Über das Nationaltheater will er lieber nicht sprechen, gibt er zu erkennen. Eine Frage nach den Querelen der Vergangenheit und der Tatsache, dass die Mannheimer Philharmoniker nun auch noch Oper spielen, läuft ins Leere. Aber Boian Videnoff, der das Projekt nun schon seit 16 Jahren mit einigem Erfolg betreibt, beantwortet viele Fragen kurz vor Beginn der neuen Spielzeit, die am 5. Oktober mit zwei Klavierkonzerten von Chopin eröffnet wird.
Herr Videnoff, jetzt machen Sie auch noch Oper in der nächsten Saison der Mannheimer Philharmoniker. Wie kommt es dazu?
Boian Videnoff: In den letzten Jahren haben wir enge Freundschaften mit einigen der größten Opernstars unserer Zeit entwickelt. Daraus entstand fast von selbst die Idee, einmal pro Spielzeit eine halb-szenische oder konzertante Opernaufführung zu realisieren.
Ist das nicht hochkomplex – vor allem auch für die jungen Menschen im Orchester?
Videnoff: Absolut! Das ist für alle, auf und hinter der Bühne, eine große Herausforderung. Gleichzeitig ist es aber auch eine fantastische Erfahrung und Chance: Für die Musiker im Orchester ebenso wie für das Publikum in Mannheim, Starsänger zu erleben, die man sonst nur in New York, London oder Wien hört.
Und die Stars kommen alle und machen das gegen eine warme Mahlzeit als Freundschaftsdienst – wie Martha Argerich?
Videnoff: Wir haben das große Glück, dass sich die Solisten, die zu uns kommen, sowohl künstlerisch als auch menschlich bei uns wirklich wohlfühlen. Das hat sich herumgesprochen, und deshalb kehren sie gerne zurück. Natürlich können wir keine extrem hohen Gagen zahlen, aber die Honorare sind fair - wer einen Saal füllt, soll dafür auch angemessen entlohnt werden. Entscheidend ist jedoch etwas anderes: Wir haben es geschafft, auf die Wunschliste vieler dieser Künstler für regelmäßige Zusammenarbeiten zu kommen. Sie räumen sich in ihren vollen Kalendern bewusst Zeit frei, um nach Mannheim zu kommen. Das ehrt und freut uns sehr!
Das heißt, dass Anna Netrebko bei Ihnen Schlange steht?
Videnoff: Ich kenne Frau Netrebko nicht persönlich. Solche Verbindungen entstehen meist mit der Zeit: Es entwickeln sich musikalische Freundschaften, ein Solist empfiehlt uns dem nächsten, und so wächst Schritt für Schritt ein Netzwerk.
Videnoff und die Mannheimer Philharmoniker
- Boian Videnoff: Der Dirigent, 1987 in Sofia geboren, wuchs in Italien und Deutschland auf. Er studierte an der Mannheimer Musikhochschule Klavier bei Rudolf Meister, später auch Dirigieren. 2012 schloss er ein Dirigierstudium in Siena bei Gianluigi Gelmetti ab.
- Mannheimer Philharmoniker: Das Orchester wurde 2009 von Videnoff gegründet. Musikhochschulabsolventen aus ganz Europa bietet es die Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln. Es spielt vor allem in Mannheim, gastierte aber auch schon in großen Konzertsälen wie dem Madrider Auditorio National und der Hamburger Elbphilharmonie. Finanziert wird das Orchester von Beginn an von privaten Förderern aus der Region. Hauptförderer sind derzeit die Fontana Stiftung, die Hector Stiftung und die Stadt Mannheim mit 100 000 Euro jährlich.
- Konzert: Sonntag, 5.10., 19 Uhr, Musensaal des Rosengartens. Chopin Klavierkonzerte Nr. 1 und 2. Olga Zado, Boian Videnoff (Tickets: Hier)
Dann wachsen also die Ambitionen der Mannheimer Philharmoniker weiter? Mehr Konzerte, mehr Stars, mehr Publikum?
Videnoff: Unsere Konzerte sind sehr gut besucht, oft auch ausverkauft. Das Orchester entwickelt sich wunderbar und es wäre schön, die künstlerische Aktivität und Frequenz der Zusammenkünfte intensivieren zu können. Das Potenzial ist da und wir arbeiten daran es möglich zu machen.
