Mannheim. Fabian Müller ist schon ein Pianostar. Warum er in seinem internationalen Konzertkalender trotzdem zwei Konzerte in Mannheim mit der European Youth Orchestra Academy eingeplant hat, erklärt er im Interview.
Herr Müller, wie viel üben Sie noch am Tag?
Fabian Müller: Schon noch sehr viel. Es hört sich für Leute immer schockierend an, aber andere haben ja auch normale Jobs. Also das sind schon so sechs Stunden.
Ich habe eine Berechnung angestellt, dazu aber später. Welchen Reiz hat es für Sie, mit so einem blutjungen Orchester wie der European Youth Orchestra Academy zu musizieren?
Müller: Ach, ich liebe das. Ich habe eine große Leidenschaft dafür, die Musik, die mich begeistert, mit jungen Leuten zu teilen. Mit großen Orchestern hört man oft dieselbe Standard-Variante eines Stücks. Mit jungen Orchestern kann man neue Wege gehen – als würde man einen Berg zum ersten Mal besteigen, ohne zu wissen, was hinter jeder Kurve passiert. Ein echtes Abenteuer!
Es ist schon lustig, wenn Sie in der Wigmore Hall oder der Berliner Philharmonie spielen und dann im Börsensaal der Musikschule Mannheim. Wie kommt’s?
Müller: Na ja, ich wurde ganz normal angefragt, und dieses Projekt mache ich besonders gerne. Ich spiele viele Konzerte und frage mich oft, warum man ein Konzert spielt. Ich liebe das Gefühl, an einem lebendigen Ort zu sein, wo es den Menschen wirklich um die Musik geht. Das finde ich aufregend.
Fabian Müller und die European Youth Orchestra Academy
- Fabian Müller: Geboren 1990 in Bonn, hat Müller sich als herausragender Pianist etabliert, besonders seit seinem Erfolg beim ARD-Musikwettbewerb 2017. Schon 2013 beeindruckte er beim Busoni-Klavierwettbewerb. Seine internationale Karriere führte ihn in renommierte Konzertsäle wie die Carnegie Hall und die Elbphilharmonie. Müller arbeitet mit bekannten Orchestern und Dirigenten zusammen und gründete 2023 sein eigenes Kammerorchester, The Trinity Sinfonia. Er tritt regelmäßig bei Festivals wie dem Klavier-Festival Ruhr auf und engagiert sich in der Musikvermittlung. Seine exklusive Zusammenarbeit mit „Berlin Classics“ umfasst mehrere CD-Veröffentlichungen, darunter Werke von Brahms und Schubert.
- Die „European Youth Orchestra Academy“ (EYOA): Die EYOA empfängt im April erneut 50 junge Musiker aus 21 Ländern, darunter die EU, Großbritannien und die Ukraine. Vom 11. bis 20. April bereiten sich Talente im Alter von 14 bis 18 Jahren in Mannheim unter Jan-Paul Reinke auf ein Konzert vor. Neben Proben bietet die EYOA ein Boot Camp mit Vorträgen zu Musikgeschichte und Musikergesundheit. Das Gala-Konzert findet am Samstag, 19. April, in der Oper am Luisenpark statt. Überdies ist am Karfreitag, 18. April, eine öffentliche Generalprobe – Familienkonzert um 15.30 Uhr im Börsensaal der Musikschule mit einem zusätzlichen Programm vorgesehen (Eintritt frei).
- Karten: Tickets kosten zwischen 25 und 73 Euro und sind erhältlich im Internet unter www.reservix.de oder telefonisch über das Capitol (0621-40171402), im Mannheimer Morgen Ticket Shop oder an der Theaterkasse des NTM erhältlich.
Zurzeit spielen Sie alle Sonaten von Beethoven. Was macht Beethovens Musik so zeitlos?
Müller: Ich finde da immer wieder Momente großer Niedergeschlagenheit und Tragik, aber auch Utopie. Seine Musik ist nicht oft himmlisch wie Mozart. Beethoven hat die Probleme tief in sich, aber es gibt immer den Glauben, dass alles gut wird. Diese Hoffnung ist aktuell wichtig, denn oft fühlt es sich an, als wäre nichts mehr zu retten.
Sie meinen Beethovens „per aspera ad astra“ – durch die Dunkelheit zu den Sternen?
Müller: Genau, so endet auch sein Klavierkonzert c-Moll, das ich in Mannheim spiele, fröhlich in C-Dur.
Sie komponieren selbst und haben zu den 32 Klaviersonaten 32 Bagatellen geschrieben. Warum? Wie klingt das bei Ihnen?
Müller: Oh ja, das ist eine interessante Frage. Ich mag es nicht, nur am Klavier zu sitzen und zehn Finger zu bewegen. Das Leben ist so reichhaltig, dass ich mehr davon erleben will. Komponieren macht mir Spaß, weil es kreativ ist. Ein leeres Blatt vor sich zu haben und etwas Eigenes zu schaffen, ist ein besonderer Prozess. Jeder sollte komponieren, malen oder Gedichte schreiben. Das ist nicht nur für Fachleute. Es ist zutiefst menschlich, etwas Eigenes zu gestalten. Ich rate jedem, sich nicht davon abhalten zu lassen, kreativ zu sein.
Aber wie klingt Ihre Musik und wie muss ich mir den kompositorischen Prozess vorstellen – ein Kampf wie bei Beethoven?
Müller: Ein bisschen. Ich habe Ideen beim Spazierengehen und in der Natur, skizzenhaft im Kopf, dann folgt die Ausarbeitung meistens am Klavier. Meine Musik ist aber viel moderner, auch teils atonal, schroff und experimentell.
