Interview

Santanas musikalische Heilung: Sentient-Tour in Deutschland

Mit seinem neuen Album „Sentient“ will Carlos Santana die Welt heilen. Gruppentherapien gibt es im Sommer auf deutschen Bühnen.

Von 
Marcel Anders
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Carlos Santana beim BottleRock Napa Valley Music Festival. © picture alliance/dpa/Invision/AP

Das Wichtigste in Kürze

- Carlos Santana lebt in Hawaii und sieht Musik als Heilmittel für die Welt.

- Sein Album "Sentient" verbindet kreative Energie mit diversen Künstlern.

- Auf Tournee bietet er ein abwechslungsreiches musikalisches Erlebnis.

Herr Santana, was hat Sie nach Hawaii verschlagen?

Carlos Santana: Es ist das Paradies. Hier gibt es keinen Stress und keine Sorgen. Wenn man die Nachrichten ignoriert und nur den Himmel, die Natur, die Vögel und den Ozean betrachtet, ist es ein Ort der Heilung. Und ich verfolge denselben Ansatz wie Bob Marley oder ein Schamane – ich liefere etwas, das auf Geist, Herz und Seele abzielt. Denn nur wer eins ist, kann für Wunder und Segen sorgen. Ähnlich wie Jesus, als er Wein aus Wasser gemacht hat. Das ist kein Trick im Sinne von David Copperfield, sondern eine Alchemie, bei der man Trauer, Wut und Angst in Freude umwandelt. Wie sagte schon Coltrane: „Ein starker Gedanke sorgt für Millionen von positiven Schwingungen.“

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Was haben Sie dann in den sechs Wochen gemacht, in denen Sie wegen eines gebrochenen Fingers keine Gitarre spielen konnten – wie schlimm war das für Sie?

Santana: Ich habe eine Menge gelesen und Spaziergänge unternommen. Der Finger wird langsam besser. Und John McLaughlin und Jeff Beck ist vor Jahren dasselbe passiert. Es kommt öfter vor, und dann brauchst du als Musiker eine Art Boxenstopp – eine kleine Pause. Die wirkt sich durchaus positiv aus: Wenn ich jetzt spiele, gehe ich das mit mehr Wertschätzung an – mit mehr Gefühl, Power, Chuzpe und Dynamik. Um ehrlich zu sein, hatte ich für einen kurzen Moment Angst davor, vielleicht nie wieder spielen zu können. Aber jetzt ist mir klar: Alle braucht Zeit zum Heilen – man darf da nicht ungeduldig sein.

„Sentient“, Ihr neuestes Werk, ist eine Zusammenstellung von Alternative-Versionen, remasterten Album-Stücken und unveröffentlichten Songs. Welches Ziel verfolgen Sie damit?

Santana: Ich will kreative Energie in ein Meisterwerk verwandeln. Denn seien wir ehrlich: Es gibt nur wenige, die eine CD wie „Sentient“ hinbekämen – mit so unterschiedlichen Künstlern wie Smokey Robinson, Michael Jackson, Miles Davis, meiner Frau Cindy und Darryl McDaniels von Run-DMC. Aber auch mit einem solchen Flow. Wenn ich einen Schritt zurück mache und auf meine Karriere blicke, habe ich das Gefühl, als ob da alles orchestriert wäre. Egal ob Bill Graham, Clive Davis, Miles Davis, Tito Puente, B.B. King – sie haben Situationen für mich kreiert, denen ich nur beitreten musste. Nach dem Motto: „Du kannst hier mit Eric Clapton, Jimmy Page, Jeff Beck, Buddy Guy, John McLaughlin oder Paco de Lucia spielen – aber veranstalte keinen Wettkampf, vergleich dich nicht mit ihnen, sondern ergänze sie.“ Das tue ich – und es macht Spaß.

Wie war es, mit Superstars wie Michael Jackson oder persönlichen Helden wie Miles Davis zu spielen? Waren Sie nie nervös?

Santana: In solchen Situationen fühle ich mich wie ein Kind, das zum ersten Mal Disneyland besucht – und alles ist im Voraus bezahlt: Die Fahrten wie das Essen. Und wenn ich in einen Raum komme, um mit Wayne Shorter, Herbie Hancock, Miles Davis oder Tony Williams zu spielen, geben sie mir keinen misstrauischen Blick, sondern einen fröhlichen – weil sie mir ein gutes Gefühl geben wollen. Als ob ich mich unter Freunden befinde. Und mit Künstlern vom Format eines Michael Jackson oder Prince gespielt zu haben, macht mich dankbar.

