Zeitreise

So hat Kurfürst Carl Theodor im Schwetzinger Schloss gespeist

Im Schwetzinger Schloss ist die Tafel von Kurfürst Carl Theodor zu sehen. Was hat er gegessen, wer hat für ihn gekocht und wie liefen die Einkäufe? Das ist alles im Detail überliefert

Von 
Peter W. Ragge
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Der Pfau ist nicht nur Dekoration, Pfauen wurden auch verspeist: das Hofservice von Kurfürst Carl Theodor, gedeckt in Schwetzingen. Gläser indes fehlen. © Dorothea Lenhardt

Schwetzingen. Es wirkt, als könnte er jeden Moment die Tür hereinkommen. Alles liegt bereit, wenn Carl Theodor zu speisen geruht. Für sechs Personen ist gedeckt im Schloss Schwetzingen, der Sommerresidenz des von 1742 bis 1799 regierenden Kurfürsten der Pfalz. Natürlich wäre hier, im Grünen Speisezimmer, nur Platz für den allerengsten Kreis um den Regenten – für größere Bankette gibt es ja noch die prunkvollen Festsäle im Südlichen Zirkelbau. Aber genau so wie zur Mitte des 18. Jahrhunderts üblich ist das feine Mannheimer Hofservice zu sehen.

„Wir sind hier am Originalschauplatz, also wollen wir keine museale Präsentation in Vitrinen, sondern zeigen eine authentische Tafel“, erklärt Ralf Wagner, Konservator für Schloss Schwetzingen bei den Staatlichen Schössern und Gärten. Und authentisch ist wörtlich zu nehmen, denn Wagner kann alles anhand der erhalten gebliebenen Archivunterlagen, der penibel geführten Inventarlisten und Rechnungen belegen.

Vom „Mannheimer Hofservice“ zeigt die Rechnung der Porzellanmanufaktur Frankenthal, dass es 1760 bestellt, unter der Leitung des Eigentümers und Plastikers Joseph A. Hannong hergestellt und geliefert worden ist. Das Gedeck für sechs Personen stellt ein Mannheimer Privatsammler für das Schwetzinger Schloss zur Verfügung. Zwei Teller und eine Platte dieses Service befinden sich schon länger im Mannheimer Schlossmuseum, kürzlich um eine Butterdose mit Deckel und Unterplatte sowie einen Flaschenkühler ergänzt.

Sogar Schildkröten stehen auf dem Speiseplan

Zarte Blüten und tirilierende Paradiesvögel, Landschafts- und Blumenmotive zieren das Porzellan. Hinzu kommt „eine einzigartige Obstgirlande auf der Tellerfahne“, wie Wagner hervorhebt. Bei dieser Art der vergoldeten Reliefierung habe sich die Frankenthaler Manufaktur an dem bedeutenden Schwanenservice der Kollegen aus Meißen orientiert.

Neben und über die Teller sind sechs silber-vergoldete Besteckteile drapiert. Tischaufsätze komplettieren die authentische Präsentation. Was fehlt, das sind Gläser – denn die stehen bei barocken Tafeln nicht auf dem Tisch, sondern gekühlt in Gläserkühlern auf dem Schenkentisch und werden den Gästen bei Bedarf gereicht. „Man hat erstens keinen Platz dafür auf dem Tisch, und zudem hat man damals nicht die Getränke gekühlt, sondern die Gläser – mit aus den Seen ausgesägtem Eis, das vom Winter eingelagert worden ist“, so Wagner. Wer trinken möchte, gibt den Dienern – adelige Pagen, die bei Hofe erzogen werden und bedienen – einfach einen Wink. Befehle habe Carl Theodor nicht erteilt. „Er war ein sehr höflicher Mensch, hat in der dritten Person gefragt: Möchte er mir bitte eine Tasse Kaffee bringen“, weiß der Konservator.

