Gefeierte Nische

Eine Treppe ist ein Regal ist ein Schreibtisch: Für kleine Räume gibt es großartige Ideen. Die Herausforderung: viel unterbringen, nicht vollstopfen. Dennoch muss die Platzfrage in den eigenen vier Wänden jeder für sich selbst entscheiden.

Von 
Eileen Blädel
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Wie viel Platz braucht ein Mensch? Wer Michael Klumb zuhört, merkt schnell, dass weniger mehr sein und in noch weniger der Schlüssel zum Glück liegen kann. Michael Klumb ist Minimalist. Und er wohnt auf kleinem Raum: seit zehn Jahren in einer 42-Quadratmeter-Wohnung in Bergisch Gladbach. Wer nur wenige Dinge besitzt, braucht nicht so viel Fläche. Und wer nur wenige Dinge besitzt, hat auch mit wenig Fläche viel Raum. Vom großen Computerbildschirm ist der 35-Jährige auf den Laptop umgestiegen, seinen Drucker hat er ganz weggeworfen, die Fahrkarte trägt er digital auf dem Handy bei sich und sein Schreibtisch ist zugleich sein Esstisch. „Ich bin vollkommen zufrieden“, sagt er.

Minimalisten üben sich nicht im Verzicht. Sie sind der Ansicht, dass Besitz Ballast bedeutet. Auch wenn nicht jeder seinen Fernseher auf den Sperrmüll packt und freiwillig in eine kleine Behausung zieht: Steigende Mieten, insbesondere in der Stadt, und immer mehr Single-Haushalte führen zwangsläufig dazu, dass Menschen in zunehmend kleineren Wohnungen leben.

Doch wo verstaut man Kleidung und Bücher auf wenigen Quadratmetern? Wie lebt eine Familie in einer Einzimmerwohnung? Mit diesen Fragen haben sich Architekten in dem vom Gestalten Verlag herausgegebenen Buch „Raumwunder“ auseinandergesetzt und Ideen entwickelt, wie auch die letzte Ecke im Mini-Heim intelligent genutzt werden kann. Nach einem Entwurf von Kotaro Anzai ersetzen in eine Treppe integrierte Schubfächer den Küchenschrank. Und wenn eine Couch zu viel Platz beansprucht, kuschelt man sich eben in Nischen und Sitzecken oder wie in einem von BY Architects gestalteten Prager Apartment auf eine an die Wand montierte Lesebank, die Lieblingsliteratur griffbereit. In einem Studio in Sydney lässt sich mithilfe einer Schiebewand sogar ein ganzes Bett hinter der Schreibtischplatte verstecken. Oder Fahrräder werden an der Unterseite einer Treppe hängend verstaut – je kleiner, desto kreativer.

Die Erfahrung, dass die Größe einer Wohnung jedoch auch immer Ansichtssache ist, hat Katharina Semling gemacht. Zweieinhalb Jahre lang reiste sie mit dem Rucksack durch Australien, ihr einziges Eigentum: ein Swag, eine australische Bettrolle. Zurück in Deutschland bezog sie eine Wohnung, 32 Quadratmeter groß, die ihr dann, erzählt sie, vorkam wie ein „Palast“. Aus dem Ausland mitgebracht hat Katharina Semling ihre für sich neu entdeckte Berufung: In Australien konnte sie nicht anders als die Unterkünfte, in denen sie abgestiegen war, zu verschönern. Heute hilft die Wohnexpertin bei allem, was vier Wände hat, optisch auf die Sprünge und ist dafür bekannt aus Funk und Fernsehen.

„Das Grundprinzip ist immer das gleiche – egal, ob ich ein Schloss oder ein WG-Zimmer einrichte“, sagt die Diplom-Designerin. Wenn man eine Wohnung gestalte, dann sei das so, als schreibe man ein Lied: Man brauche ein Oberthema, eine Aussage. „Und was ich sagen möchte, kann ich in 300 Zeilen genauso gut sagen wie in vier Zeilen – und eben auch auf 12 Quadratmetern“, erzählt die Wohnexpertin. Alles andere sei dann nur noch „reine Technik“. Bei kleinen Räumen empfiehlt sie, vorhandenen Platz auch wirklich zu nutzen: „Es gibt mittlerweile Küchen bis unter die Decke, und diese bestimmte Backform, die man nur einmal in Jahr braucht, lässt sich so auch verstauen.“ Wer nicht gleich in eine neue Einrichtung investieren möchte, kann auch einfach nur etwas austauschen: Küchen-Fußleisten raus, Schubladen rein. Ein weiterer Tipp für mehr Gemütlichkeit: lieber ein großes Sofa mit viel Stauraum unter der Sitzfläche – statt ein kleines mit drei Schränken daneben.

