Das Interview

„Nicht schießen. Das waren gute Menschen“

Die Fotoausstellung zur Neuen Sachlichkeit in den Mannheimer REM lockte 11.000 Besucher und enthüllte überraschende NSDAP-Verbindungen – Claude W. Sui machte sich auf die Suche.

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Mannheim. Herr Sui, wie lief Ihre Fotoausstellung zur Neuen Sachlichkeit?

Claude W. Sui: Die Fotoausstellung war ein großer Erfolg. Wir hatten knapp 11.000 Gäste. Alle Kataloge sind ausverkauft. Den ungewöhnlichen Bilderdialog mit Fotografien von August Sander und Albert Renger-Patzsch, zwei Hauptvertretern der Neuen Sachlichkeit in der Fotografie, den Werken eines Fotografen der späteren Generation, Robert Häusser, gegenüberzustellen, war exzeptionell und einmalig. Die Wirkung dreier Giganten der Fotografie war in der Ausstellung stark präsent.

Ins Glück hinein kam ein kritischer Beitrag über die NSDAP-Mitgliedschaft Häussers dieser Redaktion. Haben Sie sich geärgert?

Sui: Ich war eher überrascht und mir war sofort klar, dass ich der neuen Sachlage auf den Grund gehen muss. So nahm ich Kontakt mit dem Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, den Landes-, Staatsarchiven in Stuttgart, Ludwigsburg, Karlsruhe, München, den Arolsen-Archiven und mit der KZ-Gedenkstätte Dachau auf.

Was genau haben Sie erfahren?

Sui: Im Bundesarchiv befinden sich zwei nicht unterschriebene NSDAP-Karteikarten von Robert Häusser mit dem Aufnahmevermerk „1. September 1942“. Da war er 17 Jahre alt. Um Gewissheit bezüglich seiner NSDAP-Mitgliedschaft zu erlangen, riet man mir, mich an das Gauland, in dem Häusser damals lebte (Württemberg-Hohenzollern), zu wenden. Vom dafür zuständigen Staatsarchiv Ludwigsburg erhielt ich die Antwort, dass „keine Unterlagen über eine NSDAP-Mitgliedschaft von Robert Häusser ermittelt werden“ konnten.

Dann war das Thema für Sie erledigt?

Sui: Nein, bei meinen weiteren Recherchen stieß ich auf Diskussionen unter Historikern über die Frage einer möglichen unwissentlichen kollektiven Überführung einzelner Personen in die NSDAP, beispielsweise bei Walter Jens, Martin Walser, Siegfried Lenz, Dieter Hildebrandt. Nach jetzigem Wissensstand scheint eine „unwissentliche Mitgliedschaft“ kaum möglich gewesen zu sein. Falls also Häusser wirklich NSDAP-Mitglied gewesen ist, stellt sich mir die Frage, was ihn als 17-Jährigen dazu bewogen haben mag. War es Naivität, Opportunismus, Selbstschutz, Überlebensstrategie, politischer oder gesellschaftlicher Druck?

Sie kannten ihn: Was glauben Sie?

Sui: Ich habe ihn als einen Menschen erlebt, der gegen Gewalt und Diktatur war. Er war geplagt von immer wiederkehrenden Albträumen, in denen er Häscher aus der NS-Zeit sah, angetan mit langen Mänteln wie aus einem Bild von René Magritte, ihn verfolgend, um ihn hinzurichten.

Schrecklich, als garantiert darf ja gelten, dass Häussers Vater recht stramm war …

Sui: Häusser hatte in seiner Biografie darüber geschrieben. Sein Vater sei anfangs ein überzeugter Nazi gewesen, hatte sich dann gegen das Regime gestellt, kam ins KZ-Dachau und nach seiner Entlassung konnte er berufsmäßig nicht mehr in Stuttgart Fuß fassen. So wurde er Gutsverwalter in der Mark Brandenburg. Die Gedenkstätte KZ-Dachau konnte ihn aber nicht als Inhaftierten ausfindig machen. Es kann sein, dass er vielleicht in einem Außenlager inhaftiert war, oft wussten die Familien nicht, in welchem Lager sich genau die Angehörigen aufhielten. In seiner NSDAP-Mitgliederkarteikarte ist ein Vermerk, dass er vom Obersten Parteigericht der NSDAP für 2 Jahre verwarnt und mit „Ämteraberkennung“ bestraft wurde. Es muss sich wohl um ein schwerwiegendes Vergehen handeln. Leider konnten die Archive in Berlin, Stuttgart, Ludwigsburg, München nichts Genaueres dazu herausfinden, da womöglich durch Kriegsverlust und Zerstörung durch die SS am Kriegsende Akten vernichtet worden waren.

Unser Autor hat ja recherchiert, dass der Vater sich 1944 auf eine Stelle ins besetzte Polen bewarb …

Sui: Bis März 1944 war er Landwirt in Brandenburg (Ostprignitz) und ab April 1944 wurde er auf die Bezirkslandwirtstelle im polnischen Lisko ins Amt für Ernährung und Landwirtschaft eingewiesen. Lisko stand vorher im September 1939 unter sowjetischer Besatzung, im Juni 1941 unter deutscher und ab Oktober 1944 kam es zu einer Rückeroberung durch die Rote Armee, bis Lisko im März 1945 an Polen zurückgegeben wurde. Das bedeutet, dass der Vater etwa fünf bis sechs Monate als Landwirt dort tätig war.

Glauben Sie, er war dann eben doch gefügig?

Sui: Die Tatsache, dass jemand 1944 als Landwirt dort tätig war, impliziert zwar eine kollektive Beteiligung am NS-System, aber beweist noch keine persönliche Überzeugung oder freiwillige Gefügigkeit. Als die Rote Armee in Polen und Ostdeutschland einmarschierte, sollten alle deutschen Grundbesitzer standrechtlich erschossen werden, so auch der Vater von Häusser, obwohl er nur ein Gutsverwalter war. In diesem Moment stellten sich russische Zwangsarbeiter schützend vor die Eltern von Häusser und riefen: „Nicht schießen. Das waren gute Menschen, die uns immer gut zu essen gegeben haben“.

Glauben Sie nach allem, was Sie nun wissen, Sie hätten all das vor der Ausstellung zur Neuen Sachlichkeit machen sollen?

Sui: Transparenz und Aufarbeitung der Vergangenheit sind eminent wichtig, gerade die NS-Zeit, die in der deutschen Geschichte prägend war und bis heute nachwirkt. Die kuratorische Verantwortung ist, Wissensdaten in einen Kontext zu setzen, um ein größeres Verständnis für die Person und die Zeit zu schaffen. Die Bewertung einer Person durch bloße Reduktion auf die Parteimitgliedschaft birgt aber das Risiko einer Vorverurteilung und ein Anprangern. Die „Ungnade einer frühen Geburt“ darf auch nicht ignoriert werden, weder die Zeitumstände noch die individuellen Hintergründe. Mein Fazit ist also: In seinem künstlerischen Werk hat sich Robert Häusser kritisch mit Faschismus und NS-Diktatur auseinandergesetzt und es gibt keine bekannten problematischen Äußerungen oder Handlungen, die ihn als Ideologen einer menschenverachtenden Diktatur kennzeichnen.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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