Literatur regional

War mein Opa eigentlich ein Nazi?

Heide-Marie Lauterer veröffentlicht den Roman „Das blaue Album“ im Heidelberger Draupadi Verlag. Darin geht es um totgeschwiegene Familiengeschichte und den Umgang mit der NS-Vergangenheit.

Von 
Elke Barker
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Akten bei der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg. © picture alliance/dpa

Heidelberg. Gräueltaten aus dem Zweiten Weltkrieg. Sie hinterlassen Spuren im Familiensystem, sie wirken über Generationen fort, vor allem dann, wenn sie verdrängt und totgeschwiegen werden. Dieser Thematik, von der Journalistin Sabine Bode in ihren Büchern über Kriegskinder und Kriegsenkel erstmals ins (deutsche) Bewusstsein gerückt, widmet sich Heide-Marie Lauterer in ihrem Roman „Das blaue Album“.

Mitfühlend, historisch fundiert und dennoch leichtfüßig erzählt die Heidelberger Autorin von vier Menschen und ihrem unterschiedlichen Umgang mit (Familien-)Geschichte. Dreh- und Angelpunkt ist dabei ein Fotoalbum mit blauem Umschlag, das sein Dasein in einem sperrigen Sekretär fristet.

Helena würde seinen Inhalt, wie überhaupt alles, was mit ihrem Vater zu tun hat, am liebsten auf sich beruhen lassen. Ihre Tochter Blue hingegen möchte Licht ins familiäre Dunkel bringen, als sie ein Foto von ihrem Opa 1941 im polnischen Litzmannstadt (später Lublin) findet. War Opa bei der Errichtung eines Ghettos für polnische Juden beteiligt? War Opa ein Nazi? War Opa in der NSDAP? Fragen über Fragen, auf die Blue Antworten in Archiven sucht.

Der Roman führt behutsam durch die Ungeheuerlichkeiten deutscher Geschichte

Ihr Freund Dan, der sich politisch rechts orientiert, kann die ganze Aufregung nicht verstehen. Er sieht in dem Foto vor allem ein Beweis für eine ganz normale Studentenfreizeit im besetzten Polen der 1940er Jahre. Paulus wiederum, den Helena gerade erst kennen und lieben lernt, versucht, sich Familiengeschichte nicht intellektuell, sondern auf Bewusstseinsebene zu nähern.

Heide-Marie Lauterer nimmt ihre Figuren behutsam an die Hand und führt sie durch die Ungeheuerlichkeiten deutscher Geschichte. Um nicht von den Ereignissen überrollt zu werden, müssen sie sich aufeinander einlassen, gemeinsame Wege gehen, sich in Geduld und Toleranz üben.

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Bei Helena spielen dabei auch persönliche Traumata eine Rolle. Den „Mann mit den schwarzen Stiefeln“, seine „schweren Schritte auf den Dielen“, seine „Hände, die sich an der Wand entlang durch die Dunkelheit tasten“, all das lässt sich ebenso wenig aus ihrem Kopf verbannen wie das „Michelinmännchen“ oder das Bild dieses Mädchens, das sie hasst, weil es sie schon ein Leben lang verfolgt. Es trägt ein schmutziges, geblümtes Sommerkleid, ist schwach, kränklich und hat ein Baby auf dem Arm.

Um die Wunden der Vergangenheit zu heilen, muss Helena bis zum Äußersten gehen, muss sich auf ein Experiment einlassen und sich mit Paulus‘ Hilfe in das Labyrinth der Totenstadt begeben. Wie Theseus, als er den Minotaurus tötete, geht sie am Ariadnefaden genau den Weg zurück, den sie gekommen ist. Sie stellt sich ihren Dämonen, geht durch die Hölle, um am Ende befreit ein neues Leben beginnen zu können.

Mit „Das blaue Album“ ist Heide-Marie Lauterer ein bewegender wie vielschichtiger Generationenroman über das Leben, die Liebe und den Umgang mit der Vergangenheit gelungen, den man mit Spannung liest und nur ungern aus der Hand legt.


Zum Buch

Heide-Marie Lauterer

„Das blaue Album“

Draupadi Verlag, Heidelberg. 231 Seiten, 19,80 Euro.

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