Kunst

Die Kunst-Facetten der Rosemarie Trockel in Frankfurt

Rosemarie Trockel zählt zu den renommiertesten Künstlerpersönlichkeiten weltweit. Kürtzlich wurde sie 70. Eine große und sehenswerte Geburtstagsschau richtet ihr jetzt das Frankfurter Museum für Moderne Kunst aus

Von 
Thomas Groß
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Was ist gestrickt und was gedruckt? Blick in die Frankfurter Ausstellung mit Arbeiten von Rosemarie Trockel. © MMK/Frank Sperling

Sie zählt zu den weltweit einflussreichsten Künstlerpersönlichkeiten. Im „Capital-Kunstkompass“ der 100 wichtigsten Künstler rangiert Rosemarie Trockel seit Jahren auf dem vierten Rang. Vor kurzem ist sie 70 geworden, eine angemessen große und sehenswerte Geburtstagsausstellung richtet ihr nun das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt aus - eine Retrospektive über drei Etagen, im ganzen Haus und mit allen Genres, die sie nutzt: Foto, Malerei, Druck, Video, Skulpturales sowie Installation.

Betritt man den Eingangssaal, sieht man sich umgeben von einem großen blauen, scheinbar aus Wolle gestrickten Fries. Trockels langjähriger Ruf als Strickkünstlerin wird aufgerufen. Und schnell wird auch eine weitere Eigenart deutlich, denn die Fäden hier sind keine Naturprodukte, sondern per Siebdruck auf die Wände gebracht. Gesellschaftliche Fragen stellt Trockel nicht nur hinsichtlich traditioneller, klischeehafter Frauenrollen, sondern umfassender: Die industrielle Fertigung wird zum Thema und damit auch unser (entfremdetes) Verhältnis zur Natur insgesamt. Darauf weisen auch zahlreiche Arbeiten hin, die Tiere zeigen, oder die ebenfalls in der Schau vertretenen Darstellungen des Wollsiegels; stark vergrößert kam es nicht gemalt oder gestrickt, sondern per Siebdruck aufs Bild.

Rosemarie Trockel: „Sabine“. © Courtesy of Sprüth Magers, The artist & VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Ist Trockel mit den Jahren vielleicht ein Opfer ihres Erfolgs geworden und in einer Schublade gelandet? Immerhin trägt der Fries den Titel „Prisoner of yourself“ - Gefangener deiner selbst. Doch das dürfen Betrachter getrost auch auf sich selbst beziehen, schließlich sind wir alle hier von Fäden umstrickt, soll heißen ein gutes Stück in uns selbst gefangen, in unseren Rollen, dem Selbstverständnis oder eben auch dem jeweiligen Geschlecht.

Gleichwohl galt und gilt Trockel mit Recht als feministische Künstlerin. Auf weibliche Rollenbilder, auf Haushalt und Küche als vermeintlich angemessener Entfaltungsraum, verweisen neben den Strickbildern auch Arbeiten, die Herdplatten zu Ornamenten arrangieren.

Trockel und die Schau

Die Künstlerin Rosemarie Trockel wurde 1952 in Schwerte geboren; sie lebt und arbeitet heute in Berlin.

Ihre künstlerische Arbeit wurde vielfach mit Preisen gewürdigt (etwa mit dem Kaiserring der Stadt Goslar) und international ausgestellt.

Bis 18. Juni 2023, Museum für Moderne Kunst, Domstraße 10, Frankfurt. Di-So 11-18, Mi bis 19 Uhr. Katalog erscheint noch.

Unter dem Titel „Sabine“ hat sie 1994 ihre Schwester abgelichtet, nackt, nur mit einer Sonnenbrille bekleidet und auf einem Elektroherd kauernd. Mit Kochen ist es laut dem Klischee nicht getan; ein Dasein als Sexualobjekt gehört dazu. Und die Haltung der Abgebildeten bringt zudem kunsthistorische Bezüge ins Spiel. Immer wieder entdeckt man bei Rosemarie Trockel ironische Noten. Doppelbödig wirkt sie immer und irritiert eingespielte Erwartungen. Manches erschließt sich zumindest dem Anschein nach recht rasch; vor anderen Motiven kommt man ins Grübeln und bleibt länger ratlos.

In ihrer ganz eigenständigen Konzeptkunst zitiert Rosemarie Trockel zuweilen den Begründer derselben, Marcel Duchamp. Andere Arbeiten nehmen beispielsweise Bezug auf den Dadaismus, auf Pop- oder Minimal Art.

Vorsicht vor schönen Oberflächen

In keinem Fall sollte man es sich mit der Kunst zu leicht machen, mahnt Trockel. „Misleading Interpretation“ (irreführende Deutung) ist ein Fotodruck von 2014 betitelt, der die Künstlerin selbst mit blutiger Nase und einem schwarzen Balken vor den Augen zeigt. Ist diese Frau Opfer einer Aggression geworden? War es ein Unfall oder hat gar sie selbst Gewalt ausgeübt und dann eben Blessuren davongetragen?

„Misleading Interpretation“. © Privat-sammlung, The artist & VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Vorsichtig sollte man nicht zuletzt sein, wenn man in dieser Schau formschöne Oberflächen sieht. Aus hübsch glänzender glasierter Keramik sind zwei rote Reliefs gefertigt; bei näherer Betrachtung erinnern sie klar an rohes Rindfleisch und so letztlich auch an die industrielle Tötungspraxis der Schlachthöfe. In schönem Glanz zeigen sich auch eine Reihe von Masken, die gemäß dem Titel „Clock Owner“, also Herren der Zeit zeigen. Ihre hämischen Züge lassen vermuten, dass ihr Zeitregime nicht unbedingt Menschenliebe bezeugt. Und die fast drei Meter hohe Plastik „Notre Dame“ (2018) zeigt eine überdimensionale Haarnadel - erneut ein vermeintlich typisch weibliches, harmloses Motiv, mit dem sich aber auch Türschlösser unbefugt öffnen lassen oder man empfindliche Verletzungen zufügen kann.

Vielfältige Anregungen

Dass die Kunst der Rosemarie Trockel zuweilen komische Noten bereit hält, zeigt sich auch hier. Anderswo hingegen ist die künstlerische Mitteilung vor allem bitter und trist. In einer aktuellen Arbeit reiht Trockel Porträts trauernder Frauen aneinander, die an ein Bild Andy Warhols von Jackie Kennedy erinnern. Dass es sich hier um Mütter oder Ehefrauen von gefallenen Soldaten handeln dürfte, offenbart das erste Bild, das im Stil von Warhols „Most wanted Men“ einem Steckbrief ähnelt: Es zeigt den Urheber der Katastrophe des Ukrainekrieges, den zynisch lächelnden Wladimir Putin.

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Die Stoßrichtung von Trockels Kunst ist so vielfältig wie ihr Vokabular an Motiven und Formen. Die in puncto Wandtexte eher sparsam kommentierte Frankfurter Ausstellung lässt daran kaum einen Zweifel. Besucher bekommen hier einen repräsentativen Überblick geboten und dazu schier zahllose Anregungen, mit denen man nicht so schnell an ein Ende kommt.

Redaktion Kulturredakteur, zuständig für Literatur, Kunst und Film.

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