Mannheim. Ist es Richard Wagner oder ist es das Geschöpf von Dr. Victor Frankenstein, das uns die Videoprojektion zu Anfang dieser Inszenierung zeigt, während das Vorspiel seine irisierend suggestive Klangwirkung entfaltet? Weder noch: Es ist vielmehr der Titelheld persönlich. Also Lohengrin. Okay, man kann bei einer derart großen neuen Produktion am Nationaltheater nicht gleich alles wissen. In dem Video werde gleichsam „in den Mutterbauch hineingefilmt“, erklärt der Dramaturg Jan Dvorák, der im Anschluss an den öffentlich geprobten ersten Aufzug eine ganze Menge Fragen abarbeiten muss. Doch er versichert den Besucherinnen und Besuchern im Foyer: „Es ist kein böser Wille, sollten Sie es nicht verstanden haben.“
Zum Stück
„Lohengrin“ in Mannheim: Die Premiere am 26. Oktober ist ausverkauft .
Für die weiteren Termine gibt es noch Tickets : 31. Oktober, 2., 8., 16., 23. November, 19. Dezember, 11. Januar.
Spielstätte ist die Oper am Luisenpark (OPAL).
Mehr unter www.nationaltheater-mannheim.de.
Das beruhigt. Und halbwegs menschlich ist das Nicht-alles-verstanden-Haben vorerst auch. Schon deshalb, weil bei dieser Probe in der Oper am Luisenpark noch gar nicht alles aufgefahren wird, was sich der Schweizer Regisseur Roger Vontobel und sein Team erdacht haben. Sogar das die „Geburt“ des Helden vorführende Eingangs-Video wird noch nachbearbeitet und hoffentlich perfektioniert. Und die Kostüme fehlen ganz. Dass Elsa von Brabant in der Gestalt der Sopranistin Astrid Kessler einen blockgestreiften Bademantel trägt, sollte nicht allzu aufwendig gedeutet werden – Kessler hat ihn von zu Hause mitgebracht. Ein rein „privater Bademantel“ sei das, sagt Jan Dvorák. Auch die Chormitglieder tragen ihre Alltagskleidung. Doch der schwarz und weiß gestreifte Mantel passt im Grunde schon: Dvorák verrät, dass in der Endfassung der Inszenierung, am Premieren-Sonntag, auch das „Volk“ in Wagners „Lohengrin“ in diesen scharfen Farbkontrast gewandet sein wird: Weiß steht für die Sachsen (und die scheinbar höher aufragende Zivilisationsstufe), schwarz für die vormals „heidnischen“ Brabanter.
Roger Vontobel hat im Nationaltheater Mannheim historische und religiöse Hintergründe im Fokus
Wagners Werk soll ja im noch recht jungen Mittelalter spielen, in der Zeit kurz nach dem Jahr 900. Als der ziemlich legendäre erste deutsche König Heinrich in Erscheinung trat, im „Lohengrin“ ist er eine entscheidende Figur – auch wenn an diesem Probentag nur ein Ersatzmann singt (und obendrein nur an der Bühnenseite): Seokhoon Moon vom Staatstheater Darmstadt. Weil die beiden „Könige“ vom Nationaltheater krankgemeldet sind.
Aber der Regisseur, in Mannheim wohlbekannt, möchte durchaus ans frühe Mittelalter andocken. So völlig anders war die Welt vor über 1.000 Jahren gar nicht, mit ihrer „Domestizierung der Natur“ und der Verwendung einer Religion zum „Machterhalt eines Systems“, wie uns Roger Vontobel im Gespräch erläutert. Dass Christianisierung oft gewaltsam abgelaufen ist, will seine Inszenierung immer mitbedenken. Und auch, dass die Frauen in der Oper häufig sehr allein dastehen. Ortrud, Elsas Gegenspielerin, versteht Vontobel nicht – oder nicht nur – als „böse“ Zauberin. Sie sei „der Dreh- und Angelpunkt in der Geschichte“. Letzte Überlebende der sogenannten Heiden. Rächerin der totbekehrten, einverleibten Ureinwohner von Brabant.
