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Vor 200 Jahren entstand in Mannheim die Evangelische Landeskirche in Baden

Aus zwei getrennten Glaubensgemeinschaften entstand die Evangelische Landeskirche Baden. 200 Jahre ist das her. Die Union der lutherischen und der reformierten Kirche erscheint heute selbstverständlich, doch die Versöhnung musste lange erkämpft werden.

Von 
Peter W. Ragge
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Vor 200 Jahren eigens geprägt: die Gedenkmünze zur Feier der Union der Kirche in Mannheim. © REM

Mannheim. Ein schöner, heiterer Tag sei er gewesen, dieser 28. Oktober 1821, wird in alten Chroniken berichtet. Früh schon läuten die Glocken. Um 7 Uhr intoniert der durch Pauken und Trompeten verstärkte Bläserchor vom Turm der Konkordienkirche „Nun danket alle Gott“. Auch vom Turm der Trinitatiskirche ertönt Musik. Nach dem Frühgebet um 8 Uhr folgt um 9 Uhr ein Festzug, „mit abermaligem Geläute“. Dann wird, wie es heißt, im Gottesdienst „alles aufgeboten, was sich an musikalischer Kompetenz und Prachtentfaltung in Mannheim auftreiben ließ“. Schließlich ist etwas zu feiern, was heute zwar so völlig selbstverständlich erscheint, aber erst vor 200 Jahren passierte: die Union zwischen der lutherischen und der protestantischen Kirche.

„Das war damals eine Sensation“, beurteilt das Ralph Hartmann, heute Dekan der Evangelischen Kirche in Mannheim, rückblickend. Zuvor geht es zwischen den Glaubensrichtungen „mindestens so heiß her wie zwischen Katholiken und Protestanten“, sagt Ulrich Nieß, der Direktor des Marchivum. Nicht ohne Grund wird 1807 für Mannheim eine „Polizei-Vorschrift“ erlassen, die „verunglimpfende Rede über andere Konfessionen“ unter Strafe stellt.

Abendmahl als Problem

Termine und Orte

Orte der Union in Mannheim: Die Trinitatiskirche, 1709 in G 4 für die lutherische Gemeinde gebaut, wurde im Zweiten Weltkrieg als einzige Mannheimer Kirche total zerstört. Der 1959 eingeweihte, von Architekt Helmut Striffler entworfene Nachfolgebau wird seit 1995 nicht mehr regelmäßig als Kirche genutzt und dient seit 2017 als Eintanzhaus. Die zwischen 1706 und 1717 für die Reformierten erbaute Konkordienkirche in R 2 dient weiter als Gotteshaus.

Ausstellung: Das Generallandesarchiv Karlsruhe, Nördliche Hildapromenade 5, 76133 Karlsruhe, zeigt bis 7. November Dienstag bis Donnerstag 8.30 bis 17.30 Uhr, am Freitag 8.30 bis 19 Uhr und am Sonntag 13 bis 17.30 Uhr eine Ausstellung „200 Jahre Kirchenunion in Baden“. Der Eintritt ist frei.

Veranstaltungen in Mannheim: Am Donnerstag, 28. Oktober um 19 Uhr Vortrag von Joachim Vette „Spuren der Badischen Union heute“ im Gemeindezentrum Vogelstang. Am Freitag, 29. Oktober um 18 Uhr in der St. Josefs-Kirche Lindenhof „Aus der Trennung heraus“, Ökumenische Vesper mit Pfarrer Wetzel und Pfarrerin Komorowski, dann um 19.30 Uhr im Gemeindezentrum Johannis (Rheinaustraße 21) Unionsmahl mit Tischreden aus der badischen Kirchengeschichte, Anmeldung Tel. 0621/28000-133 oder per E-Mail: johannisgemeinde@ekma.de. Am Freitag, 29. Oktober um 19 Uhr Abendandacht „Herr, bleibe bei uns!“ zum Unionsjubiläum in der Petruskirche mit dem Kirchenchor mit Werken von Wesley, Silcher.