Infobox: Carlos Santana



  • Carlos Santana, geboren am 20. Juli 1947 in Autlán de Navarro, Mexiko, ist ein US-amerikanischer Gitarrist, der die Rockmusik um den Latin Rock bereichert hat.
  • Bekannt wurde er mit Hits wie „Samba Pa Ti“ und „Black Magic Woman“.
  • 1965 gründete er die Santana Blues Band, die mit ihrem unverwechselbaren Stil berühmt wurde.
  • 1999 feierte er mit dem Album „Supernatural“ ein Comeback und gewann acht Grammys.
  • Santana engagiert sich sozial und gründete die Milagro Foundation.

Vermissen Sie diese Ausnahmetalente in der heutigen Musikwelt?

Santana: Definitiv. Aber: Ich bin immer noch hier und erinnere an ihre Herangehensweise. Und die neue Generation hat ebenfalls die Möglichkeit, in eine Garage zu gehen und Stücke von den Doors, AC/DC, Led Zeppelin, Cream oder Jimi Hendrix zu üben. Nach einer Weile können sie den Kram dann zur Seite legen und ihr eigenes Ding machen – wie Eric Clapton und Jimi Hendrix in den 60ern. Das ist das Entscheidende.

Sie glauben also, dass das alte Modell noch funktioniert und wir nicht in musikalischem Einheitsbrei ersticken?

Santana: In den Charts ist es wirklich so, als würde Dr. Frankenstein sagen: „Es lebt, es lebt!“ Denn er baut Monster aus Teilen von anderen Stücken und erweckt sie per Computer zum Leben. Dagegen versuchen echte Musiker, für Harmonie und Einheit zu sorgen. Nur dann ist es Musik – ansonsten cleverer Krach.

Ich schenke Trump keine Beachtung – für mich ist er weniger als nichts.

Sie zählen zu den Glücklichen, die den amerikanischen Traum leben durften. Wäre Ihr Aufstieg vom Tellerwäscher zum Rockstar heute noch möglich – angesichts der Immigrations-Politik der Trump-Regierung?

Santana: Ich schenke Trump keine Beachtung – für mich ist er weniger als nichts. Eben wie Halloween ohne Süßigkeiten. Er verkauft nur Angst. Und ich bin längst vom amerikanischen zum globalen Traum übergegangen. Ich übernehme Elemente von Hassan Vault, Pele oder Mohammad Ali – von Persönlichkeiten, die ich liebe. Auch von Steffi Graf wegen ihrer Brillanz und ihrer Größe – ich identifiziere mich mit allem auf diesem Planeten, das Anmut und Schönheit hat.

Haben Sie nie das Gefühl, dass Ihre Botschaft von „Liebe und Frieden“, die Sie seit den 60ern predigen, als hippiesk belächelt wird?

Santana: Ich formuliere es ein bisschen krass: Wenn du in Angst investierst, bist du voller Scheiße – hast aber kein Toilettenpapier zur Hand. Lernst du dagegen meditieren und dich selbst zu lieben, modelst du deinen inneren Scheiß und deine äußere Angst um – in etwas Positives. Du reinigst deinen inneren Scheiß. Und an dieser Botschaft halte ich gerne fest. Liebe ist Frieden.

Warum betreten Sie nicht selbst die politische Bühne – könnten Sie da nicht noch mehr bewirken?

Santana: Weil ich in fünf Sekunden erschossen würde. Denn ich gebe kein Geld für korrupte Unternehmen aus. Ich garantiere Menschen, die andere unterdrücken, keine Sicherheit. Ich weiß, dass ich ein Träumer und ein Idealist bin – und einige Leute bezeichnen mich als verrückt. Aber John Lennon, Bob Marley und Jesus waren genauso: Man ist verrückt, wenn man Frieden auf Erden will. Dann kann man nicht normal sein. Aber es ist Teil meiner Musik. Und wenn ich in ihre Stadt komme, glauben und vertrauen mir die Leute. Sie wissen, dass ich eine große Liebe und Friede auf Erden will. Nur mit dieser Botschaft ist es echte Musik.

Was erwartet uns auf Ihrer Tournee im Sommer?

Santana: Ich spiele fast drei Stunden – und bringe Gestern, Heute und Morgen auf die Bühne. Heute und Morgen sind zwei Blöcke in der Show, in denen ich improvisiere. Ohne Setliste – weil ich erst in dem Moment weiß, worauf ich gerade Lust habe. Ich meine, mir ist klar, dass die Leute „Black Magic Woman“ und „Maria Maria“ hören wollen. Das sind die Stücke, für die sie das Haus verlassen. Und egal, ob du Sting oder James Brown bist: Danach musst du dich richten. Die Leute wollen die Hits hören. Aber ich gebe ihnen auch, was ich „das Gemüse“ nenne. Nach dem Motto: Hier ist das Steak, dort das Gemüse, erst dann gibt es Eiscreme. Ihr müsst nur ein bisschen Geduld haben. (lacht)

Freier Autor

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