Von der Independent-Szene hat es Todd Haynes, 1961 in Los Angeles geboren, nach Hollywood geschafft. Seit der Jugend dreht er Filme, studierte Kunst und Semiotik an der Brown University, übersiedelte nach seinem Abschluss nach New York.
Sein erster Langfilm „Poison“ (1991), mit dem Großen Preis der Jury auf dem Sundance Film Festival ausgezeichnet, machte ihn schlagartig berühmt - und zu einem der Wegbereiter des „New Queer Cinema“ der 1990er-Jahre. Mit seinen kompromisslosen, gerne sublim erotischen (Beziehungs-)Arbeiten versteht es der Regisseur, Drehbuchautor und Produzent regelmäßig, tradierte Erzählstrukturen zu unterwandern, hinterfragen und neu zu konnotieren.
Todd Haynes’ arbeitet erneut mit Julianne Moore zusammen
Zu seinen prämierten Werken zählen das Bob-Dylan-Biopic „I’m Not There“, die lesbische Liaison „Carol“, die Miniserie „Mildred Pierce“ oder das Melodram „Dem Himmel so fern“, eine fiebrige Hommage an die Werke von Douglas Sirk („Was der Himmel erlaubt“), einem seiner erklärten Vorbilder. Hauptdarstellerin war da Julianne Moore, mit der er nun bei „May December“ bereits zum sechsten Mal kooperiert hat.
Der Titel bezieht sich aufs unterschiedliche Lebensalter der Partner Joe (Charles Melton) und Gracie (Moore). In den 1980er-Jahren sorgte die Affäre zwischen der damals 36-jährigen Mutter und dem 13-jährigen Teenager für einen handfesten Skandal - und brachte die Frau hinter Gitter.
Rund 20 Jahre später genießt das inzwischen verheiratete Paar in ruhiger Nachbarschaft mit seinen drei Kindern ein scheinbar perfektes Vorstadtdasein. Ihre Zwillinge (Elizabeth Yu & Gabriel Chung) fiebern der Feier zum Ende ihrer High-School-Zeit entgegen, Georgie (Cory Michael Smith), Gracies Sohn aus erster Ehe, teilt sich mit dem gleichaltrigen Stiefvater auf dem Hausdach einen Joint. Die Zeichen stehen auf Harmonie. Die wird gestört, als Filmstar Elizabeth (Natalie Portman) anreist, um vor Ort für ihre Rolle in einem Film über Gracie zu recherchieren und sich geschickt in den Alltag der Familie einschleicht. Die heile Welt bekommt Risse, schmerzliche Fakten kommen ans Licht, verschüttete Gefühle leben auf ...
Film „May December“ basiert auf wahren Begebenheiten
Auf einer wahren Begebenheit basiert das Skript von Samy Burch und Alex Mechanik. Sie haben sich des Falls der Mary Kate LeTourneau, einer 35-jährige Lehrerin aus Seattle, erinnert, die 1997 zu siebenjähriger Haft verurteilt wurde, weil sie mit ihrem zwölfjährigen Schüler Sex hatte und im Gefängnis ihr erstes gemeinsames Kind zur Welt brachte. Eine „true story“, die der Filmemacher als Grundlage nutzt, um in die Seelen seiner Protagonisten einzutauchen.
Ohne zu werten, nähert er sich den Figuren, stellt sie in Kontext zur (heuchlerischen) Kleinstadtgemeinde, die Gracie ihren Missbrauch nie wirklich verziehen hat. Das Glück seiner (Anti-)Heldin ist so fragil wie die Schmetterlinge, die Joe züchtet.
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Um Schein und Sein geht es, um Opfer und Täter, um Außen- und Innensicht. Ein Kammerspiel, ein Schauspielerinnenduell zwischen den Oscar-Preisträgerinnen Moore („Still Alice: Mein Leben ohne gestern“) und Portman („Black Swan“). Sie umkreisen sich, belauern einander - die Gesichter von Kameramann Christopher Blauvelt („Emma“) gerne in Großaufnahme eingefangen -, liefern sich ein Psycho-Duell und sind in ihrer Vorgehensweise wenig zimperlich.
Ein Großteil der knapp zweistündigen Laufzeit sind die Kontrahentinnen, ganz gegensätzliche Persönlichkeiten - die eine blond, die andere dunkelhaarig -, im Bild. Auf wenige, perfekt ausgestattete, vermeintlich idyllische Schauplätze konzentriert sich der Plot. Wie bei Haynes üblich, ist der Look gelackt. Und vergiftet. Das passt.
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