Festgottesdienste: Am Reformationstag, 31. Oktober um 10 Uhr mit Predigt „Nur Tinte und Papier? Das Wort Gottes heute“ von Landessynodalpräsidentin a. D. Margit Fleckenstein in Zwölf Apostel auf der Vogelstang (mit der Kantorei Vogelstang) und um 19 Uhr in der CityKirche Konkordien mit Verleihung der Konkordienmedaille, Laudatio Synodenvorsitzender Ralf Daum. pwr

Dass diese Versöhnung, diese Bildung einer neuen, einer einheitlichen Evangelischen Landeskirche für Baden etwas ganz Besonderes ist, zeigt deutlich das Bild auf der dazu geschaffenen Medaille. Unter dem aus prachtvollen Sonnenstrahlen hervortretenden Auge Gottes sieht man da einen Handschlag von aus dicken Wolken herausragenden Händen. „Eintracht im Glauben an den dreyeinigen Gott“, so die Umschrift – feierlicher geht es kaum.

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„Das helle Licht der Sonne versinnbildlicht zweierlei“, erläutert Udo Wennemuth, lange Leiter der Abteilung Archiv im Evangelischen Oberkirchenrat Karlsruhe. „Die aus dem Licht der Aufklärung erwachsene Einsicht in die Notwendigkeit der Kirchenvereinigung, die sich vollends unter dem göttlichen Segen sonnen kann“, deutet er das Bild.

Der Eintracht geht eine lange Zwietracht voraus. „Das Trennende war das Verständnis des Abendmahls, das war das große Problem“, sagt der Kirchenhistoriker. Ist beim Abendmahl Jesus Christus nur spirituell zugegen oder gar doch leibhaftig – hierin liegt der Hauptgrund der Spaltung. „Allen war in dieser Zeit klar, dass Christus im Abendmahl gegenwärtig ist, das war unzweifelhaft – es geht um das Wie“, erklärt Udo Wennemuth. „Das kann jeder für sich deuten, in welcher Form, das bleibt den Menschen selbst überlassen“, fasst er die Form der Verständigung zusammen. Darum ging der härteste Kampf, neben unterschiedlichen Bekenntnisschriften und Gottesdienstformen.

Initiative aus Mannheim

Die „konfessionspolitische Wende“ im erst 1803 gebildeten Großherzogtum Baden wird vorangetrieben durch Mannheim. Die 25 668 Einwohner der vor der Industrialisierung und der Eingemeindungswelle ja noch viel kleineren Quadratestadt sind zu dieser Zeit etwas häufiger (47,2 Prozent) Katholiken, dagegen machen Lutheraner und Reformierte zusammen 46,7 Prozent aus, der Rest entfällt auf die Bürger jüdischen Glaubens. Etwas anders ist es in den badischen Umlandgemeinden, wo die Katholiken in der Minderheit sind.

Das Verhältnis von Reformierten und Lutheranern ist zu jener Zeit weitgehend ausgeglichen, mit anfangs leichtem Übergewicht der lutherischen Gemeinde, später der Reformierten. Kirchenpolitisch sei das Verhältnis zwischen den Konfessionen indes „durch einige historische Ursachen belastet“, so Wennemuth. Bis 1685 offizielle Landeskonfession, leidet die reformierte Kirche im 18. Jahrhundert unter der „deutlichen Bevorzugung“ der Katholiken durch die – wieder katholischen – Kurfürsten, etwa einer Benachteiligung bei der Anstellung im Staatsdienst oder der Vergabe öffentlicher Aufträge.

1799 verkündet Kurfürst Maximilian, der Nachfolger des einst in Mannheim residierenden Carl Theodor, in der kurfürstliche Religionsdeklaration die Gleichstellung der Katholiken, Reformierten und Lutheraner, „das gab es vorher nicht“, so Wennemuth. Doch es bleibt bei der ungleichen Verteilung des Kirchenbesitzes. Laut Wennemuth lange ein „gewichtiger Hemmschuh“ bei der Vereinigung.