Auffallend sind noch die Gewürzschalen. In den imitierten Flechtkörbchen mit je zwei Henkeln, in deren Mitte mal ein Junge und mal ein Mädchen sitzen, wird Salz und Pfeffer kredenzt. „Eigentlich war das Essen schon sehr scharf gewürzt“, sagt Wagner, dennoch hätten viele Gäste nachgewürzt. Dabei ist Salz im 18. Jahrhundert ein kostbares Handelsgut und die einzige Möglichkeit außer Räuchern, Fleisch haltbar zu machen. Pfeffer muss von weither importiert werden – woher der Ausspruch „Geh dahin, wo der Pfeffer wächst“ stammt.

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Mitten auf der Tafel steht im Tafelaufsatz ein Pfau mit bunter Federnpracht – ein dekoratives Schaugericht zwar, aber mit realem Hintergrund. Tatsächlich werden an der Tafel des Kurfürsten nicht nur Pfauen verspeist, sondern auch Schwäne, Reiher, Milan: „Man isst zu der Zeit manches, was man heute nicht mehr isst. . .“, sagt Wagner. So hat sich im Geheimen Hausarchiv der Familie Wittelsbacher eine Menuekarte von Carl Theodor erhalten, wo ein „Indian mit Ziweben“ aufgeführt wird – sprich ein Truthahn mit besonders großen Rosinen.

Sogar Schildkröten stehen auf dem Speiseplan, ob als Fleisch oder ihre Eier. Sie werden im Schwetzinger Schlossgarten, in einem Schildkrötenteich, selbst gezüchtet. „Die Senke sieht man noch, beim Arboretum“, verweist Wagner auf den ummauerten Teil des Geländes. Beim „Ende der Welt“ werden in zwei heute noch bestehenden, als Lager genutzten Bruthäusern Fasanen gezüchtet – aber dann freigelassen, damit man sie jagen kann, berichtet Wagner: „An den Mauern kann man noch die eisernen Ösen sehen, an denen die Netze befestigt waren, welche die Fasanen am wegfliegen hindern sollten.“

In erster Linie wird aber Wild serviert. Bei den Prunkjagden, die auf 16 großformatigen Gemälden aus der Zeit des Kurfürsten Carl Philipp dargestellt sind, werden oft mehrere hundert Stück Wild zur Strecke gebracht. „Für uns heute klingt das brutal, doch diente das Ganze als wichtiger Zulieferer für die gewaltigen Mengen Fleisch, das die Hofküche täglich verarbeitete“, so der Konservator, berechnet man doch für die 624 Personen des Hofstaates ein Pfund Fleisch als Tagesration.

Die Gärten der Residenzen in Schwetzingen, beim Mühlau-Schlösschen bei Mannheim und in Oggersheim sowie die kurfürstlichen Domänen dienen als wichtige Zulieferer für frisches Obst und Gemüse. Besonders Schwetzingen ist für den Anbau der süßen Früchte der „Pommes des Sina“, der sauren „Citronen und Limonien“ sowie der „Caffe-Bäume“ bekannt, die alle in den Orangerien überwintern.

Am Eingang der Küche wacht ein Portier

Der Wein stammt teils aus den kurfürstlichen Weinbergen - wobei aber ein Großteil weiterverkauft wird, um aus dem Erlös edle und kostbare Sorten aus Burgund, ungarischen Tokajer und Champagner einzukaufen.

Zudem ist die Existenz eines Seefischlieferanten überliefert, dem vom Hof Seefischkarren gestellt werden, die auf Schiffen den Rhein hinab zum Meer transportiert werden, um gefüllt zurückzukehren. „Es darf vermutet werden, dass diese Fische nicht mehr ganz fangfrisch in Mannheim und Schwetzingen ankamen“, nimmt Wagner schmunzelnd an. Dafür liefern die heimischen Gewässer Flusskrebse und Forellen.

Tipps für Besucher

Adresse: Schloss und Schlossgarten Schwetzingen, Schloss Mittelbau, 68723 Schwetzingen.

Eintritt: Schlossgarten 8 Euro, ermäßigt 4 Euro, Familien 20 Euro (Sommerpreise). Eintritt Schloss und Schlossgarten Erwachsene elf Euro, Ermäßigte 5,50 Euro, Familien 27,50 Euro

Öffnungszeiten: Schlossgarten bis 26. Oktober täglich 9 bis 20 Uhr, letzter Einlass 19.30 Uhr. Die Besichtigung der Innenräume des Schlosses ist nur mit Führung möglich.

