Mannheim/Karlsruhe. Sie fallen auf im grünen Gras. Blaue Kacheln, genau 1645 Stück, liegen auf einer schnurgeraden Linie mitten im Karlsruher Schlossgarten. Seit 2001 führen die „Blauer Strahl“ genannten Fliesen von der Karlsruher Residenz zu einer kleinen, idyllisch am Waldrand gelegenen Fabrik mit angeschlossenem Museum, der ältesten und einzigen noch produzierenden Keramik-Manufaktur in Deutschland: Die Majolika, wie sie in Kurzform genannt wird. Der schmale Verbindungsweg vom Schloss zur Manufaktur hat zwar touristische Gründe – aber ist historisch fundiert.
Schließlich geht die Einrichtung auf Großherzog Friedrich I. zurück – jenen bedeutenden, 1852 bis 1907 amtierenden badischen Regenten, nach dem in Mannheim der Friedrichsplatz benannt ist. Bei der Majolika-Gründung 1901 spielt er „eine Schlüsselrolle“, sagt Joanna Flawia Figiel, Kuratorin vom Museum in der Majolika, das sie 2003 für das Badische Landesmuseum konzipiert hat.
Die Gründerväter sind die Künstler Hans Thoma und Wilhelm Süs. Süs hat die Idee, die Majolika-Technik wiederzubeleben. Das spezielle Glasurverfahren reicht zurück bis ins Spanien des 15. Jahrhunderts – woher auch der Begriff kommt, denn „Maiolica“ ist einst die italienische Bezeichnung für Mallorca, wo man diese Art der Herstellung früh begründet und die Produkte dann nach Italien exportiert, ehe die Italiener selbst die Produktion beginnen. Dabei wird eine zinnhaltige, weiße Glasur auf die bei niedriger Temperatur gebrannten Keramiken aufgetragen und dann bunt bemalt.
Der Kaiser kommt
Maler Süs eröffnet zunächst 1898 eine kleine Werkstatt in Kronberg im Taunus, stellt experimentell Einzelstücke her. Die werden 1901 in der von Hans Thoma geleiteten Karlsruher Gemäldegalerie ausgestellt und bei einem Besuch dem Großherzog gezeigt. Der sei „gleich sehr angetan“ gewesen, so Figiel, und Thoma regt dann beim Regenten an, eine Manufaktur in Karlsruhe zu gründen.
„Der Großherzog dachte zunächst an eine Kunststätte, nicht an Massenware“, so die Kuratorin – vielleicht sei er sogar so ehrgeizig gewesen, an die berühmten Porzellanmanufakturen barocker Herrscher anzuknüpfen. Friedrich I. stellt ein Grundstück im Hardtwald zur Verfügung, zahlt anfangs sogar Zuschüsse aus der Privatschatulle.
Während Süs als Direktor 1901 gerade mal sieben Mitarbeiter unterstehen, steigt die Zahl schnell auf 70 in 1910 und gar 150 in 1913. Die Produkte mit dem einprägsamen Gütezeichen – badisches Wappenschild mit großherzoglicher Krone und doppeltem M – seien „sehr schnell sehr berühmt geworden und sehr gefragt gewesen“, so Figiel.
Schon 1902, bei der Ausstellung zum Regierungsjubiläum des Großherzogs, werden die Erzeugnisse bestaunt. 1904, bei der Weltausstellung in St. Louis, finden sie mit einer Goldmedaille gar internationale Anerkennung. Und ebenso 1904 schaut Kaiser Wilhelm II. in Karlsruhe vorbei – Friedrichs Frau, Großherzogin Luise, stammt schließlich aus dem Kaiserhaus und ist seine Tante.
Doch trotz aller Popularität – wirtschaftlich erfolgreich ist die Manufaktur meist nicht, der Großherzog muss Geld zuschießen und nach seinem Tod 1907 fehlt seine schützende Hand über dem Betrieb. Hans Thoma zieht sich von selbst zurück, und Süs muss 1908 die Leitung abgeben. „Er wird abgesetzt, darf noch ein paar Jahre Entwürfe machen“, so die Kuratorin. Süs wird Lehrer an der Kunstgewerbeschule Karlsruhe und leitet ab 1917 die Großherzogliche Gemäldegalerie im Schloss Mannheim, wo er 1933 stirbt.
