Kino

Internationales Filmfestival Mannheim-Heidelberg: Kämpferisch gegen die Opferrolle

Das Internationale Filmfestival Mannheim-Heidelberg endet am Sonntag mit einem kämpferischen Film: Regisseurin Nora El Hourch stellt ihren Coming-of-Age-Film „Sisterhood“ vor. Darin wehren sich drei junge Heldinnen kämpferisch gegen die Opferrolle

Von 
Wolfgang Nierlin
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Regisseurin Nora El Hourch hat eigene Erlebnisse verarbeitet. © IFFMH/J. Antunes

Die beiden jungen Typen im Schnellimbiss wirken nervös und aufgekratzt. Mit großer Klappe und übersteigertem Geltungsdrang markieren sie im Spiel der Selbstdarstellung ihren noch unsicheren Platz. Offensichtlich wollen sie den drei etwa gleichaltrigen Mädchen am Nebentisch imponieren, die ins Bild kommen, als sie von den Jungs aggressiv angemacht werden. Doch die toxische Übergriffigkeit trifft auf weibliche Widerrede und resolute Gegenwehr, was die Angreifer in Rage bringt - und frustriert. Die alten Muster scheinen nicht mehr zu verfangen, die Zeichen zwischen den Geschlechtern sind offenbar auf Konfrontation und Kampf gestellt.

So unmittelbar wie Nora El Hourch mit ihrem Langfilmdebüt „Sisterhood“ („HLM Pussy“) in die Szene springt, so direkt, schnell und überdreht sind die Wortgefechte der Jugendlichen, die noch nicht wissen, wo sie stehen, aber bereits genau die Muster aktueller Geschlechterdiskurse kennen. Indem die Regisseurin französisch-marokkanischer Herkunft in diesem fulminanten, hitzigen Auftakt die wesentlichen Konfliktlinien ihres Coming-of-Age-Films etabliert, führt sie mehr indirekt zugleich das Heldinnen-Trio ein. In knapp gehaltenen, parallelen Erzählsträngen erfahren wir, dass jede der Teenagerinnen zwar einen migrantischen Hintergrund aufweist, dass die sozialen Gewichte zwischen den Freundinnen, die seit Kindertagen gewissermaßen verschwistert sind, aber ungleich verteilt sind. Die in entgegengesetzte Richtungen abfahrenden Schulbusse liefern dafür ein sprechendes Bild.

Während Amina (Léah Aubert) einem Bildungshaushalt entstammt und den sozialen Aufstieg weitertragen soll, leben die selbstbewusste Djeneba (Médina Diarra) und die zurückhaltendere Zineb (Salma Takaline) in eher prekären Verhältnissen. Zineb ist es dann auch, die von dem jungen Zak (Oscar Al Hafiane) unter emotionalen Druck gesetzt und sexuell angegangen wird. Dabei folgt sein Handeln den Mustern seiner Herkunft und seines Milieus, während das Mädchen gegenüber ihrem Angreifer hilflos erscheint. Doch ihre wütenden Freundinnen setzen sich zur Wehr. Obwohl sie diesbezüglich uneins sind, geht ein Video viral, das Zak in einer kompromittierenden Situation zeigt und nicht nur ihn attackiert, sondern auch die Freundschaft der Mädchen einer Belastungsprobe aussetzt.

Regisseurin Nora El Hourch zeigt in ihrem auf eigenen Erlebnissen basierenden, sozialrealistischen Film die emotionale Dynamik dieses Konflikts. Dieser rührt nicht nur her von den sozialen Gegensätzen innerhalb einer migrantisch geprägten Community, sondern auch von einer noch schwankenden Identität der Jugendlichen. Mit Direktheit und teils plakativen Mitteln inszeniert die Regisseurin in dieser französischen Produktion die widerstreitenden Gefühle ihrer Heldinnen, die sich kämpferisch gegen ihre Opferrolle wehren. Über deren sozialpsychologischen Bedingungen hat Nora El Hourch in einem Interview gesagt: „Ich wollte jene jungen Menschen beschreiben, die die Kämpfe von Erwachsenen mit den Waffen von Kindern ausfechten.“

Stadthaus N1: 26.11., 19.45 Uhr; Karlstorbahnhof: 26., 17.30 Uhr.

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