Film

„Transamazonia“ im Kino: Ein Film über Identität und Glauben

Pia Marais‘ Film „Transamazonia“ läuft auch in der Region – im Gloria-Kino in Heidelberg oder dem Odeon-Kino in Mannheim.

Von 
Wolfgang Nierlin
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Die deutsche Jungschauspielerin Helena Zengel (hier im Mai bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises in Berlin) ist derzeit auch in „Die Legende von Ochi“ im Kino zu sehen. © picture alliance/dpa

Rhein-Neckar. Eine weite, sattgrüne Waldlandschaft dehnt sich vor dem Betrachter aus, bevor die Kamera eintaucht in eine tropische Vegetation aus üppigen Stauden, übergroßen Blättern und einem dichten Dschungel. Eine Geräuschkulisse aus Tierlauten, Vogelrufen und perlendem Wasser begleitet die Bilder dieser anderen, fernen Realität, die zugleich Ruhe und Abgeschiedenheit ausstrahlt. Der Eindruck einer Unwirklichkeit verstärkt sich noch, als der Blick auf ein junges, blondes, offensichtlich verletztes Mädchen fällt, das gerade aus einer tiefen Bewusstlosigkeit zu erwachen scheint und sich einem neuen Leben öffnet.

Beobachtet wird diese Erweckung von einem jungen Mann, einem Eingeborenen Amazoniens, der mit Pfeil und Bogen im Schatten kauert. Er nimmt sich des Mädchens an und wird es, die einzige Überlebende eines Flugzeugabsturzes, retten und bis zu einer Missionsstation im brasilianischen Regenwald tragen. Das Bild, das die Traumatisierte in ihre Alpträume verfolgen wird, zeigt eine leblose Hand, die von Ameisen bevölkert ist.

Die Gerettete gilt seit ihrem Unfall als Wunderheilerin

Pia Marais‘ neuer Film „Transamazonia“ taucht ein in eine magische, fast surreale Welt. Neun Jahre später lebt Rebecca (Helena Zengel) bei ihrem angeblichen Vater Lawrence Byrne (Jeremy Xido), einem leidenschaftlichen Missionar und fundamentalistischen Prediger, in der Missionsstation. Ein merkwürdiges, gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis vereint die beiden. Denn auch Byrne trägt eine schwere Vergangenheit mit sich und er scheint seine Tochter zu instrumentalisieren.

Die Gerettete gilt nämlich seit ihrem Unfall als Wunderheilerin, die mit übernatürlichen Kräften Kranke gesund macht und die deshalb fast wie eine Heilige verehrt wird. Sie selbst versteht sich hingegen lediglich als „ein Medium“: „Es ist der Glaube, der zählt.“

Sie geraten zwischen die Fronten eines erbitterten Konflikts

Zusammen mit Byrne spendet Rebecca Hoffnung und Trost angesichts von Verzweiflung und Not. Gemeinsam singen sie Lieder vom „kühlen, klaren Wasser“ und einem besseren Leben in einem himmlischen Zuhause. Denn, so der Missionar: „Was bleibt uns am Ende, wenn wir keinen Glauben haben?“ Dabei scheinen die beiden in einem Prozess der Verdrängung ihrer eigenen Suggestion zu erliegen.

Doch dann geraten sie mit ihren ebenso lauteren wie eigennützigen Absichten zwischen die Fronten eines erbitterten Konflikts, der zwischen einem indigenen Stamm und illegalen Holzfällern tobt. Auf beiden Seiten nehmen sich Rebecca und Byrne, die zwischen den Parteien zu vermitteln versuchen, Versehrten an. Doch als die Holzfäller wortbrüchig werden und die Lage eskaliert, müssen sie sich entscheiden.

Widersprüchliches bleibt bewusst stehen

Dabei dient der postkoloniale, mit Western-Elementen inszenierte Konflikt auch als Katalysator für die prekäre, von Halbwahrheiten und Mystik umstellte Vater-Tochter-Beziehung; sowie als Movens für die Entfaltung einer Coming-of-Age-Geschichte, in der Rebecca ihre wahre Identität entdeckt und sich gemeinsam mit Byrne einer schmerzlichen Vergangenheit stellen muss.

Die deutsche Regisseurin und Drehbuchautorin Marais erzählt die vielschichtige, ambivalente Handlung ihres Films in einem ruhigen Rhythmus und in atmosphärischen, sinnlich aufgeladenen Bildern. Dabei lässt sie Widersprüche bewusst stehen, verurteilt nicht, um stattdessen ihren Figuren neue Horizonte zu eröffnen.

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