Performance

„Und jetzt?“-Festival: Gastspiel übers Aufstehen

Wofür stehst du auf? Die Gruppe Antje Pfundtner in Gesellschaft wird nicht müde, diese Frage zu diskutieren – auch mit dem Publikum im Mannheimer Eintanzhaus.

Von 
Christel Heybrock
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Schräg und witzig: „Sitzen ist eine gute Idee“ von Antje Pfundtner in Gesellschaft. © Simone Scardovelli

Mannheim. Mir hat eine Dame aus der Ukraine einen Klappstuhl hingestellt und erklärt, dass sie morgens gerne aufsteht, wenn sie sich auf eine Kleinigkeit freut. Alle Zuschauer im Eintanzhaus haben auf diese Weise Sitz- und Gesprächsgelegenheit gefunden, denn es ging bei „Sitzen ist eine gute Idee“ um die Frage, wofür man aufsteht. Dass der politische Aspekt des Aufstehens keine explizite Rolle spielte, hängt wohl damit zusammen, dass Antje Pfundtner erklärte, es ginge um Melancholie; einmal verteilte sie gar Tränenflüssigkeit an Zuschauer, die sich dafür meldeten.

„Duft der Melancholie“ aus der Raumsprayflasche

Ihre Hamburger Compagnie „Antje Pfundtner in Gesellschaft“ arbeitet mit dem Prinzip, vorab eine Reihe lokaler „Kompliz*innen“ zu engagieren, was die Integration von Mitarbeitenden und Zuschauern zur Folge hat – also die Integration von Kunst und Leben. Da durfte man sich nicht wundern, wenn man Bestandteil der Vorführung wurde, den Klappstuhl unvermittelt wechseln oder fiktivem Blickkontakt aus nahen Begegnungen der Solo-Performerin standhalten sollte; es gab auch den tröpfchensprühenden „Duft der Melancholie“ aus der Raumsprayflasche.

So furchtbar traurig ging es aber nicht zu, denn Antje Pfundtner reizte mit der virtuosen Darbietung aus schrägen Ideen und Banalitäten immer wieder zum Kichern. Im Grunde ging es ihr um das Ausmessen von Räumen – von sozialen, kulturellen, fantastischen und körperlichen. Die Zuschauerschar durchbrach sie nicht nur mit dem eigenen laufenden, sich kompliziert verrenkenden Körper, sondern auch mit einer elektronisch gelenkten Styroporkugel. Wurde zu Beginn nur das Requisit des Abends, der Stuhl, an der Projektionswand sichtbar (als hätte man das Ding nicht vielfach vor Augen, und später waren tote Fliegen dort zu sehen), so maß Antje Pfundtner den Raum der Trinitatiskirche in Höhe und Breite aus, kriechend auf dem Fußboden, auf einen Hochsitz kletternd oder in grotesker weißer Federperücke auf hoch gestapelten Bänken posierend.

Gurgeln in jeder Position als virtuose Dauerleistung

Sie erkundete auch den Raum menschlichen Sprechens von unverständlichem Brabbeln bis zum Schrei – eine ihrer Glanzleistungen ist Gurgeln. Sie gurgelt melodisch leise in Rückenliegeposition, erhebt sich gurgelnd, greift scheinbar hilflos nach Zuschauerhänden und gurgelt schließlich zwischen ihnen stehend und die Arme emphatisch in die Höhe reißend. Es gibt Phasen, in denen rein gar nichts passiert, und die Zuschauer nicht wissen, ob das alles nun zu Ende ist oder noch weitergeht.

Eine wichtige Rolle spielen Farben – außer schwarzen Klappstühlen gibt es einen einzigen roten, auf dem die Solistin, anfangs in rotem Trikot mit schwarzer Tunika, geschmeidig balanciert. Doch irgendwann ist es vorbei damit: Antje Pfundtner zieht sich kurz splitterfasernackt aus und wechselt zu Schwarz und Dunkelgrün.

Zum Schluss verschwindet sie in einer riesigen roten Birne – als sie Kopf und Arme erscheinen lässt, trägt sie Schwarz mit schwarzen Federn. In der roten Birne fängt sie an zu schaukeln und hört nicht mehr auf. Irgendwann begreifen es die Zuschauer und verlassen unter herzlichem Beifall langsam den Raum.

Freie Autorin MM Kulturredaktion 1974-2001, Fachgebiet Bildende Kunst

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