Der neue Film

"The Bikeriders" erzählt vom Aufstieg und Fall eines Motorradclubs

Jeff Nichols hat mit „The Bikeriders“ Danny Lyons gleichnamigen Fotoband aus dem Jahr 1968 für die Leinwand aufbreitet - als ausgewogene Mischung aus Rocker- und Liebesfilm

Von 
Gebhard Hölzl
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Verliebt in einen „Bad Boy“: Jodie Comer als Kathy mit Austin Butler als Benny. © Kyle Kaplan/Focus Features/dpa

Mit László Benedeks „The Wild One“ fing 1953 alles an. Marlon Brando, in schwarzer Lederjacke und ohne Helm, störte als „Pate“ des „Black Rebel Motorcycle Club“ die Ruhe in einer verschlafenen US-Kleinstadt und ließ die Herzen der Petticoat-Girls höher schlagen. Er saß auf einer Triumph Thunderbird 6T und tat seine Weltanschauung mit einem gemurmelten Satz kund: „Ich mag keine Polizisten.“

Das Bikermovie war geboren. Ein Kassenerfolg – und, damals wie heute den Gesetzen des Marktes folgend, sprang die Filmindustrie auf die Zweiräder auf. Folgte Johnny Strabler alias Brando, der auf seiner Maschine in den Sonnenuntergang braust: ein Outlaw, ein motorisierter Westernheld. Bikeploitation war angesagt: „Motorpsycho“ von Russ Meyer, „The Wild Angels“ von Roger Corman, „Hells Angels on Wheels“ von Ricard Rush, „The Losers“ von Jack Starrett. Und natürlich „Easy Rider“ von Dennis Hopper.

„Get your motor runnin’, Head out on the highway, Lookin’ for adventure ...“, sangen die Jungs von Steppenwolf auf dem Soundtrack. „Born to Be Wild“ lautete ihr Titel leitmotivisch. Bis zwei Hillbillys Wyatt (Peter Fonda) und Billy (Dennis Hopper) mit ihrer Schrotflinte von ihren Choppern schossen. Vorbei war’s mit der grenzenlosen Freiheit. Film wie immer als Spiegel der Welt.

Zeitlich und thematisch zwischen „Der Wilde“ und „Easy Rider“ siedelt Jeff Nichols „The Bikeriders“ an. Beiden Hits wird Reverenz erwiesen. Dem einen auf einem TV-Bildschirm, dem anderen vor einem Lichtspieltheater, wo Funny Sonny (ideal besetzt: Norman Reedus aus „The Walking Dead“) im typischen Outfit auf einem schweren Motorrad sitzend zum Eintritt auffordert. Unwillkürlich muss man an Ralph Hubert „Sonny“ Barger denken, den legendären „Hell’s Angels“-Präsidenten, der als Schauspieler in Biker-Movies mitwirkte und ob seines Insiderwissens bei diesen gerne als Berater verpflichtet wurde.

Die groß aufspielende Jodie Comer ist die Seele des Films

Als Vorlage diente dem Regisseur Danny Lyons 1968 als Fotobuch erschienene Reportage über den „Chicago Outlaws Motorcycle Club“, das er nach eigenem Drehbuch für die Leinwand adaptiert hat. Für seinen Helden Benny (Austin Butler) dreht sich das Leben um zwei Dinge: den von seinem Kumpel Johnny (Tom Hardy) geleiteten Motorrad-Club namens „Vandals“ und seine Frau Kathy (Jodie Comer), die er kurz nach dem Kennenlernen geheiratet hat und die ihn wegen seiner unzähmbaren Art liebt.

Aus ihrer Sicht wird die Geschichte aufgerollt. Dem jungen Studenten Danny Lyon (Mike Faust), der sein Uni-Praktikum bei den „Vandals“ absolviert, erzählt sie – cool und abgeklärt – vom Werden und Wesen der Gang, von deren Aufstieg, deren Ritualen, ihren Streits. Die groß aufspielende Comer ist die Seele des Films.

Vergleichbar mit Lorraine Bracco als Karen in Martin Scorseses „GoodFellas“. Eine hart arbeitende, selbstbewusste Arbeiterfrau, freiwillig gefangen in einem Alltag, den sie so nicht für sich geplant hatte. Aber ihr Herz gehört nun mal Benny, dem sie zwar durch dick und dünn folgt, dabei aber ihren eigenen Kopf behält, über die absurden Männlichkeitsriten und Clubregeln schmunzelt und die Bad Boys der Clique spielerisch im Griff hat.

Ein zarter Liebesfilm im Subtext – äußerlich jedoch Machismo pur. Die „Vandals“ lassen ihre Muskeln spielen. Geben Gummi, reiten auf ihren individuell gestalteten Maschinen – US- und europäische Modelle, keine japanischen „Reisschüsseln“ – über Stock und Stein. Sitzen am Lagerfeuer, lassen sich volllaufen, prügeln und versöhnen sich. Beobachtet werden sie dabei von den heiser krächzenden Biker-Babes, die rauchend die Picknicks organisieren. Subkultur pur. Nostalgisch verbrämt. In wunderbar warmen Farben von Kameramann Adam Stone eingefangen, musikalisch passend untermalt von David Wingo, die sich beide schon bei Nichols’ „Midnight Special“ ideal ergänzt haben.

Und mit kluger finaler Wendung. Jegliche vermeintliche Romantisierung der Biker wird da zunichtegemacht. Kathy steht dem Fotografen Lyon 1973 noch einmal Rede und Antwort. Berichtet was aus den „Vandals“ geworden ist. Wie eine neue, rücksichtslose Crew die Macht übernommen hat. Kriminelle, die ihr Geld mit Drogen und Prostitution verdienen, vor Mord und Totschlag nicht zurückschrecken. Dann kommen im Abspann noch ein paar Aufnahmen von Lyon ins Bild. Die machen Lust, sich auf die Norton, BSA oder Royal Enfield zu schwingen, den Kickstarter zu betätigen und sich den Fahrwind um die Nase wehen zu lassen. Mit einem Zwischenstopp im Kino versteht sich.

Freier Autor Gebhard Hölzl, Print-/TV-Journalist, Autor und Filmemacher.

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