Früher nannten Sie mal Zahlen und wollten mindestens acht Konzerte im Jahr spielen und berühmte Gastdirigenten holen. Sind Sie vorsichtiger geworden?
Videnoff: Dies bleibt unser Ziel, und wir arbeiten intensiv daran. Die hohe Inflation nach der Corona-Pandemie und dem Kriegsbeginn in der Ukraine hat den Prozess zwar verlangsamt und zusätzliche Hürden geschaffen, doch wir bewegen uns klar in die richtige Richtung.
Finanziell läuft es bei Ihnen seit den 100.000 Euro aus dem Stadtsäckel ja gut – oder täuscht der Eindruck?
Videnoff: Die Unterstützung der Stadt ist für uns fundamental. Wir könnten sonst die vielen kostenlosen Bildungs- und Familienkonzerte nicht realisieren. Gerade in unserer Zeit sind diese Angebote unverzichtbar, um Menschen an unsere Kunstform heranzuführen und dafür zu begeistern.
Die Stadt muss sehr sparen. Momentan sind Sie da außen vor. Haben Sie Hinweise darauf, dass das so bleiben wird?
Videnoff: Der Gemeinderat hat 2024 die Förderung des Orchesters für den Doppelhaushalt 2025/26 beschlossen. Wir sind überzeugt, dass unser gesellschaftlicher Beitrag – nicht nur im Rahmen der Konzerte mit den Solisten von Weltrang, aber gerade auch im Bildungsbereich - eine große Bereicherung und einzigartiges Angebot für die Bürgerinnen und Bürger der Stadt darstellt und auch in Zukunft von der Politik entsprechend geschätzt wird.
Einzigartig? Solche Aktivitäten haben auch KKO, NTO und Staatsphilharmonie.
Videnoff: Jedes Format, das mehr Menschen in den Konzertsaal bringt und einen Bezug zu dem herstellt, was wir auf der Bühne machen, ist willkommen. Soweit ich weiß, hat jedes Ensemble seine eigene besondere Herangehensweise - und diese Ansätze ergänzen sich hervorragend. Gemeinsam bilden wir das Publikum von morgen und sichern die Relevanz der Musik in unserer Gesellschaft.
Sie dirigieren bislang alle Konzerte - seit 16 Jahren. Seit einigen Jahren verantwortet Ihre Frau noch eine Kammermusikreihe und sitzt sehr oft selbst auf der Bühne - wie auch bei der Saisoneröffnung mit Chopin am 5. Oktober. Solisten sind enge Freunde von Ihnen beiden. Das Ganze ist fast so etwas wie ein Familienbetrieb. Bleibt das auch künftig Ihr Erfolgsrezept?
Videnoff: In Familienbetrieben steckt oft viel Herzblut – das gilt auch für uns. Ich habe das Orchester gegründet, unterstützt von meiner Familie: vom Transport der Pauken in den Anfangsjahren bis zum unermüdlichen Einsatz meiner Mutter, die ihr Wissen als Violinprofessorin und ehemalige Konzertmeisterin eines Rundfunkorchesters kostenlos bei Proben und Coachings an die jungen Musiker weitergibt. Eine solche Institution benötigt viele ehrenamtliche Helfer – meine Familie war dabei stets eine unverzichtbare Stütze. Doch auch Musiker und Organisationsteam empfinden sich als große Familie, und selbst die Solisten spüren diesen besonderen Geist. Genau diese Verbundenheit, das Engagement und die Leidenschaft aller Beteiligten machen unser Orchester aus.
Sie haben mittlerweile einen recht guten Etat, scheint mir, wenn man die ganzen Förderer anschaut. Darf die Öffentlichkeit, die Sie ja mitbezahlt, erfahren, wie viel es pro Jahr ist?
Videnoff: Insgesamt belaufen sich die Kosten einer Spielzeit auf rund eine Million Euro. Etwa 30 Prozent werden durch Ticketeinnahmen gedeckt, rund 60 Prozent durch private Förderer und Stiftungen, und 10 Prozent durch die Förderung der Stadt. Wir sind für diese öffentliche wie auch private Unterstützung sehr dankbar – beide bedingen und ergänzen einander und tragen gemeinsam das Orchester. Ohne dieses Zusammenwirken wäre unsere Arbeit in dieser Form nicht möglich.
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