Mannheim. Es ist die letzte Entscheidung von Kurfürst Carl Theodor zugunsten seiner alten, geliebten Residenz Mannheim: Am 18. Dezember 1798, wenige Wochen vor seinem Tod, unterzeichnet der Regent, der schon lange in München lebt, noch eine sehr wichtige Verfügung. Er gestattet die Schleifung der Festungsbauwerke der Quadratestadt. Am 1. Juni vor 225 Jahren beginnen die Arbeiten, die das Ende der Mannheimer Stadtmauern und den Beginn der Erweiterung der Stadt bedeuten.
Alle müssen mithelfen. Sämtlichen „männlichen, sowohl christlichen wie jüdischen Einwohner“ sind aufgefordert, „in den Schlossgarten mit Arbeitsgeschirr versehen“ zu kommen. Frondienst nennt man das. Aber auch Frauen und Kinder gehen, wie auf einem zeitgenössischen kolorierten Stich zu sehen, gemeinsam mit Soldaten, mit Hacken und Schaufeln an das Bollwerk.
Mannheimer Festungsbauwerk: Kein zuverlässiger Schutz vor Zerstörungen
Der Überlieferung nach sollen sie dabei sogar gesungen haben. „Wir schurfen, wir schurfen immer fort, fein fleißig und behende! Von einem hin zum andern Ort, bis an des Tages Ende. Wir werfen ab den Festungssand und bauen an fürs Vaterland“, heißt es in einem Lied, das damals sogar gedruckt worden ist und eine Euphorie ausdrücken soll, von der nicht ganz klar ist, ob es sie tatsächlich so gegeben hat.
Aber die Mannheimer haben leidvoll erfahren, dass der Mauergürtel sie über die Jahrhunderte nicht wirklich vor kriegerischen Zerstörungen schützt – und sie spüren, dass er jetzt die Entwicklung der Stadt bremst. Schnell gehen soll es daher: Binnen zwölf Tagen nach dem 1. Juni werden 150 Sprengsätze gezündet, um die aus 13 Bastionen bestehende Befestigung zu beseitigen.
Jede dieser – jeweils nach Aposteln benannten – Bastionen, so geht aus Unterlagen vom Marchivum hervor, besteht aus Erdwällen, die auf beiden Seiten von bis zu fünf Meter hohen und bis zu zwei Meter dicken Wallmauern aus rotem Sandstein eingefasst sind.
Verlauf und Beschaffenheit der Bauwerke gut dokumentiert
Das Bauwerk ist gut dokumentiert. In über 100 Plänen und Skizzen sowie Karten lässt sich der Verlauf und die Beschaffenheit nachvollziehen. Die erste, sternförmig angelegte Festung „Friedrichsburg“ entsteht zur Stadtgründung durch Kurfürst Friedrich IV. 1606. Aber immer wieder gibt es Zerstörungen und danach den Wiederaufbau – mit dem Versuch, die Mauen noch dicker, noch widerstandsfähiger zu machen, was wegen der sich schnell entwickelnden Waffen- und Schießtechnik nur sehr bedingt gelingt.
1622 erobert und verwüstet im Dreißigjährigen Krieg der Heerführer der katholischen Liga, Johann Tserclaes Graf von Tilly, Stadt und Festung. Nach dem gelungenen Wiederaufbau ist es 1688/89 der Pfälzischen Erbfolgekrieg, der französische Truppen in Mannheim wüten lässt. Nach dem Wiederaufbau und dem Schlossbau (ab 1720) erlebt Mannheim eine Blüte in der Ära als Residenz der pfälzischen Kurfürsten bis 1778 – aber im Verlauf der Koalitionskriege zwischen dem von Napoleon geführten Frankreich und anderen europäischen Mächten folgt wieder ein bitteres Ende.
1794 und dann nochmal ab Mai 1795 ist Mannheim von der französischen Armee belagert. Bei der Rückeroberung durch österreichische Truppen im November erleidet die Stadt durch Artilleriebeschuss – über die Mauern hinweg – schwere Zerstörungen, nur 14 Häuser in den Quadraten bleiben ganz. Die Münchner Zeitung vom 1. Dezember 1795 schildert „das fürchterliche Kanonenfeuer“, gegen das auch Bastionsmauern nicht helfen.