Mit dem Übergang der Kurpfalz an Baden 1803 bekommen die Lutheraner Oberwasser – denn plötzlich ist der Landesvater kein katholischer Kurfürst aus dem Hause Wittelsbach mehr, sondern badischer Regent mit lutherischem Glauben.

Zu einer Annäherung kommt es in den Wirren der Kriege in Folge der Französischen Revolution. Die Reformierten gewähren zunächst den Lutheranern Gastrecht, als deren Trinitatiskirche vom Staat als Mehllager beschlagnahmt wird. Als dann das Gotteshaus der Reformierten 1795 in Flammen aufgeht, bieten ihnen die Lutheraner Platz. Nach fünf Jahren verabschieden sie sich wieder und ihr Pfarrer beschwört in der Predigt die „Einigkeit im Geiste“ sowie die gemeinsamen Wurzeln in der Reformation mit dem Prinzip der „Denk- und Glaubensfreiheit“. Dagegen seien die noch vorhandenen Unterschiede „belanglos“.

Aber das sind sie dann doch nicht, „trotz zahlreicher familiärer Bindungen“, so Wennemuth, wozu auch viele „Mischehen“ zählten. Daher dauert es fast zwei Jahrzehnte, ehe der Gedanke einer vereinigten Kirche verwirklicht werden kann.

Den „entscheidenden Auftrieb“, so der Kirchenhistoriker, erhält der Wunsch zu einer Einheit durch das Reformationsjubiläum 1817, erinnert es die zerstrittenen Glaubensbrüder doch an ihre gemeinsamen Wurzeln: Luthers Thesen von 1517. Offiziell ist keine gemeinsame Feier in Baden geplant. In Heidelberg wird laut Wennemuth sogar die „Zerrissenheit“ der evangelischen Konfessionen deutlich, indem die Gläubigen bewusst in verschiedenen Kirchen feiern.

In Mannheim indes zeigen sie „ein deutliches Bemühen des Zusammengehens“, indem am Reformationstag je ein Pfarrer und zwei Älteste beim Festzug und Gottesdienst der jeweils anderen Glaubensrichtung mitwirken. Nur zur wechselseitigen Teilnahme am Abendmahl kommt es nicht, weil man „Verdrießlichkeiten und Spaltungen“ fürchtet, wie Wennemuth zeitgenössische Berichte zitiert.

Doch die Mannheimer Gläubigen haben nach seiner Ansicht „einen Anstoß gegeben, der nicht mehr zurückzunehmen war“. Die Reformationsfeier 1817 in der Quadratestadt werde gar zum „Ausgangspunkt für die gesamte Vereinigungsbewegung in Baden“. Das von selbstbewusstem, aufgeklärtem und liberalem Bürgertum geprägte Mannheim ist die erste Kommune, in der sich dazu eine Initiative bildet.

Im Dezember 1817 unterzeichnen 307 lutherische und 297 reformierte Familienväter eine Resolution – ohne ihre Pfarrer vorher zu fragen, was damals schon als ungehörig gilt. Sie äußern ihren „ernstlichen und feierlichsten Wunsch“, dass die Unterscheidung der beiden Kirchen aufhöre und sie „in eine Evangelische Christliche vereinigt“ werden. Dieses „schöne Ziel“ möge dem „gnädigsten Regenten“, sprich dem Großherzog als oberstem Bischof und Regenten, vorgelegt werden.

Das bezieht sich auf Preußen, wo König Friedrich Wilhelm III. im September 1817 einen Aufruf zur Vereinigung veröffentlicht hat. „Doch im Gegensatz zur von oben verordneten Union kam in Baden das Unionsbegehren aus der Mitte der Bürgerschaft“, hebt Wennemuth hervor.

