertätigkeit in einem Sexshop, natürlich die Drogen, die Faszination für Bob Dylan trotz Ablehnung der Hippie-Ideale, sein erstes Konzert (Dave, Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich!) und natürlich den Aufstieg von Judas Priest nach seinem Einstieg 1972 berichtet. Eine stilprägende Band mit mehreren Millionenseller-Alben, die ab 1980 wesentlich bedeutender ist, als man sich das im Mainstream-Rock vorstellen kann.
Coming-Out 1998
Als früher Priest-Fan im naiven Teenager-Alter nahm man Halfords Vorliebe für Leder-Outfits und eine Bullenpeitsche zwischen den Zähnen als Metal-typische Provokation wahr; Alice Cooper oder Ozzy Osbourne praktizierten damals Krasseres auf Bühnen. Sein Coming Out 1998 als erster prominenter Metal-Musiker ließ da natürlich die Scheuklappen vor den eigenen Augen fallen.
Das geht einem bei der Lektüre der 528 Seiten trotzdem noch mehrfach so. Etwa, wenn der Sohn eines Stahlarbeiters den Text des eher unauffälligen Frühwerks „Raw Deal“ vom x-fach gehörten Albumklassiker „Sin After Sin“ (1977) in einen schwulen Kontext stellt. Expliziter geht es nicht. Geschrieben war der Song halb mit Todesverachtung, als Coming-Out-Versuch: „ein Ventil für die Ängste, die mich als schwulen Mann quälten. Ich befürchtete, ich könnte mit diesen Lyrics zu weitgegangen sein.“
Die Reaktion war … nicht vorhanden. Weder Fans noch Kritikern fiel irgendetwas auf, nicht einmal die Bandkollegen sprachen ihren Frontmann darauf an. „,Raw Deal‘ war ein Aufschrei, der ungehört verhallte“, schreibt Halford, der 2022 seit einem halben Jahrhundert die Stimme von Judas Priest ist. Und einen Großteil dieser Ära schwer gelitten hat: „Es gab viele Momente in meinem Leben, in denen ich dachte, nicht mehr atmen zu können. Ich war Sänger einer der größten Heavy-Metal-Bands der Welt und war doch zu ängstlich, der Welt mitzuteilen, dass ich schwul war.“
Wie das Coming Out dann am 4. Februar 1998 bei einem MTV-Interview zum Soloprojekt spontan aus ihm herausploppte, im Pelzmantel, mit viel Mascara und lackierten Nägeln, ist die lesenswerteste Passage der oft eher launigen, letztlich sehr britischen Biografie. Hinterher überwog die Erleichterung bei weitem die Angst vor negativen Reaktionen: „Ich hatte mich zu mir selbst bekannt. Und das fühlte sich verdammt großartig an.“Zumal die westliche Gesellschaft, selbst in Metal-Kreisen, längst tolerant genug war, um ihn für seinen Mut zu feiern statt zu verdammen.
Heute ist Halford ein Sprachrohr der LGBT-Community. Und mit Judas Priest wieder so anerkannt wie seit der Hochzeit ab „British Steel“ (1980) nicht mehr, dank dem kraftstrotzenden Album „Fire Power“ (2018). Das führte die Metal-Klassiker beim Zeltfestival 2018 auch zum ersten Mal seit 38 Jahren wieder nach Mannheim zu einem beeindruckenden Konzert. Die Pandemie hat zuletzt eine Verschiebung der Jubiläumstour der „Metal Gods“ auf 2022 nötig gemacht.
Rob Halford: „Ich bekenne. Die Autobiografie des Sängers von Judas Priest“. Heyne Hardcore. 528 Seiten, 24 Euro.
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