Dafür wird August Fricke neuer Leiter der Majolika-Manufaktur. „Er war kein Künstler, hatte keine Ahnung von Keramik, sondern vorher in der Kaiserstraße ein Blumengeschäft“, beschreibt Joanna Flawia Figiel etwas spöttisch seine Qualifikation. Aber wirtschaftlich geht sein Konzept auf. Können sich anfangs nur Adel und Großbürgertum die Erzeugnisse der Manufaktur leisten, so wird ab 1908 arbeitsteiliger, schneller und damit billiger produziert. Und der ehemalige Hofblumenhändler Fricke setzt auch da auf Blumen – die Stücke mit dem verspielten, oft mit Kinder- oder Fabelfiguren ergänzten Vergissmeinnicht-Dekor werden „der Renner und viele Jahre der Inbegriff der Manufaktur“, sagt Joanna Flawia Figiel. Dabei haben diese Produkte einen Schönheitsfehler – man kann sie nur anschauen. „Die glänzende Bleiglasur ist giftig, man darf davon nicht essen“, so die Kuratorin.
Die Produkte seien also rein zu repräsentativen Zwecken bestellt worden. Das gilt für alle kunstvollen Gefäße, Wandteller oder Figuren. „Immer sind renommierte Künstler ihrer Zeit für die Manufaktur tätig und machen Entwürfe, aber immer zieht sich auch wie ein roter Faden durch die Geschichte das Problem, künstlerischen Anspruch mit Kommerz zu verbinden“, sagt Figiel. Daher erzielt die Manufaktur zwar bedeutende künstlerische Erfolge, aber „sie steht auch oft vor der Pleite in all den Jahren“, bedauert Figiel.
1910 indes ist ein Jahr ganz großer Erfolge. Die Karlsruher Manufaktur darf nicht nur Waren im Wert von 60 000 bis 70 000 Mark jährlich an das Berliner Kaufhaus Wertheim liefern, sondern auch drei Filialen mit Reliefs und Zierplatten ausstatten. Besonders prachtvoll: der Konfitürenraum in der Filiale Leipziger Straße, komplett mit reich verzierter Keramik ausgestaltet. „Das war die Attraktion in Berlin, leider im Zweiten Weltkrieg zerstört“, bedauert Joanna Flawia Figiel. Auch sechs große Säle, darunter Hauptschwimmhalle und Männerbad, des berühmten Sport- und Vergnügungszentrums „Admiralspalast“ in Berlin dürfen die Karlsruher Majolika-Künstler mit pompösem Wandschmuck versehen.
Weltberühmte Figur
Neben Keramik für den Hausgebrauch liefert die badische Manufaktur in jenen, vom Jugendstil geprägten Jahren zudem immer mehr Brunnen und großformatige Baukeramik. Besonders bekannt sind die Ziersäulen und riesigen Bodenvasen für das 1911 vom Karlsruher Architekten Hermann Billing, der auch die Mannheimer Kunsthalle baute, entworfene Kieler Rathaus. Daraufhin wird eine eigene Abteilung für Brunnen-, Garten- und Friedhofsprojekte gegründet, und Zierbrunnen etwa für Kurhäuser oder Bäder liefert die Majolika heute immer noch.
Weltweit populär ist ebenso weiterhin die Figur des russischen Star- tänzers Vaslaw Nijinsky des Münchner Bildhauers Fritz Behn. 1912 entwirft er für die Majolika eine Figur von Nijinsky im klassischen Kostüm des Harlekin aus dem Ballettstück „Carnaval“. Sie wird bis heute hergestellt – auch wenn das Unternehmen mehrfach den Besitzer wechselt.
1914 etwa verpachtet das Großherzogtum die Karlsruher Manufaktur an die Firma Villeroy & Boch. Mit dem Ende der Monarchie folgt die Privatisierung. Finanzkräftige Privatleute und Firmen übernehmen Anteile, aber in der Wirtschaftskrise 1924 muss der Badische Staat wieder einspringen. „Da folgen noch mehr Eigentümerwechsel“, seufzt Figiel.
Dabei seien die frühen zwanziger Jahre noch wirtschaftlich erfolgreich und künstlerisch gar eine Blütezeit. Berühmte Künstler entwerfen Dekors, Max Laeuger etwa. Butterdosen, Schalen, Kaffeekannen, Tierfiguren und Pflanzgefäße finden sich in fast jedem Haushalt. Figiel hat, um das zu illustrieren, in der Ausstellung nach einem historischen Foto ein Schaufenster nachgebaut – gefüllt mit schönen, originellen Designs und kraftvollen Farben.