Sie haben also keine Angst vor tonalen Verbindungen und harmonischen Kadenzen?
Müller: Nein, ich kann doch unterschiedliche Sachen zu machen, wie in einem Sandkasten, in dem ich verschiedene Dinge ausprobieren kann. Ich finde, dass tonale Strukturen auch heute noch eine wichtige Rolle spielen. Es ist mir wichtig, auf diese Strukturen zurückzugreifen, weil ich mich sonst einschränken würde. Ich möchte aber alle Möglichkeiten nutzen.
Finden Sie, dass sich die Avantgarde zu weit weg entwickelt hat vom Menschen?
Müller: Also nach dem Zweiten Weltkrieg musste man einen Schlussstrich ziehen. Komponisten wie Boulez, Kurtág und Ligeti finde ich großartig, weil sie Neues gewagt haben. Aber in diesem Neuland kommt man jetzt nicht mehr weiter und muss neue Wege finden. Ich versuche, meinen eigenen Weg zu finden. Ob er interessant ist und andere ihm folgen, liegt nicht in meiner Hand.
Sie sind Dirigent und Komponist und Pianist, also ein Allrounder wie früher. Improvisieren Sie auch?
Müller: Zu Hause viel und manchmal auch auf der Bühne. Ich bewundere das alte Künstlerbild, bei dem Musiker nicht nur Maschinen oder Sportler waren, sondern ein Leben mit Musik führten. Musik ist wie ein Kunstwerk, das ich aus verschiedenen Richtungen betrachten will.
Sie haben vorhin das c-Moll Klavierkonzert angesprochen. Welchen Rang würden Sie ihm in Beethovens Œuvre geben?
Müller: Für mich ist es an der Schnittstelle zwischen klassischen Strukturen und einem Tor zur Romantik. Man steht in dieser Tür, sieht hinaus und hat eine tolle Struktur, die Stabilität gibt. Es hat eine starke Vision und ist ein absoluter Höhepunkt in seinen Stücken. Später wird seine Musik freier und exotischer, aber hier ist er an einem aufregenden Punkt der Mitte. Es ist für mich ein Herzstück seines gesamten Œuvres.
Das ist ja wahrscheinlich am meisten im ersten und zweiten Satz der Fall. Der dritte ist eher konventionell, aber am Ende sakrisch schwer zu spielen mit den Oktavtremoli.
Müller: Beethoven komponiert nicht als Pianist. Er folgt immer einer musikalischen Idee, auch wenn sie am Klavier schwer umzusetzen ist. Für jeden Takt muss man eine Lösung finden. Diese Radikalität macht ihn so einzigartig. Man hat nie das Gefühl, nur Klavier zu spielen, sondern folgt einem musikalischen Willen, dem alles untergeordnet ist. Das bringt eine besondere musikalische Qualität - und Schwierigkeit.
Jetzt kommen wir zum Anfang. Sie saßen im Alter von vier Jahren, also 1994, erstmals im Klavierunterricht und haben seitdem, so habe ich überschlagen, rund 55.000 Stunden am Klavier verbracht.
Müller: Wow, ehrlich?
30 Jahre mal 365 Tage mal fünf Stunden am Tag im Durchschnitt. Was haben Sie in der ganzen Zeit von der Welt dort draußen mitbekommen?
Müller: Ja, man muss aufpassen, kein Fachidiot zu werden. Mich hat es immer auch weggezogen vom Klavier. Ich freue mich, wenn ich in einem Raum ohne Musiker bin, weil ich gerne Gespräche mit Leuten führe, die nichts mit Musik zu tun haben. Hinter jedem Kopf steckt eine große Welt voller Interessen. Man spricht in der Musik über die Welt, und ihr sollte man sich daher nicht verschließen. Ein gutes Gespräch inspiriert mich mehr als jede Tonleiter.
Kommen Sie tatsächlich ins Gespräch mit Orchestermusikern, wenn Sie so einen Abend spielen und hinterher ins Hotel gehen?
Müller: Ja, das Tourleben ist oft einsam und schnell. Man muss das Alltagsleben gut organisieren, um genau zu wissen, wann man üben kann, und dann konzentriert sein. Die Zeitorganisation ist eine große Herausforderung. Viele denken, man schwebt nur in der Kunst, aber das stimmt nicht.
Pianisten haben wie Streicher den Ruf, viel mit sich und der Musik allein und ein bisschen weltfremd zu sein. Sitzen Sie auch mal nachmittags im Café?
Müller: Ja, aber im Moment mit zwei kleinen Kindern ist das eher Wunschvorstellung. Ich liebe es, mit Menschen zusammen zu sein, Sport zu treiben, stundenlang Tennis zu schauen, spazieren zu gehen oder einfach Quatsch zu machen. Ich komme aus einer großen Familie mit vier älteren Schwestern, ich fühle mich eher wie ein Schmetterling, der seine Flügel ausstreckt.
Also sind Sie einer, der am Weltgeschehen interessiert ist und mit Leuten darüber spricht?
Müller: Absolut, ja. Und: Ich bin Rheinländer wie Beethoven. Man hört das auch in seiner Musik. Wir sind oft direkt, ohne Fassade, der direkte Kontakt zu Menschen ist wichtig. Es gibt ein großes Misstrauen gegenüber Obrigkeiten und Hierarchien. Wir haben ein großes Herz und einen derben Humor – wie Beethovens Musik. Deswegen glaube ich nicht, dass Beethoven sehr viel mit den Wienern zu tun hatte.
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