Sie ruft die alten Götter an, Wotan und Freia, und verlangt: „Bestraft die Schmach!“ Im zweiten Aufzug, der ihr weitgehend „gehört“, hat Wagner ihr Zukunftsmusik geschrieben, in fis-Moll. Kann die gewünschte Rückkehr zu den alten Göttern wirklich glücken? Wagners alte Themen und Konflikte, seine Fragen nach Identitäten oder Fundamentalismen, kommen uns mal wieder ziemlich heutig vor.
Wie schafft es dieser Komponist, so aktuell zu bleiben, dass für viele Regisseure Wagner-Inszenierungen zur Königsdisziplin geworden sind? Vielleicht, weil seine Hinwendung zu alten Sagenstoffen, die er auch im „Lohengrin“ zum Teil betreibt, schon automatisch impliziert, dass zusätzlich noch etwas Anderes gemeint sein muss? Etwas, das gleichermaßen aktuell wie überzeitlich ist? Vontobel gibt uns recht: Das „großartig Komplexe“ zeichne Wagner aus. Mache ihn einzigartig. Anders ausgedrückt: In Wagners Hauptwerken (Vontobel spricht beim „Lohengrin“ von einem „Opus magnum“) ist ein deutlicher Bedeutungsüberschuss schon serienmäßig eingebaut. Zu seinen Schriften müsse man dagegen „10.000 Prozent Distanz“ wahren. Weil sie so viele intellektuelle Schadstoffe enthalten, oft antisemitischer Natur.
Der Schweizer ist von Haus aus Sprechtheaterregisseur. Zu Wagner kam Vontobel eher spät, den Anfang machte, ebenfalls in Mannheim, sein „Fliegender Holländer“. Der war sehr stark von einem viel gelobten Bühnenbild geprägt, von seiner „eigentlichen“ Inszenierung strenggenommen weniger. Und jetzt? Der Bühnenbildner Fabian Wendling zeigt (wie der Schwarzweißkontrast in den Kostümen von Martina Lebert) eine bipolare Welt: Die Sachsen, die im ersten Aufzug links postiert sind, stehen für das Christentum, den Fortschritt. Ihre Waffen sind die überlegenen, erinnern in der neuen Inszenierung gar ein bisschen an die Lichtschwerter, wie man sie aus der „Star Wars“-Kino-Sage von George Lucas kennt. Dagegen die Brabanter (vormals Friesen), auf der Bühne rechts platziert: Sie stehen für die alte Ordnung und die alte Religion. Der Zauberwald in ihrem Rücken hat die Blätter längst verloren. Von den Christen wird ein neues Haus gebaut, es wurde aus dem Wald mit seinen Kulteichen aus der Germanenzeit herausgeschnitten. Wir erblicken eine Welt im Rohbau. Einen kleinen Clou soll es im zweiten Aufzug geben, hören wir: Dann wird ein echtes Feuer auf der Bühne brennen.
Rizzi Brignolis Interpretation und musikalische Highlights
Eine große Rolle spielt im „Lohengrin“ der Chor, also das „Volk“. „Wohin tendiert es?“, fragt Roger Vontobel, Chor-Regie sei eine Disziplin für sich in dieser Oper – die kein Happy End zu bieten hat. Aber auch hier, nach Lohengrins Entschwinden und nach Elsas Tod, behält der Chor das letzte Wort: Das Volk ruft „Weh!“.
So tragisch und so nordisch schicksalsschwanger das auch alles sein mag: „Lohengrin“ ist manchmal auch als „italienischste“ der Wagner-Opern tituliert worden. Mit dieser Lesart kann Roberto Rizzi Brignoli, Mannheims Generalmusikdirektor, eine ganze Menge anfangen, das durfte man erwarten. In den leisen, lyrischen Momenten habe die Musik zarte Melodik, Sinnlichkeit, „mediterrane Süße“. Und der Italiener geht noch weiter: „Es erinnert fast an Debussy“ – und das schon lange, bevor Debussy auch nur geboren wurde. In der öffentlichen Probe hört sich das sirenenhaft verführerische Vorspiel noch etwas verhalten an, Rizzi Brignoli appliziert die Droge Wagner eher sparsam. Doch am Schluss des ersten Aufzugs rudert er gewaltig mit den Armen, der Orchester-, Chor- und Solosänger-Klang wogt monsterwellenartig auf. Bei der Premiere vielleicht noch ein bisschen mehr.
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