Der Großherzog macht den Weg tatsächlich frei. 1818 genehmigt er die Arbeit am Vereinigungsplan, worauf mehrere Beratungen von Professoren und Geistlichen folgen. Entscheidend ist die große, paritätisch mit geistlichen und weltlichen Delegierten beider Glaubensrichtungen besetzte Landessynode vom 2. bis 26. Juli 1821 in Karlsruhe. „Die sich zunächst stehenden Männer reichten sich die Bruderhand, und der Gedanke an die Trennung, welche Jahrhunderte hindurch bestanden hatte, der Gedanke, jetzt werde eine Schuld der Väter gesühnt und der längst ersehnte Frieden christlich mild geschlossen und besiegelt, rief Tränen innerer Rührung hervor“, heißt es in einer zeitgenössischen Schilderung zum Abschluss der Synode, die am 26. Juli 1821 mit der feierlichen Unterzeichnung der Unionsurkunde endet.

Neue Teller angeschafft

„Gleich hochherzig und gleich begeistert für die Wahrheit“ verkünden darin die Glaubensrichtungen, dass sie „selbst in der Trennung“ immer der gemeinsame Glaube an Jesus Christus und seine ewige Liebe geleitet habe. Nun gebe es das „Anerkenntnis der Notwendigkeit“, die bisherigen „Unterschiede nicht ferner bestehen zu lassen, sondern sich in einer evangelisch-protestantischen Kirche zu vereinigen“. Das heute noch im Generallandesarchiv Karlsruhe erhaltene Papier klärt, dass das Abendmahl stehend am Altar eingenommen und dazu Brot in die Hände gereicht wird. Der Heidelberger Katechismus, der von Luther – beide sollen weiter gelten. Was heute selbstverständlich klingt, habe seinerzeit „epochale Bedeutung“ gehabt, so Wennemuth.

Die Feier wird auf den Reformationssonntag, den 28. Oktober 1821, datiert – weil man überzeugt ist, dass die Union quasi die Vollendung der Reformation darstellt. Drei Wochen vorher werden alle Gläubigen von der Kanzel herab auf das große Ereignis eingestimmt. Man solle „die willige und dankbare Aufnahme“ der Vereinigung fördern. Zugleich gibt es Anweisungen, wie beim Abendmahl das Brot „in schicklicher Weise“ darzureichen ist – in länglichen Streifen geschnitten, nicht wie zuvor die Lutheraner Oblaten. Für den neuen Ritus werden eigens neue, größere Teller angeschafft.

„Allgemeine Rührung“

Alles wird geregelt: Der erste Vormittagsgottesdienst soll in der größten Kirche der jeweiligen Stadt stattfinden – in Mannheim also der Trinitatiskirche in G 4, der damit das Privileg des ersten Abendmahls der neuen Ära zukommt. Aus Respekt haben „sonstige Festivitäten zu unterbleiben“, verfügen Großherzog und Kirchenleitung, die ein Volksfest unbedingt vermeiden wollen. Zur Feier des Tages wird die bisherige reformierte Kirche in R 2 in Konkordienkirche umbenannt. Welcher Pfarrer welche Funktion übernimmt, wird ausgelost. Als das neu gedichtete Lied „Neu vereint zu Deinem Mahle“ zum ersten gemeinsamen Abendmahl erklingt, herrscht „allgemeine Rührung“, notieren Chronisten, ehe die eigens geprägten Münzen zu diesem „ewig denkbaren Tag“ verteilt werden.

Noch gebe es aber Unzufriedenheit, manche Vorurteile, ergibt sich für Wennemuth aus der Auswertung alter Berichte, aber letztlich sei die Union doch „allgemein angenommen“ worden. Mit manchen Regeln gingen die Mannheimer indes „pragmatisch-erfinderisch um“. Weil etwa ein gemeinsames Gesangbuch noch fehlt, verwendet man vorübergehend die lutherischen und reformierten Bücher weiter und zeigt einfach beide Liednummern an der Liedtafel an. 1825 kommt dann aus Eigeninitiative, gegen den Willen der Karlsruher Kirchenbehörde, ein eigenes Mannheimer Gesangbuch heraus. „Wie stark der Unionsgedanke in Mannheim und seinen Umlandgemeinden verankert war, bezeugt“ – sagt Wennemuth – auch die Namensgebung der 1818 neu errichteten Kirche in Käfertal. Sie wird Unionskirche genannt.

Redaktion Chefreporter

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