Kommentar Spielzeit 2025/26: Zu wenige Klassiker!

Tanz und Kinder- und Jugendtheater setzen auf Vielfalt, Mannheims Schauspiel weiterhin vorwiegend auf aktuelle Diskurse, kommentiert Ralf-Carl Langhals

Veröffentlicht
Kommentar von
Ralf-Carl Langhals
Lesedauer

Mannheim. Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen; Und jeder geht zufrieden aus dem Haus“, heißt es bei Goethe, ein Leitspruch für Theaterspielpläne, den der Dichter nicht ohne Ironie seinem „Faust“ voranstellt. Viele Theaterschaffende befolgen ihn trotzdem, ist es doch Ziel, zumindest die theaterinteressierte Stadtgesellschaft in ihrer Vielfalt mit dem Programm zufrieden zu machen.

Ulrike Stöck ist als Intendantin des Jungen Nationaltheaters nicht für den kleinsten, aber eben deren jüngsten Teil zuständig - und differenziert ihr Angebot nach Altersgruppen und Bildersprache genau. Vom Säugling („Baby Rave“) bis zum Jugendlichen mit zweisprachigem Hintergrund („Mutter dili“) sind Mannheims junge Menschen gut bei ihr gut aufgehoben. Sie zeigt mit „Mondeis“ ein koreanisches Märchen für Kinder ab vier Jahren oder für Elfjährige „Denk jetzt nicht an Zitrone“, das Theater für Kinder mit visuellen und nichtvisuellen Wahrnehmungsstilen anbietet. Sie erforscht in „Hall of Fans“ (13+) Fankultur und Jugendzimmer von Teenagern, holt aber auch Grundschulkinder mit Erich Kästners „Emil und die Detektive“ ab.

Auch Tanzchef Stephan Thoss geht diesen Weg, bietet „Tanz für alle“, also wirklich zum Mitmachen, erforscht Geschlechterrollen oder die Liebe bei Shakespeare. Thoss bietet mit „Boléro“ und einer „Christmas Rhapsody“ auch Wohlfühlabende. Anbiederung ist das nicht, zeigt er mit den ausgewählten Choreographen doch auch zeitgenössischen Tanz auf internationalem Niveau.

Die Debatte über die Gesellschaft der Zukunft

Das Mannheimer Schauspiel hat allein durch seine Spartengröße, die Premierenzahl und den gesellschaftlichen Auftrag freilich die dicksten Bretter zu bohren. Das heißt aber auch, dass es in keiner anderen Sparte so einfach ist, eine „Goethesche Mischung“ für unterschiedliche Interessensgruppen zusammenzustellen. Im Schauspiel wird seit jeher die Debatte darüber geführt, wie die Gesellschaft der Zukunft aussieht oder aussehen soll. Christian Holtzhauer ist dabei bekanntlich höchst ambitioniert. Doch denkt er an alle? Oder nur an die woke Jugend, die sich mit Stoffen zu Genderfragen, Migration und Generationenkonflikt bei ihm gut aufgehoben fühlt.

Hat der Schauspielintendant Bedenken, mit dem Einstreuen von zwei, drei weniger progressiven, weniger aufregenden Spielplanpositionen in der Branche als langweilig oder provinziell zu gelten? Geht die dramaturgische Ambition und Reputation über den Wunsch von Teilen eines Großstadtpublikums, das auch mal eine Sprechtheaterproduktion in ruhigeren Gewässern schätzt? Ein Publikum, das sich auf Sprache und Dialoge eines geschätzten Stücks freut? Eine solche, vermeintlich reaktionäre Spießbürgertruppe spielt offensichtlich keine Rolle mehr.

Wem das aktuelle Angekündigte alles ein wenig zu viel und zu einseitig ist, darf ab Herbst einzig auf Becketts „Endspiel“ und Kleists „Zerbrochnen Krug“ hoffen. Nicht mal Shakespeares „Hamlet“ darf echter Shakespeare-Stoff sein. Theaterstücke des Kanons erscheinen offensichtlich nur spielbar, wenn es einen schrägen Dreh gibt, wie der diesjährige „Faust - in einfacher Sprache“ zeigt. Und wie heißt es da bei Goethe weiter? „Gebt Ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken!“

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

VG WORT Zählmarke