Das ist 1933, mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, vorbei. „Da ist moderner Dekor verpönt“, so die Kuratorin – die dieses Kapitel aber in ihrer Ausstellung bewusst nicht ausklammert, sondern eindrucksvoll präsentiert. Hinter Glas, so verstaubt wie sie im Depot entdeckt wurden, präsentiert Figiel Fragmente eines riesigen Reichsadlers. „Wir haben bewusst entschieden, das nicht zu putzen, sondern den Staub der Geschichte zu zeigen“, sagt sie.
Wirtschaftlich geht es der Manufaktur in der Zeit der Diktatur gut, denn sie stellt in Massen Abzeichen für das Winterhilfswerk und Aschenbecher mit Hakenkreuz ebenso her wie eine ganz besondere Massenware: Hitler-Büsten. „Das musste man damals haben, kostete 30 Reichsmark – ein Kruzifix war billiger“, bemerkt die Kuratorin. Produziert habe man bis Frühjahr 1945. „Die haben hier an den Endsieg geglaubt und die Gipsabgussformen im Hardtwald vergraben“, weiß sie.
Häufige Eigentümerwechsel
Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wird die Manufaktur teilweise zerstört, nach Kriegsende produziert sie Haushaltsgeschirr. Ab 1952 fungiert das Land Baden-Württemberg als Haupteigentümer, und mit dem Wirtschaftswunder erlebt die Majolika-Herstellung einen enormen Aufschwung. Die Menschen haben wieder Geld für aufwendig gestaltete Figuren und Vasen. Als Geschäftszweig wichtig werden ebenso Reklamefiguren oder besonders verzierte Teller und Vasen als Ehrengeschenke für öffentliche Institutionen oder Vereine. Und als öffentliche Auftraggeber sich verpflichten, zwei Prozent der Bausumme für „Kunst am Bau“ auszugeben, profitiert die Manufaktur, indem sie Wandreliefs liefert.
1978 entscheidet sich das Land Baden-Württemberg zu einer Teilprivatisierung, woraufhin die Katz-Werke Gernsbach die Aktienmehrheit übernehmen. Aber schon 1982 ist diese Ära zu Ende, das Land wieder Alleineigentümer. Klein, aber fein soll die Manufaktur sein, im jährlichen Wechsel von berühmten Künstlern entworfene Objekte in limitierter Auflage liefern, lautet nun die Vorgabe. Prominente Namen wie Markus Lüpertz oder Luigi Colani werden engagiert. Colanis 2006 auf den Markt gekommene Brust-Tasse habe aber nicht, wie erwartet, das Publikum schockiert, so die Kuratorin lachend: „Es war nicht so leicht, Anfang des 21. Jahrhunderts irgendjemanden zu schockieren“.
„Der Zwiespalt zwischen Kunst und Kommerz bleibt, genau wie die ständige Angst vor der Pleite“, kommentiert Figiel einige weitere Eigentümerwechsel, „aber doch hat sich die Majolika als einzige deutsche Institution dieser Art behaupten können“, sagt sie zufrieden. Das ermöglicht ab 1998 der Einstieg der Landesbank. Aber nach hohen Verlusten und der Vorgabe der EU-Kommission, dass Banken sich von bank-fremden Geschäften trennen müssen, droht 2011 das endgültige Aus. Die Rettung bringt die von Stadt, privaten Gönner und Institutionen gegründete gemeinnützige Majolika-Stiftung, die seither alleinige Gesellschafterin ist. Dass die Stadt Karlsruhe aber weiter Zuschüsse zahlen muss, ist im Gemeinderat der Fächerstadt sehr umstritten.
Unter den 2000 Exponaten aus allen Epochen von Historismus, Jugendstil, Expressionismus, Bauhaus, Neue Sachlichkeit bis zur Gegenwart zeigt Figiel ein Exponat besonders gerne, weil es Jahrzehnte jährlich im Fernsehen zu sehen ist – bei der Verleihung von Deutschlands wichtigstem Medienpreis, dem „Bambi“. 1936 von der Heidelberger Künstlerin Else Bach entworfen, wird die zunächst nur „Reh“ genannte, vergoldete Skulptur bis heute von der Majolika-Manufaktur hergestellt. Als 1948 die Schauspielerin Marika Rökk den – damals noch namenlosen – Filmpreis erhält, soll ihre vierjährige Tochter Gaby die niedliche Skulptur spontan „Bambi“ genannt haben, erzählt Figiel. Erst seither trägt der auch „Deutscher Oscar“ genannte Preis den Titel „Bambi“.
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