Führungszeiten: bis Oktober für 60-minütige Führung Montag bis Freitag 11 bis 16 stündlich, Samstag, Sonn- und Feiertag 10.30 bis 17 stündlich (bei Bedarf halbstündlich). 90-minütige Führung werktags 12 und 14 Uhr, Samstag, Sonn- und Feiertag 12, 14 und 16 Uhr.

Anreise: Zug bis Bahnhof Schwetzingen, von dort zehn Minuten zu Fuß, oder Bus 711 ab Mannheim bis Schlossplatz. Mit dem Auto über die B 36 zum Parkplatz am Alten Messplatz in 300 Metern Entfernung.

Sonderausstellungen zum Carl-Theodor-Jahr in Schwetzingen: 27. April bis 27. Oktober Mo., Di., Mi., Do., Fr. 11 bis 16 Uhr, Sa., So. und Feiertag 10.30 bis 17 Uhr „Das weiße Gold aus Frankenthal“, „Das Mannheimer Hofservice“ sowie „Familie und Mätressen“ 11 Porträts der Eltern des Kurfürsten, der unehelichen Kinder sowie Familienmitglieder oder Mätressen, alles im Eintritt zum Schloss und der 60-minütigen Führung enthalten. pwr

Wer wofür zuständig ist, lässt sich bis heute nachlesen. „Kurpfälzischer Hof= und Staats=Kalender“ heißt das in der Ära von Carl Theodor jährlich erscheinende Buch, das den gesamten Hofstaat auflistet. Der ist nach dem kaiserlichen Vorbild in Wien in sechs sogenannte Hofstäbe eingeteilt. Alle ziehen stets im Frühjahr von Mannheim in die Sommerresidenz, im Herbst zurück ins Schloss in der Quadratestadt – und das in einer endlosen Kutschenkolonne mit unzähligen Kisten voller Hausrat.

„Der Stab, der die adligen Vorsteher auszeichnete, war das Kennzeichen ihrer Macht und Symbol ihrer richterlichen und disziplinarischen Autorität“, erklärt Wagner die Bedeutung. Sechs solcher Hofstäbe gibt es: Obristhofmeister, Obristkämmerer, Obristhofmarschall, Obriststallmeister und der Intendant des Hofmusikstabes. Dem Obristhofmarschall untersteht die Küche mit dem „Obrist=Küchen=Meister“ sowie dem „Obrist=Silberkämmerling“.

Gegliedert ist der Versorgungsbetrieb des kurpfälzischen Hofes in sechs große Abteilungen: die Proviantkammer, die Hofküchen, die Kellerei, die Mundschenkerei sowie die Silber- und die Tücherkammer. Der Proviantmeister muss als Vorsteher der Proviantkammer den Stand der Vorräte und des Verbrauchs kontrollieren und den Einkauf frischer Lebensmittel organisieren. Dazu kommt ein „Controlleur“ mit einem Zuarbeiter für die Überwachung der Rechnungen, der „Einkaufer“ mit drei „Proviant-Gehülfen“, einen „Saalmeister“, zugleich „Controlleur bei dem Mannheimer Salzmagazin“.

Die Hofküche gliederte sich nach einer Auswertung der Hofkalender von Wagner in eine Brat- und eine Backküche sowie in die Hofkonditorei. So stehen auf der Gehaltsliste des Hofes immerhin neun Mund- und zwei Hofköche, zwei Bratmeister, ein Spickmeister, ein Backmeister, ein Geflügelköpfer, ein Edelknaben-Koch und ein Edelknaben-Bratmeister. „Ein wichtiger Posten war der des Küchenportiers, denn der saß an der Tür des Küchenflügels und musste kontrollieren, dass nichts aus der Küche rausgetragen, ergo gestohlen, wurde“, ergänzt der Konservator. Hinzu kommen zwei Kohlenmänner und Holzträger, drei Küchenmänner, deren genaue Arbeit nicht überliefert ist, und vier „Kuchenweiber“ als Spülerinnen. Für die 14 Küchenjungen gibt es einen eigenen Feldscher (also Wundarzt) wegen häufiger Schnittwunden und Verbrühungen.

