Mannheim. Der Mensch hat die segensreiche Gabe, zu sprechen. In der Regel nutzt er die Sprache, die er von Kind auf an gelernt hat, um sich mit anderen Menschen zu verständigen, ihnen Frage und Antwort zu stehen, zu diskutieren, kurz: zu kommunizieren. Wo aber bleibt die Kommunikation, wenn der Gesprächspartner die Gesetze der Sprache durchbricht, die traditionellen Erzählperspektiven verzerrt? Eine gegenseitige Verständigung und damit ein Dialog werden schwer möglich.
Der schweizerisch-französische Autor Valère Novarina schuf mit seiner „Rede an die Tiere“ einen Monolog, der 1986 mit großem Erfolg in Paris uraufgeführt wurde und seitdem in Frankreich Kultstatus erlangte. Nachdem Leopold von Verschuer es 2017 ins Deutsche übersetzt hatte, wagte Regisseur Rainer Escher, dieses Stück erstmals auf eine deutsche Bühne zu bringen. Im Felina-Areal überraschte er damit sein Publikum, erheiterte und verstörte es gleichermaßen.
Rede in labyrinthischer, exzessiver Sprache
Verschieden große hölzerne Rahmen verteilen sich auf der leeren Bühne, öffnen den Blick auf drei Stühle, auf denen zwei Frauen und ein Mann sitzen, offensichtlich sprungbereit für eine Ansprache. Abwechselnd, oder auch im rhythmischen Chor beginnen sie die Rede, treten nahe ans Publikum, schauen direkt in die erwartungsvollen Gesichter: „Tiere“, sprechen sie es an, als würden sie um Gehör bitten.
Und dann beginnt eine Rede in labyrinthischer, exzessiver Sprache voller Worterfindungen, Aufzählungen, Kapriolen, die jegliche sprachliche Logik und Klarheit vermissen lässt. Vergeblich sucht der Zuhörer nach einer Aussage, einer laufenden Handlung, doch alle fragmentarisch angedeuteten Erlebnisse oder Erinnerungen verirren sich im eigenwilligen surrealen Stil. Da reflektiert der Mann, der sich als „Irrtum des Lebens“ fühlt und „Hans von Geist und Herzlos“ nennt, über sein Leben, über den Krieg, die Verletzten im Krankenhaus, die bekannten Soldaten auf dem Friedhof, sein Herumstreunen in den Orten der Welt, in verschiedenen Berufen.
Aufenthalt in Schweizer Bergen als Anstoß zum Stück
Erinnerungen an seine Mutter und Kindheit tauchen auf, Hinwendungen zu Gott klingen an, verlieren sich im Zweifel, denn nach ihm ist die Welt ein Loch, aus dem alles Leben stammt und in dem wieder alles verschwindet.
Regisseur Rainer Escher hat den ursprünglichen Monolog in einen Triolog gekleidet und damit dem Verwirrspiel Leben und Ausdruck eingehaucht. Nicht zuletzt auch die enorme Herausforderung, die auf Novalinas Solisten lasten würde, aufgeteilt. Großartig schafften es Marie Eberhardt, Ronja Rückgauer und Sascha Koal hier ein gewaltiges surrealistisches Bild aus tiefenpsychologischen Fragmenten zu formen, die Verzweiflung und Wut über das Leben fühlbar zu machen, das Navarina einst den Anstoß zu diesem Stück gab: Er hielt sich hoch oben in den Schweizer Bergen auf und wurde durch einen ungewöhnlich frühen Schneeeinbruch von der Zivilisation abgeschnitten. Zusammen mit 22 Schafen, Ziegen, Schweinen und Truthähnen musste er auf einem Almhof ausharren. Als er morgens die Stalltür öffnete, sahen ihm 44 Augen erwartungsvoll entgegen – sein Publikum für eine Rede, in die er seine Gedanken über das Wesen des Menschen und dessen Bestimmung aussprechen konnte, ohne Widerrede fürchten zu müssen.
Weitere Aufführungen in der Holzbauerstraße 6-8 am 16. und 18. Juli, jeweils 19 Uhr.
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