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Teile des kurfürstlichen Schlosses, etwa das Opern- und Ballhaus, werden zerstört und die Ruinen nie wieder aufgebaut, da der Hofstaat ja jetzt in München residiert. Dort kommt man immer mehr zu dem Ergebnis, dass die Festung entbehrlich ist. Franz Albert von Friedrich, kurfürstlicher Beamter und später badischer Diplomat, fordert 1798 – anonym – die Schleifung der Bastionen, weil sie „noch nie ihrem Endzwecke entsprochen“, sondern der Stadt „stets zur Quelle des Verderbens statt zum Schutze gereicht“.
In Mannheim verbindet man damit die Hoffnung auf Frieden – ohne Festung, so glaubt man, werde die Stadt nicht mehr angegriffen und belagert oder gar besetzt. Schließlich dauern die Koalitionskriege noch an, und Mannheim ist Frontstadt – aber nicht „kriegstüchtig“, wie man heute sagen würde. Schon 1792 moniert ein kurfürstlicher Beamter fehlende Geschütze und Palisaden, verfallene Mauern und Wege. Und die Belagerung von 1795 zeigt Carl Theodor, dass die Festung nicht zu halten ist.
1813 wird die Schleifung für beendet erklärt
Zwei Monate vor seinem Tod am 16. Februar 1799 verfügt er daher die „Zernichtung“. Sein Nachfolger, Kurfürst Max Joseph, macht die Entscheidung zunächst rückgängig, einigt sich aber dann doch mit den Franzosen und setzt eine pfalzbayerische Demolierungskommission ein, um die Arbeiten zu leiten. Weil erneut Kämpfe zwischen Franzosen und habsburgischen Truppen ausbrechen, geraten die Arbeiten indes ins Stocken. Ende Juli 1801 wird die Festung aber offiziell als unbrauchbar bezeichnet, 1813 die Schleifung für beendet erklärt. Längst sind die Bürger nicht mehr dienstverpflichtet, sondern bezahlte Arbeiter brechen die Mauern ab.
Mancher gewölbte Sandsteinkeller in den Quadraten soll in jenen Jahren aus Resten des einstigen Bollwerks gemauert worden sein. Die Schleifung der Festungsmauern schafft die Chance für eine räumliche Ausdehnung der Stadt. Zunächst werden Grünanlagen angelegt, etwa der Lameygarten, zum Rhein hin Dämme, denn da schützten die Wälle auch vor Hochwasser. Weitere Gärten und Spazierwege entstehen, die in der badischen Zeit ab 1803 sehr beliebt sind.
Großherzogin-Witwe Stephanie, die ab 1818 das Schloss als Witwensitz bewohnt, lässt Gartenbaudirektor Johann Michael Zeyher hinter der Residenz einen Schlossgarten auf dem Gelände der ehemaligen Stadtbefestigung schaffen. Erst etwa ab 1870 dehnt sich die wachsende Stadt aus, und es entstehen jene langgezogenen, rechteckigen Baublöcke, die heute das meist jeweils siebte Quadrat bilden, also etwa E 7, Q 7 oder P 7.
Erhalten geblieben sind nur sehr wenige Teile des Bollwerks. Im Lauerschen Garten in M 6 ist der größte oberirdisch erhaltene Rest zu sehen. Fragmente befinden sich im Biergarten im Innenhof einer Gaststätte in B 6,12, am Luisenring beim historischen Aalschokker und, aber nicht genau am Originalstandort, aufgehäuft im Hof der früheren Bundesbank-Zweigstelle in M 7. Trotz vorhandener Pläne wurde bei vielen anderen Bauprojekten die Chance, die Reste der Bastion zu integrieren oder sichtbar zu machen, nicht genutzt. Mancher hat aber ein paar Steine zu Hause, weil 2017 einige Brocken der alten Mannheimer Festungsmauer, die im Baugrund von T 4 gefunden wurden, verkauft werden – zugunsten des Herschelbads.
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