In der „Canditerei“ arbeiteten laut Hofkalender ein „Hof-Canditer nebst zwei Gesellen, ein Gehülfe und ein Jung“. Zur Hofkonditorei zählen die Tücherfrau, eine Zugeordnete, die „Tafelwascherin“ und ein „Staabsbot“, der die bei privaten Auftragnehmern gewaschene Tafelwäsche transportieren muss. Selbst Berufe wie eine Sauerkrautverwahrerin und ein Schildkrötenverwahrer werden aufgeführt.

Zum Obristhofmarschallstab zählt zudem die Hofkellerei mit einem Kellerschreiber, der zugleich als Kontrolleur tätig ist, einem „Credenz-Aufseher“ und drei „Hofkellerei-Gehülfen“. Dazu kommt der Mundschenk mit zwei Assistenten, welche die Gläser und Karaffen verwalten. Vervollständigt wird der Obristhofmarschallstab durch die Silberkammer, in der Schwetzinger Sommerresidenz untergebracht in der heutigen Schlossverwaltung in einem Raum mit kleinen und vergitterten Fenstern. Der Silberverwahrer und ein Mitarbeiter kümmern sich um das Silber- und das silbervergoldete Geschirr sowie das Porzellanservice. Die Porzellanfiguren der Frankenthaler Manufaktur verwahrt dagegen der Leitung der Hofkonditorei. Zur Silberkammer zählen ferner drei Tafeldecker, zwei „Silberspülerinnen nebst sieben Gehülfinnen“ und der „Edelknaben-Tafeldecker“.

Nach dem Essen hat der Regent die Tafel aufgehoben

Getafelt wird im 18. Jahrhundert nach dem „service à la française“. Das umfasst lediglich drei Gänge, bei denen aber eine Vielzahl von Speisen gleichzeitig aufgetragen wird. Jeden Gang deckt das Personal komplett neu ein – inklusive Tischtuch, Serviette, Besteck und Teller. Die ersten beide Gänge werden von der Hofküche beliefert und mit Silbergeschirr aufgetragen, das aber nach und nach vom Porzellan verdrängt wird. Den dritten Gang, den sogenannten Dessertgang, fertigt die Hofkonditorei und serviert meist auf Porzellan. Als Tafelschmuck dienen Porzellanfiguren, künstliche Blumen – um nicht vom Duft der aromatisch gewürzten Speisen abgelenkt zu werden – und von Konditoren kreierte prachtvolle Schaustücke aus gefärbtem Zucker und Tragant, einem Verdickungsmittel aus dem Pflanzensaft des Bocksdorns.

„Rohrzuckerimporte kamen seit dem 16. Jahrhundert von den Kanarischen Inseln und später aus Mittelamerika und verbilligten die zuvor unerschwingliche arabische Droge, so dass an den Fürstenhöfen geradezu Verschwendung damit getrieben wurde“, so Wagner. Zum Dessert reichen die Konditoren im 18. Jahrhundert Sahneeis oder Fruchtsorbet.

Hergestellt wird das Speiseeis, indem die Zutaten in einen gläsernen oder metallenen Behälter gefüllt werden, den man in einen Eismantel bettet. Nach langem Rühren entstehen allmählich am Rand des Behälters Eiskristalle. Für das Servieren von Speiseeis dienen extra Porzellangefäße mit einem flachen Deckel mit hohem Rand, auf den wiederum Eis zum Kühlen gelegt wird, weil kalte Luft nach unten fällt und somit das Speiseeis gekühlt wird, erläutert der Konservator. Nach dem Essen hat der Regent die Tafel aufgehoben – eine Redewendung, die man heute noch kennt. Seinerzeit stimmt sie wirklich: Die Diener tragen den Tisch mit dem Porzellanservice und dem Besteck aus dem Raum, während die Gäste sitzen bleiben.

Redaktion Chefreporter

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