Der Abend begann mit einem Knall und einem Funkenregen, der sich über 9000 „Exis“ ergoß. „Exis“, so heißen die Fans von „Mord auf Ex“, einem der erfolgreichsten deutschen Podcasts, die um wahre Verbrechen kreisen. Oder neudeutsch: um True Crime.
Mit bis zu fünf Millionen Downloads monatlich gehört der Podcast der Journalistinnen Leonie Bartsch und Linn Schütze zu den meistgehörten True-Crime-Formaten Deutschlands. Inzwischen füllen die beiden Frauen ganze Arenen mit ihrer Live-Show zum Podcast, und das war am Freitag auch in der SAP Arena in Mannheim so. Die Veranstaltung: ausverkauft.
9000 „Exis“ folgten laut Veranstalter der Einladung von Bartsch und Schütze, die auf der Bühne über einen echten Kriminalfall sprechen wollten, natürlich multimedial und interaktiv inszeniert. Und so kam es auch. Die „Exis“ bekamen einen echten Kriminalfall, sogar einen aus Hollywood. Vor allem aber Entertainment. Pyrotechnik, Schattentheater und Live-Musik.
Über die Faszination wahrer Verbrechen
Wahre Verbrechen faszinieren uns Menschen seit jeher, das zieht sich quer durch die Jahrhunderte. Sie stoßen uns gleichermaßen ab und ziehen uns an. Und so erlebt das True-Crime-Genre seit Jahren einen regelrechten Hype, und der hat vor allem Podcasts erfasst.
Noch mehr True Crime
In „Verbrechen im Quadrat“, dem True-Crime-Podcast des „Mannheimer Morgen“, begibt sich Gerichts- und Kriminalreporterin Agnes Polewka auf die Spur wahrer Kriminalfälle, die die Rhein-Neckar-Region erschüttert haben. Sie taucht ein in die Welt der Ermittler und spricht mit Menschen, deren Leben sich für immer verändert hat.
Aktuell gibt es einmal monatlich ein Update von ihr im Audioformat zum Prozess um das Mannheimer Messerattentat. Darin zeichnet sie den Gang des Verfahrens am Oberlandesgericht in Stuttgart nach. Auch spricht sie über Hintergründe und Folgen des Verbrechens.
Den Podcast findet ihr überall, wo es Podcasts gibt und hier auf dem Nachrichtenportal des MM.
Die unbequeme Wahrheit lautet: Echte Kriminalfälle befriedigen unsere Sensationsgier. Je näher wir dran sind, umso besser. Und diese Sensationslust macht Produktionen im True-Crime-Genre zu einer Angelegenheit, für die man ein gewisses Fingerspitzengefühl benötigt. Gut gelang das Bartsch und Schütze immer dann, wenn sie das Opfer des Verbrechens in den Mittelpunkt ihrer Rekonstruktion stellten. Achtung Spoiler: Die Podcasterinnen sprachen über den Fall der getöteten US-Amerikanerin Bonnie Lee Bakley. Ihr Leben endete im Jahr 2001 nach zehn Ehen mit einem Schuss auf einer Straße in Los Angeles. Der mutmaßliche Täter: ihr Ehemann, US-Schauspieler Robert Blake.
Private Momente mit den Fans auf der Bühne inszeniert
In der Arena dokumentierten Videos die Recherchen von Schütze und Bartsch in den USA, Gespräche mit Zeugen und Angehörigen. Und da störten auch ihre Comedy-Einschübe die Fan-Community nicht. Die „Exis“ waren verzückt, als sich Schütze und Bartsch zu Katy Perrys „California Gurls“ am Strand in Pilates-Posen räkelten. Und sie waren hingerissen von ihren Outfits – insgesamt wechselten die Frauen vier Mal ihre Aufmachung.
Viele „Exis“ hatten sich an diesem Abend selbst herausgeputzt, trugen Paillettenkleider, Hosenanzüge und aufgeklebte Schnurrbärte. Eine Hommage an ihre Vorbilder, mit denen sie über Social Media verbunden sind. Private Momente mit den Hosts wurden auch auf der Bühne inszeniert – etwa, als Bartsch ihr Smartphone zückte, um eine Audio-Nachricht für die Familiengruppe aufzunehmen. Für ihre Oma, die „Podcast-Oma“, gab es lauten Jubel aus Mannheim.
Und so ist nicht nur die Sensationslust Grund dafür, warum vor allem die vielen jungen Frauen an diesem Freitag nach Mannheim gekommen sind. „Mord auf EX“ ist in ein Umfeld von Social Media eingebunden, es gibt Diskussionen und Interaktion. Medienwissenschaftler nennen dieses Phänomen „vernetzte Digitalkultur“. Und: Bartsch und Schütze sind, so scheint es, echte Role Models für ihre „Exis“.
Bei True Crime geht es – wie bei fiktionalen Stoffen – ums Mitraten. Um die Frage: Wer ist der Mörder? So gingen die „Exis“ auch am Freitag mit auf Tätersuche: Wer hat Bonnie getötet? Was steckte hinter der Fassade? Wie konnte es so weit kommen?
Und dann offenbarten sich am Freitag auch grundsätzliche Dilemmata all jener, die über wahre Kriminalfälle berichten. Hinter den Fällen stehen echte Menschen. Es gibt Opfer, Angehörige und Überlebende. Will man diese Menschen erneut ihrer Geschichte aussetzen?
Bartsch und Schütze haben die Schwester des Opfers einbezogen. Immer wieder betonten sie, dass sie Bonnies Geschichte erzählen wollten, damit diese nicht vergessen werde. Und dann erinnerten sie an die vielen Frauen, die täglich ermordet werden. In Deutschland, in Europa, in der Welt.
True Crime ist dann am besten, wenn das Genre uns selbst verortet, uns zeigt, was ein Fall mit uns zu tun hat und wenn er uns etwas über die Welt erzählt, in der wir uns bewegen.
Bartsch und Schütze können auch investigative Formate
Der Medienwissenschaftler Jan Harms, der zu True Crime-Formaten forscht, sagte vor einigen Monaten im Gespräch mit dieser Redaktion, wie wichtig und gut, er investigative Format findet.
Journalistinnen und Journalisten, die sich auf die Spuren von Wahrheit und Gerechtigkeit begeben – die gibt es nicht nur in Hollywood-Produktionen. Wolfgang Kaes ist als Reporter beim Bonner „General-Anzeiger“ dem Verschwinden einer Frau nachgegangen. Am Ende deckte er ihren gewaltsamen Tod auf. Oder US-Reporterin Sarah Koenig, die mit „Serial“ nicht nur das True Crime-Podcast-Genre revolutionierte. Sie machte den Fall von Adnan Syed weltweit bekannt und sorgte dafür, dass er neu aufgerollt wurde.
Auch Bartsch und Schütze können investigative Formate, wie ihre Reihe „Die Nachbarn“ zeigt. Darin zeichneten sie den Fall des verurteilten Doppelmörders Andreas Darsow nach. Darsow soll seine Nachbarn brutal ermordet haben, er beteuert allerdings bis heute seine Unschuld.
Die Podcasterinnen begaben sich im hessischen Babenhausen auf Spurensuche und legten, vor allem mit dem ersten Teil der Reihe, eine grandiose True Crime-Show hin, die ganz ohne Funkenregen, Schattentheater und Live-Musik ausgekommen ist.
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