Der neue Film

"Die Gleichung ihres Lebens" erzählt von Primzahlen und anderen Problemen

Fernab aller Klischees: In „Die Gleichung ihres Lebens“ erzählt Anna Novion von einer Mathematikerin, die nach einem Fehler plötzlich mitten im Gefühlschaos des Lebens landet

Von 
Gebhard Hölzl
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Beim Würfelspiel Mahjong weiß Marguerite ihre Fähigkeiten einzusetzen. © TS Productions/Michaël Crotto

Es gibt kaum ein Thema, das im Kino nicht verhandelt wird. Selbst die Mathematik hat ihren Platz. So kämpfte Russell Crowe in „A Beautiful Mind: Genie und Wahnsinn“ mit den Ziffern, während Benedict Cumberbatch in „The Imitation Game - Ein streng geheimes Leben“ fieberhaft versuchte, den von den Nationalsozialisten ersonnenen Enigma-Code zu knacken - kriegsentscheidend für die alliierten Truppen. Ein knapper, augenzwinkernder Spaß war hingegen die an einer Tafel notierte (Monster-)Formel in „A Serious Man“ von den Coen-Brüdern. Verglichen mit denen, die nun bei „Die Gleichung des Lebens“ regelmäßig ins Bild kommen, war diese allerdings geradezu von schlichter Einfachheit.

„Le théorème de Marguerite“, also „Maguerites Theorem“, lautet der wesentlich treffendere Originaltitel, der den Kern der Handlung festmacht. Im Mittelpunkt - und konsequent fast in jeder Einstellung im Bild - steht Marguerite (Ella Rumpf). Primzahlen sind die große Leidenschaft der brillanten Studentin. Sie ist die einzige Frau im Promotionsseminar des selbstgefälligen Laurent Werner (Jean-Pierre Darroussin), seines Zeichens Professor an der renommierten École Normale Supérieure in Paris. Beweisen will sie die Goldbachsche Vermutung, die lautet: Jede gerade Zahl, die größer als 2 ist, ist Summe zweier Primzahlen.

Seit drei Jahren sitzt sie an ihrer Dissertation „Arithmetische Folgen in endlichen Mengen ganzer Zahlen“. Die Ergebnisse ihrer Forschung muss sie nun einem Fachgremium vortragen. Zunächst verläuft die Veranstaltung glatt, atemlos folgen die Zuhörer ihren Ausführungen. Bis Doktorand Lucas (Julien Frison) sie mit einem gravierenden Fehler in ihrer Beweisführung konfrontiert. Als ihr Doktorvater sie daraufhin fallen lässt, bricht sie ihr Studium ab, sucht sich einen Aushilfsjob und bezieht im chinesischen Viertel ein WG-Zimmer bei der Tänzerin Noa (Sonia Bonny). Darüber erkennt sie, dass auch das Leben außerhalb der Universität überraschende Erkenntnisse bereithält.

Darstellerin zu Recht für ihre Leistung ausgezeichnet

Ein Nerd findet eine neue Formel für sein Dasein: So lässt die hintergründige Komödie von Anna Novion („Wir sind alle erwachsen“) - zugleich eine der vier Drehbuchautorinnen und -autoren - auf den Punkt bringen. Ihre Heldin ist ein scheues Mauerblümchen, eine Brillenschlange. Im Institut trägt sie Hausschuhe - „weil sie bequem sind“ -, auf Make-up verzichtet sie, für Humor hat sie wenig übrig. Mit großen Augen sieht sie der quirligen Noa zu, wie diese die Männer um den Finger wickelt - und lernt von ihr, wie man diese ins heimische Bett lockt. Marguerite wiederum besticht beim Mahjong, wo sie ihre Rechenfähigkeiten einsetzt, um die örtlichen Zocker um deren Einsätze zu erleichtern.

Ella Rumpf

  • 2020 schaffte Ella Rumpf den Durchbruch, auf der 70. Berlinale wurde sie als einer der insgesamt zehn European Shooting Stars vorgestellt.
  • Geboren wurde sie 1995 in Paris, wuchs in Zürich auf, besuchte eine Waldorfschule und stand im Drama „Draußen ist Sommer“ (2012) erstmals vor der Kamera.
  • 2013 zog sie nach London, um am Giles Forman Centre for Acting zu studieren. Während dieser Zeit wirkte sie im Adoleszenz-Drama „Chrieg“ von Simon Jacquemet mit.
  • Zu sehen war sie unter anderem in dem deutschen Kinohit „Tiger Girl“ von Jakob Lass, dem Horrorfilm „Raw“Petra Volpes „Die göttliche Ordnung“Detlev Bucks „Asphaltgorillas“ oder dem Biopic Lindenberg! Mach dein Ding“.

Perfekt meistert Rumpf ihren komplexen Part. Authentisch und einfühlsam spielt sie eine hochbegabte junge Frau, die lernen muss, dass sich die großen mathematischen Rätsel nicht allein am Schreibtisch lösen lassen und zum Glücklichsein mehr gehört, als nur auf seinem Gebiet zu reüssieren. Ganz zu Recht wurde die französisch-schweizerische Darstellerin für ihre Leistung sowohl mit dem César als „Beste weibliche Entdeckung“ als auch mit dem Schweizer Filmpreis als „Beste Schauspielerin“ ausgezeichnet.

Leise, durchaus launige Emanzipationsgeschichte

Um Geist und Bauch, um Intellekt und Emotion geht es. Um die von Männern dominierte akademische Welt, mit dem überzeugenden Darroussin als ehrgeizigen, leicht teuflisch wirkenden Hochschullehrer, der das Können seiner Studenten für seine Zwecke auszunutzen versteht. Positiv belegt ist der von Frison empathisch angelegte Lucas, ein wuschelköpfiger Sonnyboy, der schnell Anschluss findet, als Blechbläser besticht, und sich final (natürlich) als Marguerites Herzbube entpuppt.

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Eine leise, durchaus launige Emanzipationsgeschichte um die Schönheit von Zahlen und die zig Variablen auf dem (Um-)Weg zum persönlichen Glück. Klug meidet die Filmemacherin jedwede Klischees. Ihre Marguerite ist weder bissiger Blaustrumpf noch prototypisches Superhirn, vielmehr ein eigenständige, von Selbstzweifeln geplagte Person mit Ecken und Kanten, die sich nicht vom hässlichen Entlein zum Schwan verwandelt. Sie bleibt wie sie ist, findet den Weg, der zu ihr passt, und löst en passant ein altes Zahlenproblem. Womit der Film märchenhafte Züge annimmt.

Freier Autor Gebhard Hölzl, Print-/TV-Journalist, Autor und Filmemacher.

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