Multifunktionale Einrichtungsgegenstände können in kleinen Wohnungen ein Segen sein. Im Buch „Raumwunder“ findet sich sogar ein Möbelstück, entworfen von der niederländischen Designerin Mieke Meijer, bei dem man gar nicht sicher ist: Ist es nun eine Treppe, ein Schreibtisch oder doch ein Regal?

Doch Ordnung ist die halbe Miete. Das findet Katrin Täubig, Gründerin der Einrichtungsberatung Healing Home Design. „Nichts ist schlimmer, als in einen Flur zu treten und da liegen 20 Paar Schuhe herum“, sagt sie. Funktionale Gegenstände wie Staubsauger sollten versteckt werden. „Eine geschlossene Tür kann manchmal Wunder bewirken“, sagt Katrin Täubig. „Alles sollte seinen Platz haben, die Schere stets in die Schublade gepackt werden.“

Licht und Farbe

Auch kleine Zimmer brauchen Struktur. „Aber besser nicht mit einem Raumteiler, der meist einen Teil des Raums verdunkelt“, sagt Katrin Täubig. Stattdessen empfiehlt sie, lieber auf große Teppiche zurückzugreifen, mit denen man „Bereiche toll gliedern kann“. Kleine Räume sollte man zudem besser nicht mit Möbeln überfrachten – und sich so selbst die eigene Bewegungsfreiheit nehmen.

„Jeder hat aber auch Bücher, die zwar nicht schön, aber wichtig sind. Die gehören einfach in den Schrank“, sagt sie. „Aber die, die einem am Herzen liegen und auch hübsch anzusehen sind, sollten inszeniert werden.“ Ihre Lieblingsbücher, verrät Katrin Täubig, habe sie in einer Glasvitrine untergebracht, dabei die ein oder andere Titelseite nach vorne gedreht: „Was ich gerne ansehe, das setze ich in Szene.“

Und noch etwas ist entscheidend: das Spiel mit Licht und Farbe. „Dunkelblau mag zwar stylisch wirken, lässt den Raum aber kleiner erscheinen“, erklärt Katrin Täubig. Große Spiegel und hochglänzende Oberflächen, etwa am Schrank, reflektieren dagegen Licht. Wenn die Wand in Kleinsträumen Zierde erhalten soll: lieber kleine Blümchen statt großer Ornamente.

Topfset oder Gitarre

Letztlich, sagt Katharina Semling, gehe es um die Frage, was eine Wohnung leisten muss – und die beantworte jeder Mensch ganz individuell: „Platz ist etwas sehr persönliches.“ Minimalist Michael Klumb hinterfragt die Idee von Wohnraum an sich: Denn das Leben geschehe draußen, auf der Straße. Und wer viel in der Welt unterwegs ist, brauche keine große Wohnung, findet auch Katharina Semling. Zugleich beobachtet sie, dass der eigene Wohnraum den Menschen immer wichtiger werde.

Sie hat einen besonderen Tipp für all diejenigen, die eine kleine Wohnung beziehen: nicht mit allem, was man hat, dort ankommen – sondern nur die Sachen mitnehmen, die man gerade aktuell braucht. „Das ist eine schöne Art, zu erfahren, was einem wirklich wichtig ist“, erzählt Katharina Semling. „Für den einen ist es das Topfset mit zehn Teilen, für den anderen die Gitarre.“

Bei Michael Klumb sind es die Kopfhöhrer. Mehr als 2000 CDs besaß der 35-Jährige früher. Heute hört er Musik nur noch über Streaming-Dienste. Etwas wegzugeben, mit dem auch Erinnerungen verbunden sind, sei zwar nicht einfach, sagt Michael Klumb. „Aber ich habe Freiheit gewonnen.“

Tipps

  • Vom Lädchen bis zur Messehalle: Katharina Semling richtet alles ein. Wer in einer von ihr gestalteten Wohnung Ferien machen möchte, ist hier richtig: „thesunnymilkandhoney“ in Oldenburg (über Airbnb, Bild).
  • Von Hygge bis Feng Shui: Katrin Täubig bietet Workshops an, außerdem Einrichtungsberatung vor Ort und via Internet: www.healinghomedesign.de 
  • Vom Mehr zum Weniger: Gedanken über Minimalismus gibt es im Blog von Michael Klumb zu lesen: www.minimalismus-leben.de 
  • Buch: „Raumwunder. Große Ideen für kleine Wohnungen.“ Herausgeber: Gestalten, 2017, 256 Seiten, 39,90 Euro.

Redaktion

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